Rede Stefan Wenzel: Haushalt 2005 und Haushaltsbegleitgesetz
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Anrede,
diese Landesregierung hat sich vorgenommen, die Eigernordwand der niedersächsischen Finanzpolitik zu bezwingen. Gut gejodelt, Herr Ministerpräsident!
Aber gestatten Sie den Hinweis: Der Gipfel des Eiger liegt auf 3970 Metern Höhe. Einschlägige Bergführer schreiben darüber– ich zitiere: "Seine Nordwand bricht 1800 Meter steil in die Tiefe. Dunkle, tiefe Felsschluchten wechseln sich mit gigantischen Eisfeldern ab, und häufig lösen sich unvorhergesehene Stein- und Eislawinen”¦Es gibt nicht viele vergleichbare Anstiege, die sowohl bei unbedarften Touristen als auch bei Profi-Kletterern eine Gänsehaut erzeugen." Zitat Ende.
Herr Möllring, "Gänsehaut" ist das richtige Stichwort, wenn wir auf Ihre Haushaltspolitik schauen. Gestern ließen Sie per Pressemitteilung verbreiten, dass Sie "die Wende zu einer nachhaltigen Finanzpolitik konsequent fortsetzen wollen."
Mit Ihrem Haushaltsentwurf und der Mittelfristigen Finanzplanung werden Sie Mühe haben, das Gipfelkreuz auf den knapp 340 Meter hohen Hildesheimer Bergen zu errichten.
Anrede,
Sie haben eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die den Landeshaushalt entlasten. Sie haben uns aber zugleich einen Haushaltsplanentwurf vorgelegt, der die Nettoneuverschuldung gegenüber dem Vorjahr ausweitet. Die Veräußerung von Stammkapitalanteilen der Nord/LB an die landeseigene Hannoversche Beteiligungsgesellschaft ist ein Schattenhaushalt. Ein Kredit, der zusätzlich zu den vom Landtag zu bewilligenden Krediten aufgenommen werden soll. Ein Kredit, der die Nettoneuverschuldung über die Marke des Vorjahres treibt. Ihre Behauptung, die Nettokreditaufnahmen um 350 Mio. Euro zu senken ist eine Täuschung der Öffentlichkeit. Sie hat mit der Wirklichkeit nichts, aber auch gar nichts gemeinsam.
Anrede,
Sie haben vor eineinhalb Jahren eine neue Seriösität in der Haushalts- und Finanzpolitik angekündigt. Stattdessen haben Sie mit dem Amtsantritt einen alten statistischen Trick angewandt. Das Niveau der letzten Nettoneuverschuldung der Regierung Gabriel, haben Sie zur neuen Meßlatte erklärt. Im Jargon der Statistiker hieß das: "Nachtragshaushalt 2003 gleich 100." Das war Ihre neue Basis. Von hier aus sind Sie angetreten, die Nettoneuverschuldung zu senken. Dabei haben Sie unterschlagen, dass diese gigantische Neuverschuldung zu einem guten Teil der Begleichung der Kosten aus dem verlorenen Prozess mit der BEB geschuldet war. Hierbei sollte es sich eigentlich um einen einmaligen Ausrutscher handeln. Sie haben dieses Niveau der Nettoneuverschuldung zum neuen Standard gemacht und listig versprochen, dass Sie Jahr für Jahr 350 Mio. Euro unter diese Marke gehen wollen. Jetzt haben Sie selbst diese Meßlatte gerissen und reiten das Land noch tiefer in die Schulden.
Anrede,
bis ins Jahr 1955 reichen die Aufzeichnungen des Statistischen Bundesamtes zur Staatsverschuldung zurück. In sämtlichen Jahren ist die Verschuldung der öffentlichen Haushalte immer nur angestiegen. Besonders stark waren die Anstiege in Deutschland nach der Ölkrise und nach der Wiedervereinigung. Niedersachsen bildete in der Vergangenheit keine Ausnahme und bildet auch unter der Regierung Wulff keine Ausnahme. Und Sie, Herr Minister Möllring, werden einer der größte Schuldenmacher in der Geschichte des Landes Niedersachsen sein. Von allen Steuern, Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen werden 2005 laut Ihrer Finanzplanung 17,1 Prozent für Zinsen ausgegeben. Im Landesrechnungshof diskutiert man schon die Frage, ob der "Point of no return" erreicht oder sogar schon überschritten ist.
