Rede Ursula Helmhold: Bieterverfahren für die Landeskrankenhäuser stoppen – Keine Bevorzugung von Klinikkonzernen gegenüber regionalen Anbietern – Chancengleichheit wahren

Landtagssitzung am 15.09.06, TOP 31

Anrede,

Psychiatrie ist keine Ware – das haben wir Ihnen gesagt, seit Sie den Beschluss gefasst haben, die niedersächsische Psychiatrie zu verhökern. Deshalb kann man sie auch nicht europaweit meistbietend auf den Markt werfen.

Das ganze Verfahren hat sich inzwischen zu einer Serie von Seltsamkeiten entwickelt, die immer größere Zweifel daran aufkommen lassen, ob hier noch alles mit rechten Dingen zugeht.

Von Anfang an ging es vor allem darum, Geld in die klamme Kasse des Finanzministers zu bekommen. Mahnende Stimmen warnten vor einem Ausverkauf der niedersächsischen Psychiatrie an international agierende Klinikkonzerne, die ihre hohen Renditeerwartungen auf Kosten der Qualität der psychiatrischen Versorgung erwirtschaften würden. Aber mit der ihr eigenen Beratungsresistenz hat die Landesregierung alle Warnungen der Fachwelt hinweggefegt und mit Macht eine europaweite Ausschreibung betrieben, statt wenigstens einen verträglichen Übergang auf bewährte regionale öffentliche und gemeinnützige Träger zu organisieren. 

Da es sich bei Dienstleistungen im Gesundheitswesen nur um so genannte nachrangige Dienstleistungen handelt, wäre eine europaweite Vergabebekanntmachung entbehrlich gewesen. Warum haben Sie nur immer behauptet, dieses Bieterverfahren sei zwingend vorgeschrieben? Nun ja, Sie hofften auf mehr Geld. Und Sie konnten allen Diskussionen über regionale Lösungen, auch in Ihren eigenen Reihen, fein aus dem Weg gehen. Sie haben die Landeskrankenhäuser europaweit auf den Markt geworfen, ohne dazu gezwungen gewesen zu sein, das möchte ich hier einmal festhalten. Und nebenher den gesamten Landtag an der Nase herumgeführt.

Und was hat die Landesregierung sonst noch erzählt und versprochen?

Erstes Versprechen: Es solle ein chancengleiches Verfahren geben.

Noch im Maiplenum erklärte die Sozialministerin das Bieterverfahren: "In Betracht kommende Interessenten erhalten dann Informationsmaterial und ein Begleitschreiben, in dem sie über den weiteren Verlauf des Verfahrens informiert werden. Im Juli können sich die Teilnehmer dann über den Datenraum die Informationen holen, die sie brauchen, um ein verbindliches Angebot abgeben zu können."

Was dann geschah, hat damit nichts zu tun. Der Psychiatrieverbund Oldenburger Land ist zum Beispiel überhaupt nicht in den Datenraum gelassen worden und konnte daher auch kein verbindliches Angebot abgeben.

Nachdem dies öffentlich wurde und auch die örtlichen CDU-Abgeordneten im Kommunalwahlkampf unruhig wurden, gab es eine Beruhigungspille aus dem Ministerium: Es handele sich nur um eine "Zurückstellung", der Bieter sei in einer "Warteschleife".

Diese Sprachkosmetik kann nicht verdecken, was hier in Wirklichkeit passiert ist. Dieses erste informelle Ausschlussverfahren hat den alleinigen Grund, unliebsame Anbieter aus dem Rennen zu nehmen und nur noch finanzkräftigen Konzernen, bei denen mit einem hohen Verkaufserlös zu rechnen ist, Zugang zum weiteren Verfahren zu gewähren.

Versprochen gebrochen, das ist nicht chancengleich!

Von Chancengleichheit der verschiedenen Anbieter kann doch keine Rede sein, wenn Bieter bereits vor Abgabe eines verbindlichen Angebots aus dem Verfahren ausgeschlossen werden. Erst durch den Zugang zum Datenraum wird die Abgabe eines präziseren Angebots möglich.

Die Ministerin hatte es präzise so formuliert: "Weil sich in diesem Datenraum sehr sensible Daten befinden, wollen wir ihn nicht für alle öffnen, aber natürlich sehr wohl für jeden Interessenten, der ein Angebot abgeben will."

Sie hat nicht gesagt: "Jeder Interessent, der ein Angebot abgeben darf". Aber genau so ist es dann passiert. Jetzt frage ich mich natürlich: Hat die Ministerin es zu diesem Zeitpunkt nicht besser gewusst? Das wäre schlimm, noch schlimmer aber wäre, wenn sie dem Parlament diesen Bären mit voller Absicht aufgebunden hätte.

Zweites Versprechen: Das Verfahren solle fair sein.

Auch hier möchte ich wieder die Ministerin zitieren: "Nach der VOL ist es nicht so, dass der, der den höchsten Preis bietet, automatisch den Zuschlag erhält, sondern dabei handelt es sich um ein Verhandlungsverfahren, und in diesem Verhandlungsverfahren werden die einzelnen Kriterien gewichtet."

Aber warum werden dann Bieter aus dem Verfahren geworfen, ehe sie überhaupt die Chance haben, ein substanzielles Angebot abzugeben? Es gibt ja, so wie Sie es machen, überhaupt keine Chance mehr zu Verhandlungen. Das ist Willkür!

