Rede Ralf Briese: Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes über die Versammlungsfreiheit

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Ich möchte meine Rede zu unserem Gesetzentwurf für ein Niedersächsisches Versammlungsfreiheitsgesetz mit zwei Zitaten beginnen:

"Die Versammlungsfreiheit ist ein Stück ursprüngliche, ungebändigter Demokratie. Sie ist geeignet den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren." Das schreibt Konrad Hesse, ehemaliger Verfassungsrichter in seinen Grundzügen für das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Ein kluges Zitat und es lässt sich ohne Umschweife auf Niedersachen anwenden. Denn der politische Betrieb IST hier in der zweiten Legislatur schon in Erstarrung verfallen. Wenn nicht ab und an mal die Lehrer demonstrieren, passiert hier bald gar nichts mehr.

Das zweite Zitat lautet:

"Die Versammlungsfreiheit ist die Pressefreiheit des kleinen Mannes." Was hat der Autor hiermit gemeint? Es ist ganz logisch: Der einfache Mann und die einfache Frau auf der Straße haben nicht die Möglichkeit, ihre Interessen, Kritiken, Vorschläge und Wünsche in Fernsehen und Zeitungen kund zu tun. Sie verfügen nicht über finanzielle Möglichkeiten, politische Netzwerke und einflussreiche Pressestellen, sondern müssen ihre Anliegen durch Versammlungen deutlich machen. Daher ist ein liberales, bürgerfreundliches Versammlungsrecht für die einfachen Bürgerinnen und Bürger so ungemein wichtig. Es erhöht die Partizipation. Das Zitat stammt im Übrigen von Günther Beckstein – einem ehemaligen Ministerpräsidenten aus Bayern – der hier und da auch mal was Gescheites gesagt hat. Das bayerische Versammlungsgesetz indessen lässt einen schon wieder erschauern. Bürokratie, Kontrolle, Misstrauen. Und da wir die politische Kreativität des hiesigen Innenministers kennen, wird er das wahrscheinlich abkupfern und, auch so kennen wir ihn, mal wieder vor einem obersten Gericht landen. Denn Schünemann und Grundgesetz ist so, wie Marx und Bibel; daher, Herr Schünemann, passen Sie auf: Noch einen Verfassungsbruch können Sie sich nicht erlauben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

wir haben es uns nicht so einfach gemacht und irgendeinen Gesetzentwurf abgeschrieben, sondern lange und intensiv an einem eigenen Entwurf gearbeitet. Wir haben Kommentare und Rechtsprechung studiert, Fachveranstaltungen mit Polizei, Behörden und Gewerkschaften gemacht und legen heute unser Ergebnis vor.

Das wichtigste zuerst:

Dieses Versammlungsgesetz soll einen Perspektivwechsel einläuten. Es ist aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger geschrieben. Es soll ein Gesetz für Menschen sein, die für ihr Anliegen demonstrieren wollen. Es ist für die Menschen geschrieben und nicht für den Staat und seine Behörden. Es soll Versammlungen nicht behindern, sondern ermöglichen und schützen. Es ist ein Versammlungsfreiheitsgesetz und nicht ein Versammlungsverhinderungsgesetz. Nicht alle Erfahrungen in der deutschen Geschichte mit Versammlungen  sind positiv; das wissen wir und blenden das nicht naiv aus. Versammlungen können auf das böswilligste und widerlichste politisch instrumentalisiert und pervertiert werden, aber sie können auch Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte befördern.

Das Hambacher Fest im Jahr 1848 war die erste politische Großversammlung zur Gründung eines demokratischen Deutschland und die erste demokratische Verfassung in der Paulskirche hat das Recht auf Versammlungsfreiheit ohne Anmeldung und Erlaubnis festgeschrieben. Die deutsche Widervereinigung wurde maßgeblich durch die Montagsdemonstrationen in Leipzig erkämpft. Es waren Menschen, die für ihre Rechte nach Freiheit auf die Straße gegangen sind. Und sie haben es geschafft. Daher soll in unserem Gesetzentwurf der Schutz der friedlichen Versammlungen Auftrag des Staates und seiner Institutionen sein. Der Staat soll den Versammelten nicht misstrauen, sondern sie als moderner Dienstleister begleiten und beraten. Natürlich steht ihm das Recht zu, auch zukünftig Auflagen zu erteilen und im Falle von Gefahren für die Sicherheit als Ultima Ratio auch Verbote auszusprechen.

Meine Damen und Herren,

Was haben wir im Vergleich zum geltenden Versammlungsrecht modernisiert?

Ich will ihnen die wichtigsten Punkte darstellen:

Wir haben das Uniformverbot eingegrenzt, das ja von jeher verfassungsrechtlich umstritten war. Wir haben endlich die Spontanversammlungen gesetzlich geregelt und damit die höchstrichterliche Rechtsprechung in das Gesetz aufgenommen.

Wir begrenzen Film und Tonaufnahmen der Polizei auf das notwendige Maß. Denn die diffusen Übersichtsaufnahmen beschränken die innere Versammlungsfreiheit. Filmaufnahmen von Polizei und auch von unautorisierten Dritten haben ein unerträgliches Maß angenommen. Der normale Versammlungsteilnehmer wird mittlerweile von allen Seiten abgelichtet: von der Polizei, von politischen Gegendemonstranten, von Gaffern und Passanten. Es beschränkt und beschädigt die Versammlungsfreiheit, wenn ich nicht mehr wissen kann, wer mich wo, wie lange und warum gefilmt hat und was mit diesen Aufnahmen geschieht. Selbstverständlich soll die Polizei zur Gefahrenabwehr und zur Straftatenaufklärung weiter Aufnahmen  machen dürfen, aber auf das verfassungsrechtlich notwendige Maß reduziert.

