Rede Ralf Briese: Stand der Jugendkriminalität und Sanktionspolitik in Niedersachsen

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Anrede,
ich möchte am Beginn meiner Rede – bevor ich auf die sachliche und inhaltliche Auseinandersetzung zu sprechen komme – noch eine grundsätzliche Bemerkung zum Umgang der Landesregierung mit dem Parlament machen:
Ich finde es befremdlich wie die Justizministerin mit dem Parlament umgeht. Wissen Sie, Frau Ministerin, Sie starten - ähnlich wie Ihr Kollege Schünemann - eine Bundesratsinitiative nach der nächsten. Vieles davon ist mehr als unausgegoren, das Parlament informieren Sie nicht - geschweige denn, dass wir darüber diskutieren.
Die Landesparlamente dürfen sich nicht wundern, wenn Bürger und Medien dass Interesse an ihnen verlieren – wenn sogar die Landesregierung mit ihren Gesetzesinitiativen einfach über das Parlament hinweggeht und so ihre Missachtung kundtut.
Anrede,
mit der Politik in Sachen Jugendkriminalität ist das ganz ähnlich. Die Landesregierung startet mehrere Bundesratsinitiativen, ohne dass es eine Debatte im Parlament gibt. Wahrscheinlich wissen Sie, dass es wenig Unterstützung in dieser Sache gibt. Es ist ein Trauerspiel, wie weit Sie sich von der Fachdebatte in Sachen Jugendgerichtsgesetz (JGG) entfernt haben und welche antiquiert-repressiven Vorstellungen Sie dort vertreten. Und es ist schon frech, wenn Sie in der Antwort auf unsere Anfrage behaupten, die Landesregierung fordere keine Verschärfung des Jugendstrafrechtes, sondern nur mehr Konsequenz und Effektivität.
Sie sollten sich die Stellungnahmen der Fachwelt zu den Vorschlägen der CDU in Sachen Jugendgerichtsgesetz genau anschauen:
In Bausch und Bogen werden Ihre Vorschläge dort als repressiver Rückfall bezeichnet. Es gibt so gut wie niemanden in der Fachwelt, der Sie in Ihren Forderungen unterstützt. Nicht der deutsche Anwaltsverein, schon gar nicht die Vereinigung der Strafverteidiger, nicht der deutsche Juristentag und auch nicht die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ). Soviel Ablehnung und Kritik sollte eine Regierung zum Nachdenken bringen. Das Ziel unserer Anfrage war und ist es, Argumente und Gründe für die Verschärfung des JGG zu hören. Sie haben uns in Ihrer Antwort keine geliefert.
Meine Damen und Herren, sehr geehrte Frau Ministerin, bitte erklären Sie diesem Hohen Hause, warum die Heraufsetzung des Strafrahmens von 10 Jahre auf 15 Jahre für Heranwachsende keine Strafverschärfung sein soll. Was bitte ist es dann? Mit so einer Logik kann man natürlich auch behaupten der Unterschied zwischen Lebenslänglich und Todesstrafe sei nur graduell – er liege quasi nur in einer konsequenteren Effektivität.
Wissen Sie, wir haben jetzt zwar einen deutschen Papst – aber deshalb muss man in Großen Anfragen nicht mit mittelalterlicher Scholastik oder griechischem Sophismus argumentieren.
Sagen Sie einfach die Wahrheit: wir fordern die Heraufsetzung des maximalen Strafrahmens um 50%, weil wir so gerne dem Boulevard nachlaufen. Deren Hauptmotivation ist definitiv nicht die Sicherheit der Bürger, sondern die Sicherstellung der Einschaltquoten. Es ist eine gefährliche Entwicklung, wenn die Politik ihre Programme und Ziele nach medialer Zustimmung ausrichtet und nicht mehr nach Fachmeinung. Das ist ein Rückfall in voraufklärerische Zeiten.
Und es ist doch bemerkenswert, dass Sie in der Beantwortung unserer Anfrage keine Richter und Staatsanwälte benennen können, die das geltende Strafmaß von 10 Jahren im Jugendstrafrecht für nicht ausreichend halten. Das geltende Recht wird kaum ausgereizt. Sie sagen selbst, dass nur in Einzelfällen die heute geltende Höchststrafe angewandt wird. Umso absurder ist doch dann die Forderung nach einem noch höheren Strafmaß. Meine Damen und Herren, sie fordern abstrakte Einzelfallgesetzgebung.
Unsinnig ist auch die Forderung der Landesregierung den § 105 JGG wieder auf seine ursprüngliche Absicht zurückzuführen und für Heranwachsende in der Regel Erwachsenenstrafrecht anzuwenden. Ich sage Ihnen: vertrauen Sie den Richterinnen und Richtern. Diese wenden das geltende Recht mit Sensibilität und Fachverstand an.
