Rede Meta Janssen-Kucz: Gesundheitsversorgung und Gesundheitsberichterstattung im Kinder- und Jugendbereich

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Anrede,
zu Ihrer Großen Anfrage kann ich nur feststellen, dass es wahrlich schon profundere und tiefergehende Anfragen zu dem wichtigen Bereich "Gesundheit von Kindern und Jugendlichen" gegeben hat. Das zeigen auch die Antworten, die in Teilen ziemlich dürftig und unkonkret sind.
Konkrete zukünftige Handlungsansätze der Gesundheits-, Kinder- und Jugendministerin Frau Dr. von der Leyen kann ich in der Antwort der Landesregierung nicht erkennen.Letztlich retten Sie sich mit einem Rückgriff auf den "Niedersächsischen Kinder- und Jugend-Gesundheitsbericht", der 2002 von der SPD-Regierung vorgelegt wurde.
Doch wo bleiben eigenständige gesundheitspolitische Akzente? Wo sind die Konkretisierungen in Hinblick auf die gesundheitspolitischen Herausforderungen im Kinder- und Jugendbereich?
Anrede,
der niedersächsische Kinder- und Jugend-Gesundheitsbericht und die Anfrage der SPD-Fraktion in der letzten Legislaturperiode haben doch uns allen sehr deutlich gemacht, dass es an ganzheitlichen Konzepten fehlt und die mangelnde Koordinierung im Gesundheitsbereich offensichtlich ist. Fakt ist weiterhin, dass lebenslagenorientierte Untersuchungen fehlen. Wo sind die gemeinsamen Aktionspläne, die politischen Rahmenkonzepte, wo ist das familienpolitische Gesamtkonzept, in dem die Zusammenhänge zwischen Kinderarmut und Gesundheit aufgearbeitet werden?
Nein, meine Damen und Herren von CDU und FDP, davon ist in Ihrer Anfrage und auch in der Antwort nichts zu finden. Sie versuchen ein paar Zuckerstückchen zu fischen, damit Ihre Ministerin die Gelegenheit erhält, zu demonstrieren, wie aktiv sie sich für die Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen einsetzt.
Doch was bleibt ist ein bitterer Beigeschmack. Es ist offensichtlich, dass die fachliche Basis als Grundlage für eine problemorientierte Gesundheitsberichterstattung und für eine inhaltlich zielgerichtete Arbeit in den Kommunen fehlt:
Uns fehlt nämlich das Gesetz für den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), von dem uns außer Eckpunkten bis dato nichts vorliegt. Wird dieses Vorhaben das gleiche Schicksal ereilen wie in der Regierungszeit der SPD? Damals sind viele Entwürfe zu diesem Gesetz erarbeitet und anschließend in die Schubladen verdammt worden. Das werden wir nicht zulassen. Unser Antrag ist bereits seit einem Jahr in die parlamentarischen Beratungen eingebracht worden- geschehen ist nichts! Seien Sie doch einmal mutig, im Interesse der Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen.
Anrede,
wir brauchen dringend ein Gesundheitsdienstgesetz mit klaren inhaltlichen Vorgaben, nur so kann ein "Abrutschen der kommunalen Gesundheitsvorsorge in die Beliebigkeit" verhindert werden. Es wird immer mehr Personal abgezogen. Kinder- und jugendärztliche Dienste sind bei weitem nicht mehr in allen Landkreisen zu finden. Ähnlich sieht es bei den Sozialpsychiatrischen Diensten aus. Es wird Zeit, dass von Seiten der Landesregierung endlich inhaltliche Anforderungen und Mindeststandards definiert werden.
Anrede,
die Anfrage und damit auch die Antworten lassen viele wichtige Themen der gesundheitlichen Versorgung aus. Viele "neue" Krankheitsbilder bei Jugendlichen: Adipositas, Allergien, ADS, psychische Erkrankungen und mehr kommen mit keiner Silbe vor, so als wollte man die Augen vor der Realität verschließen.
Wichtig wäre, innerhalb der Gesundheitsberichterstattung(GBE) und den Schuleingangsuntersuchungen mehr auf lebenslagenorientierte Parameter abzustellen, dann könnte man endlich zielgruppengenaue Programme schmieden und problemzentrierter arbeiten. Das ist gerade in Zeiten knapper Kassen wichtiger denn je.
Stattdessen wird im 2. Teil der Anfrage der alte seuchenhygienische Ansatz gefahren und Impfschutz aller Orten gepredigt, obwohl wir alle wissen, wie weit wir mit dieser Predigt gekommen sind und welche Gruppen wir bis heute nicht erreichen: das sind sozial schwache Familien, das sind die Kinder aus Migrantenfamilien. Es bleibt festzuhalten, das Thema Impfschutz ist vollkommen überdimensioniert, reagiert aber trotzdem nicht auf die Herausforderungen. Wir waren schon mal weiter!