Wir wollen außerdem, dass die Polizei für die Versammlungsteilnehmer identifizierbar ist. Bei Konflikten und Auseinandersetzungen müssen sowohl die Polizei als auch die Versammelten die Möglichkeit zur Identifizierung haben. Das ist ein Gebot der Fairness. Und ehe hier die Proteststürme losbrechen – wir haben dieses Anliegen mit Polizeivertretern und auch der Polizeiakademie diskutiert. Aufgeklärte Polizisten finden das in Ordnung. Wir hegen kein prinzipielles  Misstrauen gegen die Polizei, genauso wenig wie gegen die Versammlungsteilnehmer. Und daher wollen wir Fairness und gleiche Bedingungen. 

Wir schreiben in unserem Gesetz das Kooperationsgebot fest. Veranstalter und Behörde sollen vor allen Dingen unter freiem Himmel im Vorfeld möglichst konstruktiv kooperieren, um die Versammlung ordnungsgemäß ablaufen zu lassen. Und auch wenn wir das nicht in einem Gesetz festschreiben können – vor allen Dingen in diesem Vorgespräch soll nach unseren Vorstellungen eine Kultur der Fairness und ein konstruktiver Geist herrschen. Wir wollen weder einen Veranstalter, der sich allen Auflagen renitent widersetzt, noch eine misstrauische Kontrollbehörde die eine Batterie von Auflagen macht und massiv persönliche Daten abfragt.

Denn das Grundrecht in Artikel 8 Grundgesetz lautet: Alle Deutschen haben das Recht sich ohne Anmeldung und Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Innenminister und andere Sicherheitsfreaks sollten sich den Artikel immer mal wieder ganz in Ruhe und ohne Herzrasen durchlesen.

Das Grundrecht, meine Damen und Herren, schreibt auch vor, dass eine Versammlung friedlich und ohne Waffen ablaufen muss, wenn sie Versammlungsschutz beanspruchen will. Dem fühlen wir uns absolut verpflichtet! Wir weichen weder das Waffenverbot noch das Friedlichkeitserfordernis auf. Aggression, Gewalt und Menschenhetze stehen nicht unter dem Versammlungsschutz. Gewalt und Zerstörung gegen Menschen und Sachen haben nichts mit friedlicher und demokratischer Verssammlungsfreiheit zu tun, sondern gehören konsequent verfolgt und bestraft. Politische Fanatiker haben keinen Versammlungsschutz. 

Wenn sie aber Versammlungsteilnehmer ausschließlich und erkennbar aus reinem Eigenschutz mit nachvollziehbaren Gründen anonymisieren, dann ist das zu tolerieren. Und diese Fälle gibt es in der Praxis sehr wohl: sei es ein Kurde oder Iraner, der gegen sein Regime protestiert und eine andere deutsche Außenpolitik verlangt oder sei es ein schwer Kranker, der für seine Krankheit sensibilisieren möchte, aber befürchtet am Arbeitsplatz danach Nachteile zu haben. 

Meine Damen und Herren,

noch ein Satz zur Bannmeile: Wir sind der Meinung, dass sie abgeschafft gehört. Andere Bundesländer haben sie bereits abgeschafft und sind nicht in Anarchie und Diktatur versunken. Der Landtag ist nun mal der zentrale Ort von politischer Debatte und Entscheidung. Darum sollen auch die Menschen hier am Ort demonstrieren dürfen. Aber tatsächlich nur VOR dem Hause, IM Landtag hat weiter der Präsident das Sagen. Unsere Demokratie ist gefestigt, sie hat sich bewährt und ein selbstbewusster Parlamentarier fürchtet sich nicht vor den Bürgern und Bürgerinnen, sondern diskutiert mit ihnen.

Zum ewigen Argument, man will keine Rechtsextremen vor dem Landtag sehen: Ja, ich finde die auch unappetitlich, aber das ist ein ästhetisches Argument und kein rechtspolitisches. Im Übrigen: Ich habe die Nase gestrichen voll davon, dass ständige Grundrechtsbeschneidungen durch Extremisten jeglicher Couleur gerechtfertigt werden. Das wirklich gute, durchdachte und bewährte Grundgesetz lassen wir uns nicht durch Terroristen und Radikale kaputt machen. Es kann doch nicht angehen, dass politisch Verrückte hier so massiv die Gesetzgebung beeinflussen. Wir sollten mehr Mut und auch mehr Vertrauen in die Demokratie und in die große Mehrheit der Bevölkerung haben, statt hysterisch und ängstlich ständig die Grundrechte in Frage zu stellen.

Meine Damen und Herren,

meine Fraktion legt ihnen heute einen Gesetzentwurf für ein modernes Versammlungsrecht in Niedersachsen vor. Wir sagen nicht, dass es schon alle politischen Tugenden der Antike, wie Klugheit, Gerechtigkeit und Mut beinhaltet.

Wir sind offen für konstruktive Verbesserungsvorschläge. Ich wünsche mir aber eine faire und sachliche Debatte über das Gesetz. Die Debattenkultur in diesem Hause, und das betrifft auch die Ausschüsse, ist genauso optimierbar wie das geltende Versammlungsrecht.

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