Rede Stefan Wenzel: Schlusserklärung zur Haushaltsdebatte 2008

 

Anrede,

am Mittwoch wurden hier vorne die Schaubilder hochgehalten. Es war schon bezeichnend für diese Haushaltsdebatte, dass alle gezeigten Bildchen sich mit der Vergangenheit beschäftigt haben. Zwei Tage hat uns die Regierung und haben uns die Koalitionsfraktionen erzählt, was sie in der Vergangenheit alles Schönes gemacht hat.
Wir haben bemerkenswert wenig von Ihnen über die Zukunft gehört und die Herausforderungen, die auf uns zukommen.

Ich will zwei nennen: Den Klimawandel und die Globalisierung.

Zwei mächtige Hebel, die unsere Art zu leben, zu arbeiten und zu wirtschaften massiv beeinflussen werden! Damit hängen viele Fragen zusammen:

  • Die Frage, wo künftig sichere, gut bezahlte und zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen.
  • Die Frage, wie unsere soziale Infrastruktur erhalten werden kann.
  • Die Frage, was wir tun müssen, um unser Klima, unsere Natur, unsere Landschaft und unsere Küsten zu schützen.

Anrede,

wir dürfen die Bedeutung des Landtages nicht überschätzen – wir sind nicht die einzigen Akteure, aber wir müssen uns bewusst machen, dass von den Entscheidungen des nächsten Parlaments und der neu zu wählenden Regierung zentrale Weichenstellungen vorgenommen werden müssen.

Wir stellen fest:

Die amtierende Landesregierung hat diese Herausforderungen nicht erkannt.

Sie ist zu diesen Weichenstellungen nicht bereit und nicht in der Lage.

Sie will die Chancen nicht nutzen, diese Landesregierung bleibt in der Vergangenheit haften.

  • Sie favorisieren eine Technologiepolitik, die auf neue Kohlekraftwerke, alte Autobahnen und künstliche Schneehügel setzt.
  • Sie favorisieren eine Bildungspolitik, die zu viele Kinder entmutigt.
  • Und auf eine Integrationspolitik, die Einwanderer als Belastung und Kostenfaktor sieht.
  • Und Sie folgen einem Gesellschaftsbild, das Frauen mit Betreuungsgeld an Heim und Herd bindet.

Anrede,

im Jahr 2020 - so sagen Wirtschaftsforschungsinstitute voraus - wird der Umsatz der Umwelttechnologiebranche den Umsatz der Automobilindustrie überrunden und weiter steil ansteigen.

Die Automobilindustrie ist heute einer der wichtigsten Wirtschaftszweige, aber er stagniert seit mehreren Jahren. In diesem Jahr lief der Absatz neuer Fahrzeuge äußerst schleppend. Für ein Bundesland wie Niedersachsen, dessen Bruttoinlandsprodukt im Wesentlichen von einem großen Automobilkonzern und seinen Zulieferern abhängt, ist das keine beruhigende Nachricht.

Die schwierige Entwicklung und die Entlassungen bei Karmann werfen ebenfalls ein grelles Licht auf die Entwicklung am Automobilmarkt. Auch die niedersächsische Luft- und Raumfahrtindustrie steht vor schweren Entscheidungen. In Varel und Nordenham wird sich entscheiden, ob Niedersachsen den Anschluss an die neue CFK-Leichtbau-Technologie findet, oder ob hier nur noch die Werkbänke für auslaufende Modelle stehen.

Bei VW sitzt der niedersächsische Ministerpräsident derzeit am Katzentisch. Den Ton geben andere an. Fünf Jahre hatten Sie Zeit, um die Krise bei Karmann zu erkennen und Beratung und Unterstützung für eine technologische Neuorientierung oder für neue Aufträge zu leisten. Erst als das Kind bei Airbus in den Brunnen gefallen war haben Sie erkannt, dass CFK eine Schlüsseltechnologie ist. Jetzt droht eine Abwanderung wichtiger Investitionen nach Augsburg in Bayern.

Anrede,

fünf Jahre hatten Sie Zeit den Tiefwasserhafen zu planen. Das Desaster zu beschreiben erspare ich mir an dieser Stelle. Wir können ja täglich nachlesen, wie sich Ihre Geschäftsführer öffentlich der Lüge bezichtigen. Und wie Ihr Staatssekretär und Ihr Minister wieder einmal versuchen, ihre Hände in Unschuld zu waschen.
Und dann musste Ihnen die Bauindustrie mit einem Gutachten der Uni Hannover vorrechnen, dass Sie die Hinterlandverbindungen der Eisenbahn vergessen haben und noch nicht einmal die Elektrifizierung der Strecke nach Wilhelmshaven in trockenen Tüchern haben.

