Rede Ralf Briese:Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung

Meine Damen und Herren,

wieder mal hat der amtierende Innenminister ein Problem mit den Grundrechten. Es ist schon erstaunlich, Herr Minister, wie wenig Sie aus der Vergangenheit gelernt haben. Sie haben seinerzeit eine schwere Niederlage mit ihrem Polizeigesetz zur präventiven Telefonüberwachung eingefahren. Offenkundig halten Sie aber auch höchstrichterliche Rügen und Urteile nicht davon ab, die Grundrechte immer wieder einem Belastungstest zu unterziehen.

Es lohnt sich – meine sehr verehrten Kollegen – sich das Urteil des BVerfG zum niedersächsischen Polizeigesetz noch einmal gründlich durchzulesen. Das höchste deutsche Gericht hat sehr genau den Konflikt und die Schranke zwischen den Grundrechten einerseits und den staatlichen Schutzpflichten andererseits herausgearbeitet.

Und nun hören Sie genau zu, Herr Minister, weil Sie offenkundig Karlsruher Urteile gerne mal ignorieren. Das Bundesverfassungsgericht sagt in schöner Klarheit und Deutlichkeit: Die allgemeinen Eingriffsbefugnisse  des Staates sind umso sensibler anzuwenden, je abstrakter und unkonkreter die allgemeine Gefahrenlage ist. Die Gefahr, dass immer mehr Unschuldige von den Kontrollmaßnahmen betroffen werden können und damit in ihren Freiheitsrechten beschnitten werden, ist umso höher, je weiter die staatlichen Kontrollmaßnahmen in das Vorfeld verlagert werden. Der Staat hat bei seinen Eingriffs- und Kontrollmaßnahmen stets den strengen Maßstab der Verhältnismäßigkeit anzulegen.

Also auf gut deutsch: Je abstrakter die Gefahrenlage und je größer die Menge der unschuldig Betroffenen durch die staatlichen Kontrollen, umso kritischer sind die Eingriffe zu bewerten.

Ähnliche Forderungen hat das Verfassungsgericht auch bei der Rasterfahndung aufgestellt. Die Exekutive hat im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat  nicht das Recht, willkürlich und ungezielt die  Bürger zu kontrollieren. Es gilt in diesem Land eben nicht der dümmliche Satz: "Wer sich nichts zu schulden kommen lassen hat, hat nichts zu befürchten", sondern es gilt der Satz: "Jeder hat das Recht auf Freiheit".  Nur wenn diese Freiheit konkret bedroht ist – und ich bitte dieses Wort zur Kenntnis zu nehmen – erst wenn es konkrete Anzeichen auf eine Gefahr gibt, dann greifen die Schutzpflichten des Staates.

Natürlich soll uns der Staat vor Gefahren schützen und niemand leugnet die Gefahren, die von Terror und Kriminalität ausgehen. Aber die Instrumente, die der Staat zum Schutz seiner Bürger und Bürgerinnen anwendet, müssen zielführend sein! Sie müssen sich einer strengen Erfolgskontrolle unterziehen - und vor allen Dingen müssen sie auch verhältnismäßig sein. Was heißt verhältnismäßig: Keine ungezielten Schrotkugeln bzw. Massenkontrollen, sondern gezielte Maßnahmen, die keine Unschuldigen treffen.

Anrede,

nach dieser allgemeinen Einführung zur Freiheit und Sicherheit, komme ich nun zu den konkreten Moscheekontrollen:

Auch hier hilft uns ein Blick in das Grundgesetz – wirklich ein gutes Gesetz, wenn man von einigen Änderungen der jüngsten Zeit absieht.

Im Grundgesetz steht in Artikel Vier Absatz Zwei der schnörkellose und daher auch allgemeinverständliche Satz:

"Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet."

Ich wiederhole: Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Wir finden in diesem Artikel keine Relativierung – wir finden keinen Satz wie z.B. "das Nähere regelt ein Gesetz" oder "dieses Recht kann durch Gesetz beschränkt werden".