Die Forderung nach einem Warnschussarrest ist auch so eine fixe Idee. Sie rechtfertigen dies mit einer Zunahme an Reaktionsmöglichkeiten auf Jugendkriminalität. Dazu ist zum einen zu sagen, dass das geltende JGG nun wahrlich einen dicken Katalog an verschiedenen Sanktionen und Kombinationsmöglichkeiten vorhält und Sie zum anderen die Sanktionenrechtsreform im Erwachsenenstrafrecht, die ja auch mehr Flexibilität und Möglichkeiten beabsichtigt, auf Bundesebene scharf bekämpfen.
Die Landesregierung muss sich entscheiden, ob Sie nun eine Befürworterin des flexiblen Rechtes ist oder nicht. Rechtspolitische Eiertänze sind inkonsequent.
Im Übrigen – lassen Sie mich das mal deutlich sagen – ist diese ständige Lust an höherer Strafe und Arrest einer ungenügenden konservativen Empathieleistung zuzuschreiben. Die Bürgerlichen können sich einfach nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die anders funktionieren als sie selbst. Auf einen bürgerlichen Menschen mag ein Arrest oder eine Haftstrafe abschreckend wirken – aber auf Jugendliche, die oft aus desolaten Verhältnissen kommen, die regelrecht verwahrlost sind und die kaum noch Vertrauen und soziale Bindungen haben, wirkt ein Arrest alles andere als abschreckend oder läuternd. Diese Jugendlichen kommen nicht aus der warmen Bildungsbürgerstube, sondern aus kaputten Verhältnissen – und deshalb brauchen sie auch keinen Arrest – sondern Unterstützung in Form von sozialemTraining und Schulung. Es bleibt bei der alten pädagogischen Wahrheit: Erziehung durch Strafe ist falsch. Besinnen Sie sich daher auf die Worte und die Ethik von Jesus. Pfingsten ist gerade vorüber – und die Botschaften des Neuen Testamentes sind Gewaltfreiheit, Mitgefühl und Liebe und nicht Strafe.
Meine Damen und Herren,
wie hat sich die Jugendkriminalität in den letzten Jahren in Niedersachsen entwickelt? Gibt es wirklich einen Besorgnis erregenden Anstieg, so dass das geltende Recht verändert werden muss? Rechtfertigen gesellschaftliche Veränderungen die Forderung nach einem schärferen Jugendstrafrecht? Wir hatten in den 90er Jahren einen Anstieg der registrierten Jugendkriminalität – das ist richtig – und die Ursachen hierfür sind vielfältig. Sie liegen in einem höheren Zuzug von Osteuropäern, in manchmal erschreckenden Erziehungsdefiziten, in einem schwierigen Ausbildungsmarkt, in gestiegenen Anforderungen und Gefühlen von Ausgrenzung und in einer ungenügenden Medienkompetenz.
Seit einigen Jahren sinkt die registrierte Jugendkriminalität aber wieder. Sie sehen - meine Damen und Herren - man muss das bestehende Recht nicht ändern. Die Kriminalitätsraten steigen und sinken auch wieder – ähnlich wie andere Konjunkturzyklen. Und daher gibt es keinen Grund gute Gesetze zu verschlechtern.
Ich will noch etwas zur Kriminalprävention sagen – die Landesregierung listet in der Anfrage ja erfreulich viele Maßnahmen auf, die allerdings fast alle von der alten Regierung stammen. Die Förderung der Präventionsräte und auch vieler Einzelprojekte ist sicher eine wichtige Maßnahme zur Kriminalprävention.
Aber, wenn die Landesregierung wirklich einen fundierten und Ursachen orientierten Beitrag zur Eindämmung der Jugendkriminalität leisten will, dann muss sie keine Bundesratsinitiativen in Sachen Jugendstrafrecht machen, sondern ein großes bildungspolitisches Rad drehen. Längst weiß man, dass die soziale Lage der jungen Menschen, ihre Gegenwartschancen und ihre Zukunfts-Perspektiven die entscheidenden Kriterien für die Entwicklung – vor allem der schweren Kriminalität sind.
Gehen Sie also endlich an den konsequenten Ausbau der Ganztagsschule. Da passiert noch viel zu wenig in unserem Land. Das ist eine wirklich wichtige Maßnahme für vernachlässigte und benachteiligte Jugendliche.
Setzen Sie Ihre alte Forderung nach einem kostenlosen Kindergartenjahr um. Ich sage Ihnen, wenn Sie dieses Land wirklich voranbringen wollen, dann kratzen Sie die letzen Euros zusammen und stecken Sie diese in die Frühförderung. Dort werden die Grundlagen für ein gelingendes oder ein gescheitertes Leben gelegt.
Verzichten Sie auf all den teuren Verkehrsinfrastrukturmumpitz – oder lassen Sie das zumindest konsequent privat finanzieren – und pumpen Sie alles Geld in die Kindergärten. Das wird sich auszahlen.
Meine Damen und Herren, das deutsche Jugendstrafrecht hat mehr verdient als die redundante und unsinnige Forderung nach mehr Konsequenz und Effektivität – die übersetzt lediglich die Forderung nach härteren Strafen ist. Das deutsche Jugendstrafrecht hat sich bewährt, es ist angemessen, zielführend und modern. Es gibt keinen Grund ein gutes Recht zu verschlechtern.

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