Anrede,
was enthält diese Anfrage über die notwendige Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen? Über dringend notwendige Projekte der Primär- und Sekundärprävention? Nichts! Selbsthilfeinitiativen und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an ihren gesundheitlichen Belangen spielen in dieser Anfrage keinen Rolle – sie tauchen nicht einmal ansatzweise auf.
Die drei genannten Gesundheitsziele: Reduzierung des Tabakkonsums, Steigerung der Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchungen, Verminderung von Kinderunfällen sind gut. Sie machen aber deutlich, dass man erst ganz am Anfang steht. An andere Ziele wagte man sich offenbar nicht heran, weil dafür entweder die Datenbasis oder der politische Wille fehlt.
Von der Vereinbarung der Gesundheitsziele und deren Evaluation, um Erfolge oder auch Misserfolge resümieren zu können ist ebenfalls nirgends die Rede.
Anrede,
zu den Schuleingangsuntersuchungen: Sie werden offenbar vom Kultusministerium immer noch in Frage gestellt. In der Antwort heißt es: die Landesregierung prüfe, wie dieser Auftrag in Zukunft geregelt werden könne.
Die Schuleingangsuntersuchungen sind unverzichtbar, sie bieten die einzige Grundlage für eine umfassende Querschnittsanalyse der gesundheitlichen Lage und Entwicklung von Kindern.
Auch bei den schulpsychologischen Diensten wird eine Rolle rückwärts fabriziert. Die kinder- und jugendpsychiatrischen Dienste in den Sozialpsychiatrischen Diensten sind personell ausgedünnt und oftmals nicht mehr fachärztlich besetzt.
Noch ein Punkt: Dieser Landesregierung liegen keine Feststellungen von Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Erkrankungen im Rahmen der Schuleingangsuntersuchungen vor, weil es keine landesweit gültigen verbindlichen Verfahren gibt. Dennoch wird schon jetzt kleinlaut bekannt gegeben, dass diese wenigen Standards im Rahmen des vorgesehenen Gesetzes zur Disposition stehen. Das ist ein Armutszeugnis! Man lässt Kinder ohne Unterstützungs- und Hilfsangebote und verweist auf die Lehrkräfte und die Träger der Jugendhilfe, die es schon irgendwie richten werden.
Anrede,
ich bekomme das kalte Grausen, wenn ich bei der Frage, ob die Versorgungsstrukturen im ambulanten oder stationären Bereich bei Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Erkrankungen ausreichen, die Antwort lese: "es gibt keine offiziellen Statistiken".
Machen Sie doch endlich die Augen auf, schauen Sie sich die Realität an, fragen Sie doch einfach Eltern, wie lange Sie auf einen Behandlungsplatz warten – 6 Monate sind keine Seltenheit!! Lesen Sie Ihre eigenen Antworten zur Inanspruchnahme der Sozialpsychiatrischen Beratungsstellen für Kinder und Jugendliche. Innerhalb von nicht einmal 10 Jahren hat sich die Anzahl der Personen, die Hilfe in Anspruch nahmen, mehr als verdoppelt. Fragen Sie in den Kreishäusern nach, wenn Sie es nicht selber wissen, wie viele Anträge es auf Eingliederungshilfe für von seelischer Behinderung bedrohter junger Menschen gibt. Macht Sie das alles nicht nachdenklich, zwingt das nicht geradezu zum Handeln?!
Weiter wird behauptet der Landesregierung lägen keine wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse über mögliche Zusammenhänge zwischen Verhaltensauffälligkeiten und schulischen Leistungen vor. Sind denn hier alle betriebsblind! Die Zusammenhänge liegen doch auf der Hand, der Handlungsbedarf ist offensichtlich!
Ein Tipp: Sie sollten erstens die Erkenntnisse des Leiters des Kriminologschen Forschungsinstituts Prof.Dr. Pfeiffer heranziehen, und zweitens sollten Sie enger mit dem Kultusminister zusammenarbeiten, vielleicht sind Sie ja gemeinsam stärker, durchsetzungs- und handlungsfähiger.
Fangen Sie an, die Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen umfassend zu verbessern und schaffen Sie endlich die gesetzliche Basis für eine umfassende Gesundheitsberichterstattung und für präventive Handlungskonzepte auf Landes- und Kommunalebene.
Eine Anmerkung zum Schluss: wir haben nicht nur in den niedersächsischen Schulen ein sich verschärfendes selektives System, sondern auch im Gesundheitswesen, dass vor allem Kinder und Jugendliche in ihrer Gesamtentwicklung behindert. Dem gilt es etwas entgegenzusetzen!

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