Anrede,
auch der Bundeshaushalt erreicht in diesem Jahr einen neuen Negativ-Rekord. 43,7 Mrd. Euro neue Schulden erwartet Hans Eichel in seinem Nachtragshaushalt. Auch diese Zahl ist nicht tolerabel. Sie ist viel zu hoch.
Anrede,
die Geschichte kennt nur wenige Beispiele für eine erfolgreiche Haushaltsanierung. Beispiele für eine gescheiterte Sanierung der Staatshaushalte gibt es hingegen zahlreiche.
Im Kern läuft eine überbordende Staatsverschuldung auf eine Privatisierung von Kernbereichen des Staates hinaus. In Niedersachsen werden im Jahr 2005 bereits 17,1 Prozent der Steuereinnahmen an private Gläubiger abgeführt. Dabei befinden wir uns nicht in Schlechtwetterzeiten. Im Gegenteil - wichtige Rahmendaten sind trotz aller Unkenrufe einiger Unternehmerverbände besser als ihr Ruf:
 Wir haben sehr niedrige Zinsraten
 Wir haben für entwickelte Volkswirtschaften ein durchschnittlich gutes Wachstum
 Wir spüren nachteilige Folgen der demographischen Entwicklung bislang nur
 ansatzweise.
Anrede,
Sie, Herr Wulff und Herr Möllring spielen in dieser Situation ein doppeltes Spiel. Sie kritisieren die Verschuldung des Bundes. Im Land sprechen Sie von Konsolidierung, aber erhöhen die Nettoneuverschuldung mit Schattenhaushalten. Zugleich verweigern Sie sich im Bundesrat einer Politik des Subventionsabbaus, der die Haushalte von Bund und Land sehr spürbar entlasten könnte. Die Abschaffung der Eigenheimzulage ist überfällig, das hat Ihnen heute auch die größte niedersächsische Zeitung ins Stammbuch geschrieben. Ebenso überfällig sind die Begrenzung der Entfernungspauschale und die Aufhebung der Steuerfreistellung von Flugbenzin, um nur drei markante Beispiele zu nennen.
Allein 2004 fehlen im Landeshaushalt Mehreinnahmen in der Größenordnung von mindestens 300 Mio. Euro, die auch Jahr für Jahr die Mipla und die Zinskosten entlasten würden.
Außerdem blockieren Sie im Bundesrat eine gerechte Bewertung von Immobilienbesitz im Erbfall. Hier macht selbst der Bundesfinanzhof schon Druck. Jahr für Jahr fehlen dem Land 50 Mio. Euro in der Kasse.
Auch eine konsequente Bekämpfung der Steuerhinterziehung können wir von Ihnen offenbar nicht erwarten. Sie schwächen die Finanzämter durch planlose Kürzungsmaßnahmen, die man beim besten Willen nicht als Verwaltungsreform bezeichnen kann.
Anrede,
bei der Steuerhinterziehung machen Sie den Softie, Herr Minister Möllring. Aber beim Blindengeld und beim Weihnachtsgeld geben Sie den "Dirty-Hartmut". Frau Ministerin von der Leyen propagiert die Abkehr vom einkommensunabhängigen Nachteilsausgleich für blinde Menschen. Angeblich aus Gründen der Gerechtigkeit. Aber, Frau von der Leyen, haben Sie eigentlich mal Ihren Kollegen Landwirtschaftsminister gefragt, warum er sich nicht für eine einkommensabhängige Zahlung von Subventionen in der Landwirtschaft einsetzt. Da gäb es doch wahrlich ein weites Betätigungsfeld. Warum fangen sie jetzt ausgerechnet bei den Blinden mit der Durchsetzung dieser Prinzipien an.