Nein. Klar und eindeutig heißt es: Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Nun frage ich alle hier Anwesenden: Ist die ungestörte Religionsausübung noch gewährleistet, wenn die Polizei vor dem Gebet alle Gläubigen kontrolliert, identifiziert und zum Teil sogar noch abstempelt? Ist die ungestörte Religionsausübung gewährleistet, wenn Gläubige wieder umkehren, weil ein Polizeiaufgebot vor der Moschee wartet?

Ist die ungestörte Religionsausübung gewährleistet, wenn sich Sprecher der Glaubensgemeinschaft über dieses Kontrollgebaren beschweren und diskriminiert fühlen?

Nein – es reicht der gesunde Menschenverstand, um festzustellen, dass die ungezielten Massenkontrollen vor Moscheen angeordnet durch Innenminister Schünemann keine ungestörte Religionsausübung gewährleisten. Die Generalkontrollen sind damit ein klarer Verstoß gegen das Grundgesetz.

Meine Damen und Herren, ich habe in Vorbereitung auf diese Debatte  in verschiedene Grundgesetzkommentare geschaut und der Befund ist eindeutig: Die Gewährleistung der Religionsausübung gilt unbeschränkt. Ich zitiere Herrn Herzog: "Artikel Vier wird zu einem umfassenden Recht auf Handlungsfreiheit, dass sich von der allgemeinen Handlungsfreiheit des Artikels Zwei vor allem durch eine erschwerte Einschränkbarkeit unterscheidet."

Und es geht noch weiter: In Artikel Vier manifestieren sich  gleich mehrere Grundrechtsartikel, nämlich Kernartikel Eins – die Menschenwürde – das religiöse Bekenntnis ist ein menschliches Grundbedürfnis -  aber auch die allgemeine Handlungsfreiheit, die Meinungsfreiheit und sogar die Versammlungsfreiheit kommen hier zum tragen.

Es wirken also verschiedene Grundrechte ineinander. Der Grundrechtsschutz kumuliert – er verdoppelt und verdreifacht sich.

In diesem Lichte sind die diffusen Massenkontrollen daher noch kritischer zu bewerten – der Grundrechtsschutz ist erheblich.

Nun gäbe es ein entscheidendes Gegenargument, welches diese ungezielten Kontrollen vielleicht rechtfertigen könnte. Nämlich eine konkrete Bedrohungslage und deutliche Hinweise, dass schwere Straftaten im direkten Umfeld von Moscheen geplant werden. Nur dann, wenn die Polizei oder der Verfassungsschutz diese Hinweise hätten, gäbe es vielleicht eine Rechtsgrundlage für die ungezielten Kontrollen.  Aber haben  die Kontrollen in der Vergangenheit Terroristen dingfest gemacht? Nein – der Innenminister hat selbst in diesem Haus deutlich gemacht, dass ihm kleine Fische ins Netz gegangen sind, wie bei jeder allgemeinen Polizeikontrolle wo auch immer.

Meine Damen und Herren, um in ein schrankenlos verbürgtes  Grundrecht derart schwer einzugreifen, müssen Sie schon mit mehr kommen, als mit einer allgemeinen Feststellung, dass die Bundesrepublik Teil des weltweiten Gefahrenraumes ist. Ja, das wissen wir und deshalb müssen wir wachsam sein. Aber das gibt uns nicht das Recht, eine Kultur des Verdachtes und der Einschüchterung gegen eine Religion zu praktizieren.

Meine Damen und Herren,

ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass der Innenminister hier eine plumpe und fragwürdige Einschüchterungspolitik betreibt. 

Niedersachsen ist ja ziemlich alleine mit diesen Kontrollen; das ist umso merkwürdiger, als Sie selbst immer wieder betont haben, dass wir kein Schwerpunktbundesland für Terroristen sind.

Diese ungezielten Massenkontrollen vor Gebetshäusern machen vieles wieder kaputt, was es an vertrauensbildenden Maßnahmen und an Dialog mit den Muslimen  gibt. Vertrauen aufbauen dauert lange – es zu zerstören geht sehr schnell.

Die ungezielten Massenkontrollen von Moscheen in Niedersachsen müssen eingestellt werden. Sie verstoßen gegen das Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung, sie haben nicht mal ansatzweise nachvollziehbare Erfolge gebracht und sie zerstören den wichtigen Dialog zwischen den Religionen und dem Staat. 

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