Die Offshore Windparks hängen auch hinterher – erst haben Sie die "Spargel" bekämpft und dann nur halbherzig geplant. Jetzt hat Herr Sander wohl versehentlich sogar in Holland geplant – mit noch nicht absehbaren Folgen.

Das Projekt Weserrenaissance: Das war keine Wiedergeburt Herr Hirche – das war eine Totgeburt. Teuer und dilettantisch.

Anrede,

wie kommt es zu dieser Häufung von Pannen und Fehlentscheidungen?

Was haben all diese Beispiele gemeinsam?

Es geht um Arbeitsplätze! Es geht um viele Arbeitsplätze! Es geht um verpasste Chancen. Es geht immer auch um technologische Neuorientierung. Um Kreativität und um Innovation.

Anrede,

und welche Rolle haben Sie dabei gespielt Herr Wulff? Lange Zeit gar keine. Sie waren mit Ihrer Karriere beschäftigt. Sie waren mehr in Berlin als in Hannover, klagte Ihre Fraktion. Sie haben die Kultusministerkonferenz belehrt und an der Rechtschreibreform rumgemäkelt. Zu jeder bundespolitischen Sau, die durchs Dorf getrieben wurden, mussten Sie einen Kommentar abgeben. Und dann sind Sie über das Land gezogen und haben Funkenmariechen und Pinguine geküsst.

Anrede,

bei der kommenden Wahl geht es um die Herausforderungen von Morgen. Da geht es um die Frage, ob die niedersächsische Wirtschaft die technologische Neuorientierung schafft. Da geht es um die Frage, ob die Umwelttechnologiebranche in Niedersachsen investiert und hier Arbeitsplätze schafft. Ob Arbeitsplatzverluste in der Automobilindustrie kompensiert werden können. Da geht es um die Frage, ob Volkswagen ein Autokonzern bleibt, oder ein Umwelttechnologiekonzern mit Lösungen für die Mobilität von Morgen wird.

Anrede,

ich will noch eine weitere wirtschaftspolitische Weichenstellung ansprechen, die sie verschlafen.

Unsere mittelständischen Unternehmen konkurrieren heute mit Firmen in Taiwan, Korea, Japan, Brasilien, China. Sie brauchen die besten Mitarbeiterinnen und die kreativsten Köpfe, die es gibt.

Und wie findet man diese MitarbeiterInnen? Am Besten indem man sie selber ausbildet. Am Besten, indem man unsere Kindergärten, Schulen und Hochschulen so gestaltet, dass Kreativität, Eigeninitiative, Teamfähigkeit, Selbstbewusstsein, Mut und Neugierde gefördert werden.

Davon sind unsere Schulen weit entfernt, meine Damen und Herren. Noch bevor unsere Kinder die verschiedenen Berufe kennen lernen oder ahnen welche Berufe es gibt, hat die Landesregierung längst festgelegt, dass die Zukunftswege vieler Kinder verbaut werden. Hat Minister Busemann Kinder längst in Sackgassen geschickt oder hat entschieden, dass sie Sozialhilfeempfänger werden sollen. Nichts anderes blüht einem Kind, das von Ihrem gegliederten Schulwesen ohne Schulabschluss entlassen wird.

Wenn hier nicht umgesteuert wird in Richtung einer Schule, die befähigt, die beflügelt, die belebt, dann wird es schwer. Und ich sage Ihnen eins. Unsere Idee von Schule wird sich dem Wettbewerb stellen. Wir sind überzeugt, dass sie besser ist. Wir werden sie in Kooperation mit den Schulträgern einführen und wir werden allen Schulen, die am Anfang nicht sofort dabei sind, sehr gute Qualitätsstandards abverlangen.

Anrede,

am Ende Ihrer Regierungszeit haben Sie den Niedersachsen ein lausiges Geschäft anzubieten. Sie werfen Ihr lächelndes Fernsehgesicht und Ihre steile Popularität in die Waagschale und wollen, dass darunter die Kreuze gemacht werden.

Aber wer Wulff wählt, der wählt das Versagen im Klimaschutz, das Festhalten an den atomaren Risiken, das Missmanagement in seinem Wirtschaftsressort, den Überwachungswahn und die Verfassungsbrüche seines Innenministers, die Gentechniklobby in der Landwirtschaft, die Zögerlichkeit in der Sozial-, Jugend- und Familienpolitik, die Schattenhaushalte, die Studiengebühren und den emsländischen Quadratschädel, der partout nicht begreifen will, wie die Schule von morgen aussehen muss.

Ich kann den Niedersachsen nur sagen: Schauen Sie sich genau an, was Sie am 27. Januar auf dem Stimmzettel unterschreiben.

Die Wahl ist kurz, die Reu' ist lang.

Der heute vorliegende Haushalt enthält nicht die notwendigen Weichenstellungen für die Zukunft Niedersachsens. Er verwaltet den Status quo. Wir werden ihn deshalb ablehnen.

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