Rede Ralf Briese: Direkte Demokratie ins Grundgesetz

...

Anrede,
es gibt doch kaum eine so ängstliche und auch widersprüchliche Partei wie die CDU:
über Ihre sonderbare Einstellung, meine lieben schwarzen Kollegen, zu Plebisziten könnte man ganze Romane verfassen.
Fast in kaum einer Rede fehlt bei CDU und FDP der Hinweis auf mehr Eigenverantwortung und Eigenvorsorge und die Notwendigkeit des staatlichen Rückbaus. Sie fordern weniger soziale Versorgung – weniger Gesundheitsschutz – weniger Kündigungsschutz und so weiter.
Aber wenn es darum geht, den Bürgerinnen und Bürgern mehr Verantwortung und mehr konkrete Rechte zu übertragen, dann bekommen Sie es mit der Angst zu tun. Dann gilt der mündige Bürger plötzlich nichts mehr - dann wird ihm die demokratische Reife abgesprochen und es reicht, wenn man alle vier Jahre sein Kreuzchen machen darf und es dann mühselig tragen muss.
Dabei hat Christian Wulff am Anfang seiner Regierungsübernahme – noch ganz berauscht von seinem doch sehr unerwarteten Wahlsieg - gefordert, unfähige Regierungen abwählen zu dürfen. Ist die eigene Bilanz schon so schlecht, dass Sie davon nun nichts mehr wissen wollen? Was ist geblieben von dieser Forderung? Wo bleibt ihr Mut zu mehr direkter Demokratie?
Immerhin entdeckt die CDU das Plebiszit, beziehungsweise die Basisdemokratie nun stärker für die eigene Partei. In Baden-Württemberg soll die Basis über die Teufel-Nachfolge entscheiden, in Rheinland Pfalz haben CDU-Mitglieder über den Spitzenkandidaten entschieden. So viel Basisdemokratie hätte man Ihnen gar nicht zugetraut. Die Grünen praktizieren das schon seit 20 Jahren – es ist schön, dass auch Sie dort langsam ankommen.
Aber es ist daher ganz unverständlich, dass Sie nicht noch einen weiteren mutigen Schritt nach vorne machen und den Volksentscheid auch in das Grundgesetz einführen wollen. Nicht nur CDU-Mitglieder können gute direkte Entscheidungen fällen – alle anderen können es auch.

Anrede,
was zeigt uns die Erfahrung mit den Plebisziten? Ist es durch mehr direkte Demokratie tatsächlich zu einem Rückfall in vordemokratische Zeiten gekommen? Sind die Erfahrungen wirklich so schlecht, dass man sich so sehr davor fürchten muss? Das Gegenteil ist der Fall! In aller Regel entscheiden die Menschen mit großer Vernunft, mit viel Sachkenntnis, sehr rational und vor allem meist auch sehr sparsam. Eigentlich müssten sich längst die Landesrechnungshöfe und der Bund der Steuerzahler für den Volksentscheid ausgesprochen haben.
Ich weiß nicht, woher die Berufspolitiker – die gewählten Volksvertreter – die Arroganz und Überheblichkeit nehmen, zu glauben bei wichtigen Fragen besser, professioneller oder vernünftiger entscheiden zu können als die Bevölkerung. Wenn ich mir die vielen faulen Kompromisse anschaue, die mit heißer Nadel gestrickten Gesetze, die ständigen Nachbesserungen, dann frage ich mich woher man die Gewissheit nimmt, dass parlamentarische Entscheidungen tatsächlich besser sind als Volksentscheide.
Plebiszite – meine Damen und Herren – können auch ein Risiko bedeuten. Das gebe ich zu. Es ist durchaus möglich, dass nicht immer ökologisch oder auch fortschrittlich entschieden wird. Aber gerade das macht doch mutige und überzeugte Demokraten aus, sich der Mehrheitsentscheidung zu beugen. Ich weiß natürlich nicht, wie unsere Bevölkerung über eine EU-Verfassung oder einen Türkei-Beitritt abstimmen würde, aber schlechter, ahistorischer und unlauterer als die gegenwärtige CDU-Position in diesen Fragen könnte es gar nicht sein.
Plebiszite – sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen – erfüllen eine unglaublich wichtige Funktion. Sie stellen eine höhere Identifikation mit dem Gemeinwesen her, sie stärken die Demokratie als Ganzes, sie sind ein hervorragendes Instrument gegen Politikmüdigkeit und Apathie. Gefühle der Gleichgültigkeit und Machtlosigkeit können damit wirksam bekämpft werden.
Deutschland ist reif für den großen Volksentscheid! Daher liebe Kolleginnen und Kollegen, überlegen Sie sich Ihre Position doch noch mal, wenn die Sache im Bundestag verhandelt wird und wenn Sie dann auch in den Bundesrat kommt.
Wer mehr Eigenverantwortung will, der kann zum Volksentscheid nicht nein sagen.
Überwinden Sie Ihre tief sitzende Angst und ihr Misstrauen vor den Menschen und geben Sie Ihnen mehr Rechte.

Zurück zum Pressearchiv