Rede Julia Hamburg: Antrag (FDP) zur Anbindung des Harzes

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Im FDP-Antrag wird eine „Alles-Wird-Gut-Straßenpaketforderung“ nach einem vierspurige Weiterbau der Bundesstraße 243 zwischen der Landesgrenze Niedersachsen/Thüringen und der Stadt Nordhausen, der vierspurige Lückenschluss der Bundesstraße 6 zwischen Goslar und Salzgitter, die Nordverlängerung der Autobahn 71 von Sangerhausen zur Autobahn 14 und der mehrspurige Ausbau der Bundesstraße 82 zwischen der Bundesautobahnanschlussstelle Rhüden und Langelsheim gefordert.

Begründet wird die Forderung, diese Projekte in der Priorität des Bundesverkehrswegeplans an vorderste Stelle zu rücken, damit, dass eine verkehrlich gute Anbindung in die Region gewährleistet sein müsse, diese der negativen Bevölkerungsentwicklung entgegenwirke, die Wirtschaft in Schwung komme und damit Familien ernährt werden könnten.

So einfach sei das.

Wir finden es ganz und gar nicht einfach. Ein zukunftsfähiges Mobilitätskonzept im ländlichen Raum zu realisieren, ist vor dem Hintergrund des demographischen Wandels eine enorme Herausforderung. Denn: Ganz entscheidende Rahmenbedingungen fehlen:

Wir brauchen dringend die Zusage für länder- und regionsübergreifende, einheitliche und zweckgebundene Mittel für die kommunale Infrastruktur.

So ist bis heute durch das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium die Nachfolge für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) über das Jahr 2019 hinaus nicht geregelt.

Dieses Bundes-GVFG ist wesentliche Grundlage für einen attraktiven und leistungsfähigen öffentlichen Personennahverkehr für gesicherte und verlässliche PendlerInnenfahrten aus ländlicheren Regionen in Mittel- und Oberzentren. Etwas, dass der Harz, aber auch andere ländliche Regionen, dringend brauchen.

Ebenso sind die Regionalisierungsmittel nicht gesichert. Auch die brauchen wir dringend für den Ausbau des von Ihnen ebenso lange vernachlässigten Schienenpersonennahverkehr (SPNV).

Mit Ihrem Antrag haben wir es erneut mit einer tradierten und unter Ihrer Regierungszeit betriebenen Schwerpunktsetzung auf Straßenbau zu tun. Frei nach dem Motto: Mehr Beton löst alle Probleme. Nimmt man die fatale Fehlentwicklung der Schieneninfrastruktur unter Herrn Mehdorn hinzu, gestaltet sich das vor uns liegende Aufgabenpaket als riesengroßer Problemsack gefüllt mit Sturheit, Verdrängung und Schönfärberei.

Man hat manchmal den Eindruck, bei der Umsetzung moderner Mobilitätspolitik bei Adam und Eva anfangen zu müssen.

Unsere Infrastruktur ist längst in die Jahre gekommen, deshalb sind Förderungen fortzuschreiben und mit der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung zu verknüpfen.

Schülerzahlen gehen vielerorts zurück, Angebote des täglichen Bedarfs konzentrieren sich immer stärker auf Mittel- und Oberzentren und damit steigen die Entfernungen.

Ich möchte einmal auf eine aktuelle Studie hinweisen: Laut dieser Studie bleiben ländliche Räume insbesondere für Familien attraktiv. Für Eltern ist ein sicheres, witterungsunabhängiges, flexibles und subjektiv günstiges Verkehrsmittel wichtig. Bei PKW-Engpässen, so die Berliner Studie, würden sie eher das Auto des Nachbarn leihen, als den Bus zu nehmen. Obwohl sich diese Eltern als umweltbewusst bezeichnen.

Warum ist das so? Weil der Bus im ländlichen Raum als reiner Schülerverkehr wahrgenommen wird. Flexible Bedienformen wie Anrufbusse sind umständlich und teuer. Vermittlungsplattformen zum privaten Carsharing oder für spontane Mitfahrgelegenheiten sind unbekannt und Bürgerbusse oder Kombibusse, die auch den Transport von Gütern ermöglichen, hängen von engagierten Menschen vor Ort ab.

Aber nicht nur das ist eine Erklärung. Natürlich gibt es Landkreise, denen reicht eine Schülerbeförderung als ÖPNV-Angebot. Einige wenige wollen auch gar keine Reaktivierung ihrer Schienenstrecken oder haben sie längst überbaut, oder aber es fehlt das Geld, um hier zu investieren.

Nehmen wir ein anderes Beispiel: Der Radtourismus. Manche Regionen, die man besucht, scheinen erst heute den Radtourismus als wichtige Quelle ihrer Weiterentwicklung zu entdecken. Was ist denn zwanzig Jahre geschehen, frage ich mich, wenn der von Ihnen, Herr Grascha, belächelte und zukunftsweisende Radtourismus gar nicht fahren kann, weil ein Radwegenetz fehlt?

Der Weserradweg in Südniedersachsen hat dazu geführt, dass im Raum Holzminden jährlich eine Steigerungsrate von 10 Prozent für Übernachtungen und Konsum zu verzeichnen sind. Aber wohin mit Gästen, wenn das einzige Hotel voll ist? Wohin mit Radlern, die ein anderes Hotel aufsuchen wollen? Es gibt im Hinterland keine Radwege, und es gibt Leerstand.

Eine nachhaltige und zukunftsgerechte Verkehrspolitik sieht anders aus, meine Damen und Herren, und da ist es egal, ob 26 oder 43 Kommunen das alte Hohelied auf mehr Flächenverbrauch und Straßenbau anstimmen: Die Anforderungen an heutige verantwortliche Infrastrukturpolitik erfordert die Einbeziehung regionaler Strukturen, die Beachtung realistischer Perspektiven, die gesellschaftliche Entwicklung sowie eine Potenzialanalyse.

Es geht um zukunftsfähige und klimaverträgliche Infrastruktur, die ein umfassendes Gesamtpaket beinhalten. Anders als in den urbanen Zentren, wo wir locker aufs Auto verzichten können und meistens eine gute Anbindung an Fernziele haben.

Zu glauben, dass Sie mit diesem Straßenbaupaket die rettende Infrastrukturidee haben, um zu energiefressenden und teuren Kunstschneepisten zu locken, ist nicht nur wirtschaftspolitischer Abfahrtslauf, sondern ökologischer Wahnsinn in Zeiten einer notwendigen Umkehr hin zu einer Flächen- und Ressourcen schonenden Infrastrukturpolitik als großartige Chance für den ländlichen Raum. Oder einfach gesagt: Der Harz braucht zuallererst einmal einen gut abgestimmten und attraktiven ÖPNV, der Harz braucht Radwege und sanierte Straßen, er braucht ein kluges Verkehrskonzept, das aufgeht. Der Harzring ist hier sicherlich nicht die große Lösung.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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