Und wie ist es beim Weihnachtsgeld im einfachen und mittleren Dienst, Herr Wulff, Frau von der Leyen und Herr Möllring. Obwohl hier nach Ihrer Kürzung netto nicht viel mehr als der Sozialhilfesatz übrig bleibt, scheuen Sie eine Auseinandersetzung mit den Ärzten, die immer noch erhöhte Beihilfeabrechnungen auf Staatskosten erstattet bekommen.
Anrede,
weil Sie im Bundesrat blockieren, müssen Sie auf anderen Feldern einsammeln. Ihre teure Schulreform wird sich rächen. Schon jetzt wird die Unterrichtsversorgung durch allerlei Tricks beschnitten. Nur auf dem Papier kann Kultusminister Busemann den Schein wahren. Und eines ist schon jetzt klar. In den Regionen, die von der demographischen Entwicklung am stärksten gebeutelt werden, wird man die Erosion der Dreigliedrigkeit schon in Kürze besichtigen können. In diesen ländlichen Räumen wird Ihr System zuerst scheitern. Leiden werden zuerst die Hauptschüler, weil man ihnen keine berufliche Perspektive bietet. Sie zahlen einen hohen Preis für die Durchsetzung Ihrer ideologischen Ziele. 10-15 Prozent der Schülerinnen und Schüler bleiben dabei auf der Strecke und erreichen noch nicht einmal einen Hauptschulabschluss in Ihrem System. Das ist ein bildungspolitischer Skandal!
Anrede,
auch der Umweltminister lebt seine aufgestauten Aggressionen aus. Kompetenz ist zweitrangig. Hauptsache es trifft den vermeintlichen politischen Gegner. Auf der Strecke bleiben Sachkompetenz und ehrenamtliches Engagement. Den Umwelt- und Naturschutzverbänden – seit Jahrzehnten Bewahrer, Schützer und Konservierer einer einzigartigen niedersächsischen Natur- und Kulturlandschaft soll jetzt das professionelle Rückgrat gebrochen werden. Der konservative Koalitionspartner sei gewarnt – schon einmal hat man in Niedersachsen die Zeichen der Zeit verkannt. Vielleicht hat der ein oder andere ja Zeit zumindest die letzte Seite und das Nachwort zu lesen, das der damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl im Juli 1975 in Barsinghausen am Deister für sein Buch verfasst hat.
Anrede,
die Verwaltungsreform sollte das Gesellenstück der Regierung Wulff werden. Zu dem Zahlenschlamassel werde ich jetzt nicht noch mal Stellung nehmen. Ein anderer Punkt ist mir wichtig. Die im Kern richtige Abschaffung der Bezirksregierungen wird leider konterkariert, wenn ein Großteil der Kompetenzen jetzt "weiter oben" bei landesweit zuständigen Landesbehörden und Ministerien gebündelt wird. Wir hätten gerne die Regionen gestärkt, aber hier wurde unser Innenminister von Misstrauen getrieben. Die Kommunen erhalten nur wenig zusätzliche Kompetenzen. Ich fürchte, dass dieser Weg auch aus finanzpolitischer Sicht langfristig nur wenig spart, vielleicht sogar teuer wird.
Anrede,
wir sind erst am Beginn der diesjährigen Haushaltsberatungen. Deshalb habe ich die Hoffnung, dass die Fraktionen hier im Landtag noch eine Reihe von Punkten korrigieren werden. Oder wollen Sie sich Ihr vornehmstes Recht aus der Hand nehmen lassen?
Schließen möchte ich mit einem schönen Zitat: "Wer die subsidiären Strukturen angreift, Ehrenamt in Frage stellt, Bildung beschneidet, soziale Beratungs- und Hilfseinrichtungen austrocknet, der untergräbt auf Dauer das Tragegerüst unserer Lebenswelt selbst."
Kennen Sie das Zitat?
Es stammt von Angela Merkel.
Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht - in seligem Gedenken an Luis Trenker – die Feststellung: "Der (Schulden-) Berg ruft – aber Hartmut Möllring antwortet nicht!"