Rede Thomas Schremmer: Haushaltsberatungen 2015 - Bereich Soziales und Gesundheit

„Von Armut bedroht zu sein gefährdet die individuelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und in erheblicher Weise unser demokratisches Miteinander – und: Armut in einem Land mit großen Reichtümern wirkt auf die Betroffenen besonders erniedrigend! Deswegen gehen wir in der Armutsbekämpfung mit diesem Haushalt unseren Weg in ein Niedersachsen mit Chancen und Teilhabe aller Menschen weiter!“

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede

Niedersachsen geht mit diesem Haushalt seinen teilhabeorientierten Weg in der Gesundheits- und Sozialpolitik weiter.

Zur politischen Liste folgende kurze Anmerkungen.

Es kann mittlerweile kaum bezweifelt werden, dass die Sicherstellung (stationärer und ambulanter) medizinischer Versorgung eine drängende Aufgabe ist. So werden wir auch in diesem Jahr zusätzliche Mittel in Höhe von 6 Millionen Euro für Strukturhilfen im Bereich der stationären Krankenversorgung für ganz Niedersachsen bereitstellen. Wieder zeigt sich, wie richtig die Entscheidung war, mit allen Beteiligten regelmäßige Gespräche zur Krankenhaus-Struktur in den Regionen und Landkreisen zu führen! Stattdessen Einzelprojekte zu fokussieren und die Selbstverwaltungsentscheidungen im Planungsausschuss außen vor zu lassen, wie die FDP es vorschlägt, ist falsch (auch wenn das KH in Salzgitter sehr gute Arbeit macht). Die Einigung auf Bundesebene in der Bund-Länder-AG Krankenhausreform unterstützt diese Bemühungen, weil sie den Bedarf der Länder reflektiert. (z.B. durch die 500 Mio. € Strukturhilfen und die in Aussicht gestellten Sicherstellungszuschläge bundesweit)

Die Verbände der freien Wohlfahrt haben durch das gestern beschlossene Gesetz mehr Sicherheit für die soziale Arbeit erhalten. Die dafür erforderlichen Mittel erhöhen wir um 1 Mio. €, was einen Teil der gestiegenen Kosten berücksichtigt (im Gegensatz zur CDU, die zwar dem Gesetz zustimmt, aber das Geld wieder rausnimmt über ihren HH-Entwurf) Ich finde im Übrigen, dass dies gut angelegtes Geld ist, weil es sich bei den meisten Aufgaben um erforderliche, ja unverzichtbar gewordene sozialstaatliche Daseinsvorsorge handelt. Die beteiligten Verbände handeln also in unser aller Namen und nicht ausschließlich als „Wohlfahrtsorganisationen“ oder gar im Sinne eines „Almosenwesens“.

Anrede

Gleichwohl müssen wir die gesamtgesellschaftlichen Anstrengungen erhöhen!

Zentrale Aufgabe dabei ist aus meiner Sicht die Beseitigung bereits bestehender und verfestigter Armutsrisiken! Von Armut bedroht zu sein gefährdet nicht nur die individuelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, sondern aus meiner Sicht in erheblicher Weise unser demokratisches Miteinander – und: Armut in einem Land mit großen Reichtümern wirkt auf die Betroffenen besonders erniedrigend!

Mittlerweile gehen wohl ca. 2 Millionen Menschen zu den Tafeln oder Suppenküchen- Alleinerziehende, Wohnungslose Geringqualifizierte und MigrantInnen sind zu über 50% von Armut bedroht.

Anrede

Wer länger als ein Jahr arbeitslos ist (das sind inzwischen über ein Drittel aller Erwerbslosen!!), kann ziemlich sicher damit rechnen, arm zu werden. Daran ändert leider auch das von der Bundesarbeitsministerin vorgelegte Konzept nichts, das ja auch ohne zusätzliche Finanzmittel auskommen soll! (nur ESF, ansonsten null, erreicht max. 43000 Betroffene ohne dauerhaft zu wirken).

Übrigens ist auch mit Blick auf die Armutsgefährdung ein Bundesteilhabegesetz nötig, das diesen Namen auch verdient! Denn Armut ist auch bei Menschen mit Behinderungen ein erheblich diskriminierender Faktor: 30% aller alleinlebenden 25-45j. mit Behinderungen haben ein Einkommen <700€ - bei denen ohne Behinderung sind es hingegen 19%!

Es entsteht also Perspektivlosigkeit, der entscheidende Nährboden für soziale Unruhe und gruppenbezogene Menschen- und Fremdenfeindlichkeit, das zeigen aktuelle Entwicklungen wie die Demos von Hooligans, PEGIDA o.ä. Gruppierungen. Ich bezweifle, dass wir PolitikerInnen (oder auch die 42.000 Millionäre (18 Milliardäre) z.B. allein in Hamburg) hier wirklich nur zusehen können!

Nun gehören die Reform der Eingliederungshilfe und die Umsetzung der UN-BRK-Konvention auf Bundes- und Landesebene zu den anstehen großen Reformvorhaben in der Bundesrepublik. Die Große Koalition in Berlin hat verabredet, die Eingliederungshilfe aus dem bisherigen „Fürsorgesystem“ des SGB XII (Bundessozialhilfegesetz) herauszuführen und die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterzuentwickeln. Zugleich sollen Mittel an die Kommunen in Höhe von 5 Mrd. € jährlich zu deren Entlastung vergeben werden. Doch ein Jahr nach Beschluss des Koalitionsvertrages droht die Umsetzung dieser Ziele zwischen verschiedenen Interessen zerrieben zu werden. Die Kommunen haben inzwischen mit Unterstützung des Bundesfinanzministers aber auch des Bürgermeisters Scholz in einem ersten Anlauf (1 Mrd. €) erreicht, dass die Stoßrichtung der Entlastung in der Erhöhung des Bundesanteils an den Kosten der Unterkunft liegen soll.

Für uns ist aber entscheidend, dass die inhaltliche Reform der Eingliederungshilfe und die Entlastungen der Träger der Eingliederungshilfen (Länder und Kommunen) nicht voneinander getrennt werden dürfen. Auch muss der Bund anteilig die Finanzierung der Teilhabeleistungen übernehmen und ein Teilhabeleistungs-recht mit einheitlichen Kriterien schaffen.

Ziel bei der Umsetzung der UN-BR muss die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse für Menschen mit Behinderungen sein.

Anrede

Wenn also Herkunft, Alter, Geschlecht und Bildungsniveau Chancengleichheit und Teilhabe verhindern, dann ist es auch absolut richtig, unsere Kinder nicht nach diesen Kriterien zu trennen – dazu gehört

  • gemeinsames Lernen,
  • tradierte Geschlechterrollen hinterfragen,
  • Betreuungsgeld abschaffen und (vernünftiger) in Kindertagesstätten investieren, sowie
  • Die Integrationsarbeit mit und für MigrantInnen zu stärken und zu erweitern
  •  und nicht zuletzt auch die Etablierung eines sozialen Arbeitsmarktes mit relevanten Anteilen öffentlich geförderter Beschäftigung und einen echten Passiv-Aktiv-Transfer bisheriger Leistungen!!

Gerechtigkeit und Teilhabe, liebe Kolleginnen und Kollegen sollten uns also nicht nur zur Weihnachtszeit bewegen – lassen Sie uns gemeinsam in Bund und in den Ländern dafür streiten.

 

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