Und selbst wenn ein Bewerber aus der Warteschleife doch noch zum Datenraum und zu weiteren Verhandlungen zugelassen würde, wäre er doch zumindest in zeitlicher Hinsicht gegenüber den anderen benachteiligt.

Auch hier: Versprechen gebrochen, fair ist das nicht!

Drittes Versprechen: Das Verfahren solle transparent sein!

Ihr Vorgehen, nämlich zusätzliche Verfahrensschritte einzubauen, um Bewerber aus dem Verfahren zu werfen, ist nicht in der EU-Bekanntmachung erwähnt. Ein Interessent durfte nach dem Bekanntmachungstext davon ausgehen, bei Erfüllung der Teilnahmebedingungen und Auswahl aus dem Kreis der geeigneten Bewerber vom Land zur Angebotsabgabe aufgefordert zu werden und dann mit diesem in Verhandlungen treten zu können.

Wenn ein Interessent anhand der einleitenden Bekanntmachung nicht erkennen kann, unter welchen Voraussetzungen er nach Auswahl als geeigneter Bewerber mit dem Land in Verhandlungen treten kann, ist das Transparenzgebot verletzt.

Versprechen gebrochen, und das zum dritten Mal. Was denken Sie sich eigentlich dabei?

Und es ist ja nicht nur so, dass Sie den gesamten Landtag mit ihren gebrochenen Versprechen von Transparenz, Fairness und Chancengleichheit hinter die Fichte führen, es ist ja noch viel schlimmer:

Sie stellen das gesamte Verfahren in Frage, denn Sie verletzen sowohl das Transparenzgebot als auch das vergaberechtliche Gleichbehandlungsgebot.

Sie bewegen sich hier auf sehr dünnem Eis, denn sie riskieren erfolgsträchtige Klagen unterlegener Bieter und damit Schadensersatzforderungen gegen das Land. Da könnte Herr Möllring dann einen Teil der vielen Euros, auf die er sich schon so lange freut, gleich wieder abgeben.

Daneben wurde im Zuge des Bieterverfahrens offenkundig, dass Beziehungen zwischen der vom Land beauftragten Beratungsgesellschaft und einzelnen mitbietenden internationalen Klinikkonzernen bestehen. Vor diesem Hintergrund gibt es natürlich erhebliche Zweifel an der Neutralität der Beratungsgesellschaft. Und selbst wenn dabei formaljuristisch alles in Ordnung und der "böse Schein" einer Interessenkollision nicht justiziabel ist - das hat mehr als ein Geschmäckle, das nähert sich im Gesamtzusammenhang schon mehr einem Hautgout.

Wir haben erhebliche Zweifel daran, ob die Landesregierung wirklich bereit ist, qualitative Kriterien so hoch zu gewichten, dass regionale öffentliche und gemeinnützige Träger eine faire Chance auf Erteilung des Zuschlags haben. Zwar wurden inzwischen die Kriterien im Ausschuss mitgeteilt, ihre letztliche Gewichtung ist aber nicht transparent.

Wollen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition wirklich am Ende mit Ihrer Zustimmung zum Verkauf auch diesem dubiosen Verfahren zustimmen? Einem Verfahren, das nichts von dem einhält, was dem Parlament versprochen wurde? Einem Verfahren, das nicht vergaberechtskonform ausgestaltet ist? Einem Verfahren, das die Vorsitzende des Sozialausschusses, Frau Kollegin Meissner, klärungsbedürftig findet? Einem Verfahren, das auch CDU-Abgeordnete vor Ort kritisieren und zum Beispiel die Wiederzulassung des Psychiatrieverbundes Oldenburg fordern? Oder sehen sie das jetzt nach Beendigung des Kommunalwahlkampfes anders, Herr Biestmann?

Damit der Landtag nicht erst am Ende des Verfahrens lediglich durch seine Zustimmung zur Vermögensveräußerung Einfluss nehmen kann, müssen die Verkaufskriterien jetzt endlich, einschließlich ihrer präzisen Gewichtung diskutiert und festgelegt werden.

Da die Festlegung der Gewichtung der Angebote vor Öffnung der Angebote zu erfolgen hat, muss das Bieterverfahren auch aus diesem Grund unterbrochen werden.

Die gesamten bisherigen Vorgänge nähren doch erhebliche Zweifel an dem gesamten Verfahren. Es sieht doch wohl so aus: Sie wollen einige kommunal bzw. regional vorhandene Träger zum Zuge kommen lassen. Damit das Einnahmeziel erreicht werden kann, drücken Sie aber mit Macht örtliche Bewerber aus dem Verfahren raus und privatgewerbliche Interessenten rein, weil die mehr bieten und damit den Finanzminister zufrieden stellen können.

Anrede,

Das Verfahren zur Bieterreduzierung ist nicht vergaberechtskonform.

Es drohen nun Klagen unterlegener oder ausgeschlossener Bieter, die mit erheblichen finanziellen Risiken für das Land einhergehen. Diese Serie von Unstimmigkeiten und Undurchsichtigkeiten muss endlich beendet werden. Um den möglichen Schaden zu begrenzen, muss der Landtag jetzt die Reißleine ziehen und seine politischen Steuerungsmöglichkeiten nutzen. Wir beantragen sofortige Abstimmung.

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