Rede U. Helmhold: Vorlage eines Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung

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Landtagssitzung am 15.05.2003

TOP 35: Vorlage eines Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung

Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. So steht es schon seit neun Jahren im Grundgesetz.
Die Lebenswirklichkeit behinderter Menschen ist allerdings noch weit davon entfernt.
Offenbar gilt für diese Verfassungsaussage das, was für viele andere auch gilt, nämlich: Um vom Verfassungsanspruch zur Verfasssungswirklichkeit zu kommen, muss noch eine Menge Arbeit geleistet werden.
Da reicht es auch nicht, schlicht umzudenken, sondern da braucht es ein erhebliches Maß an Neu- und Umorganisation.
Bei der Beschäftigung mit der Vorgeschichte dieses Antrags erschienen mir die Vorgänge um ein Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderungen wie eine unendliche Geschichte, in deren Verlauf sich insbesondere die heutigen Antragsteller nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben.
Im September 1999 wurde vom Landesbeauftragten für die Belange Behinderter der Entwurf eines Landesgleichstellungsgesetzes vorgelegt und mit VertreterInnen der Behinderten breit und ausgiebig diskutiert.
Auch am Tag der Behinderten im Mai 2000 fand sich die damalige Sozialministerin Merk nicht bereit, diesen Gesetzentwurf ihres eigenen Beauftragten anzunehmen, so dass sich unsere Fraktion entschloss, ihn in die Landesberatungen einzubringen. Auf dieser Grundlage wäre eine produktive und seriöse Beratung möglich und sinnvoll gewesen.
Leider hat die damalige SPD-Fraktion die Beratungen systematisch verzögert, indem sie im September 2001 mit einem Entschließungsantrag ihrer eigenen Landesregierung auftrug, nach Vorlage des Bundesgleichstellungsgesetzentwurfs zügig Regelungen auf Landesebene zu schaffen. Von zügig konnte dann aber nicht die Rede sein, denn auch die Nachfolgerin von Frau Merk, Frau Dr. Trauernicht ließ sich Zeit bis zum Dezember 2002 und konnte den verschleppten Gesetzentwurf dann in aller Ruhe der Diskontinuität anheim fallen lassen.
Nun macht die SPD-Fraktion mit ihrem Antrag der Landesregierung zur Pflicht, bis Oktober 2003 einen Gesetzentwurf vorzulegen. Das allein ist schon befremdlich.
Noch mehr staunt man darüber, dass der Antrag zum Beispiel bei dem Wunsch nach stärkerem Ausbau der integrativen Beschulung weit über den Entwurf der alten Landesregierung hinausgeht.
Bei Betrachtung des gesamten Spektakels um das Gesetz müssen sich die Behinderten verhöhnt vorkommen. Ihre berechtigten Anliegen wurden auf eine unendlich lange Bank geschoben, sie müssen sich in der Behandlung ihrer legitimen Forderungen als Menschen zweiter Klasse in Niedersachsen vorkommen.
Anrede,
es wird wirklich Zeit, dass im Interesse der Betroffenen etwas passiert.
Alle Regelungen eines solchen Gesetzes müssen darauf gerichtet sein, Menschen mit Behinderungen ein möglichst autonomes Leben zu ermöglichen. Dabei ist der Gedanke der Diskriminierungsabwehr mit dem Gedanken der Förderung und Unterstützung zu verbinden.
Es muss um Selbstbestimmung und Selbstorganisation der betroffenen Menschen gehen.
Um Mitbestimmung und Mitsprache.
Um Integration in Kindergarten, Schule, Hochschule und Arbeitswelt.
Um Zugang zu Gebäuden, öffentlichem Raum und Personennahverkehr.
Dabei, und das ist mir wichtig, sind vor allen Dingen die Betroffenen einzubeziehen.
Die Betroffenen sind immer die wirklichen Experten für ihre jeweilige Situation. Ihre Interessen gehören in den Mittelpunkt der gesetzgeberischen Betrachtungen, Überlegungen und Handlungen.
Das muss, jenseits von Sonntagsreden, in der nächsten Zukunft bewiesen werden.
Und es muss jetzt zügig geschehen.
Es steht zu hoffen, dass das Gesetz noch vor dem Ende des europäischen Jahres der Behinderten beschlossen werden kann .
In diesem Sinne freue ich mich auf die anstehenden Beratungen.

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