Rede Ina Korter: Zweite Beratung Haushalt - Kultus (Schule)

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(die bisher gehaltene Reden zum Haushalt (Finanzen, Inneres, Soziales) finden Sie unter www.gruene-niedersachsen.de/landtag .
Landtagssitzung am 11.12.2003
Ina Korter, MdL
TOP 16: Zweite Beratung Haushalt - Kultus
Anrede,
es gibt einen Satz, den haben wir in den letzten Wochen und Monaten immer wieder vom Kultusminister zu hören bekommen: Wir halten, was wir vor der Wahl versprochen haben.
Besonders in einer Frage wäre ich froh gewesen, Sie hätten sich nicht an Ihr Wahlversprechen gehalten, nämlich beim Durchziehen Ihres neuen Schulgesetzes innerhalb von vier Monaten wider jede bildungspolitische Vernunft. Damit sind Sie nur knapp hinter Sigmar Gabriel und Renate Jürgens-Pieper geblieben, die das Ganze ja in drei Monaten geschafft haben.
Das Schulgesetz, mit der Weichenstellung zu einer noch früheren Trennung der Kinder, war eine Fehlentscheidung, und das wissen Sie inzwischen auch längst. Aber zwischen Wissen und Zugeben, dass man falsch, weil rein ideologisch motiviert nicht aber wissenschaftlich haltbar entschieden hat, liegen ja bekanntlich Welten.
Herr Minister Busemann,
wollen wir doch mal sehen, wie es mit Ihren anderen Wahlversprechen aussieht.
Keine Gelegenheit lassen Sie aus, von dem Kraftakt, der "Herkulesaufgabe" zu schwärmen, die die Einstellung von 2500 zusätzlichen Lehrkräften für Niedersachsen bedeutet.
Es ist richtig, Sie haben eine Menge neuer Lehrkräfte eingestellt und darauf beziehen Sie sich gern und immer wieder, aber haben Sie damit tatsächlich die Bildungsqualität in Niedersachsen entscheidend verbessert?
Wird durch etwas mehr vom gleichen Unterricht die Qualität wirklich besser?
Und gibt es tatsächlich so viel mehr Unterricht für alle Schulstufen, oder kommt Ihre Reform nur einigen wenigen zu Gute?
Eins ist inzwischen allen klar und wird ja auch vom Ministerium so vorgerechnet:
Bis zu 1 000 dieser neuen Stellen verschwinden in den kommenden acht Jahren für das Abitur nach Klasse 12 im Gymnasium, weil das seine vorgeschriebenen 265 Unterrichtsstunden bis zum Abitur nun in einem Jahr weniger schaffen muss. Dass die Schülerinnen und Schüler 34 bis 35 Std. Unterricht pro Woche haben werden, stößt inzwischen sogar bei Ihrer Beratergruppe, dem Philologenverband in Baden-Württemberg und in Bayern auf deutliche Kritik. Selbst leistungsmotivierte Schülerinnen reagieren inzwischen mit Schulunlust, wenn sie als Jugendliche dann in vielen Fällen mehr Zeit am Tag intensiv arbeiten müssen als ihre berufstätigen Eltern.
Aber das interessiert Sie wenig. Sie wissen ja alles besser, Herr Minister, das haben wir ja bereits in Bezug auf die OECD-Studien gemerkt.
700 Ihrer neuen Stellen verbrauchen Sie dafür, die so genannten Novemberlehrer der SPD "durchzufinanzieren", wie Sie sagen. In Wirklichkeit rechnen Sie diese Lehrer und Lehrerinnen, die schon vor der Wahl eingestellt worden sind, einfach auf Ihre 2.500 Stellen an.
Weitere 500 Stellen kostet es, wenn durch Abschaffung der OS und Einführung des gegliederten Systems ab Klasse 5 mehr Klassen gebildet werden müssen.
Und noch mal 450 Stellen gehen dafür drauf, dass die vorher an den Orientierungsstufen eingesetzten Lehrkräfte auf das gegliederte System aufgeteilt werden und an Gymnasien und Realschulen weniger Unterrichtsverpflichtung haben.
Das sind insgesamt 2650 Stellen, wenn man die 1000 auf acht Jahre verteilten Gymnasialstellen einrechnet.
Was bleibt von Ihrer Herkulesaufgabe, was von den 2500 neuen Stellen übrig, Herr Minister?
Bleibt da noch eine einzige Stelle für mehr Förderung?
Schon in zwei Jahren wollen Sie wieder mit dem Stellenabbau anfangen, haben Sie jüngst verkündet, erst 50, dann 250 und dann 400 Stellen.
Ist das der große Wurf in der Schulpolitik, die historische Wende, von der Sie so gern sprechen? Ich glaube Ihr Herkules muss noch ein bisschen zum Fitnesstraining, so wird das nichts mit dem Kraftakt.
Es fehlt auch noch die Ausdauer. Sie wollen doch so gern nächstes Mal Sieger werden bei PISA. Das ist doch Ihre schulpolitische Zielmarke, zumindest haben Sie in der Antwort auf unsere Große Anfrage sonst nichts nennen können.
Zum Erfolg fehlt noch jede Menge: Sie müssen üben, üben, üben und endlich die OECD-Hinweise zur Kenntnis nehmen, kann ich da nur raten!
Aber gehen wir einmal weiter Ihre Wahlversprechen durch und wie es im Haushalt 2004 denn mit der Bereitstellung der Mittel aussieht:
Die Unterrichtsversorgung soll 100% betragen, haben Sie gesagt und betonen unentwegt, das sei Ihr wichtigstes Ziel.
Wie sieht es wirklich damit aus?
An den Grundschulen 102,9 % - gut,
an den Orientierungsstufen 97,8 % - das sind keine 100 %, aber die werden ja auch gestrichen.
an den Hauptschulen 97,5 % - auch nicht 100 %
an den Realschulen 97,4 % - keine 100 %
an den Gesamtschulen 98,8 %, fehlen 1,2 %.
Aber endlich: an den Gymnasien 100,1 % - siehe da! An den Gymnasien!
Aber an den Sonderschulen wieder nur 94,7% - das reicht Ihnen anscheinend, um von durchschnittlich 100% zu sprechen.
So kann man es auch sehen!
Wenn eine Schulform nur 50% Unterrichtsversorgung hätte und die andere 150%, dann hätten Sie auch durchschnittlich 100%.
Und wenn sich nicht 100 % herausrechnen lassen, wird einfach die Klassengröße heraufgesetzt, werden die Zusatzbedarfe weggekürzt und die Anrechnungsstunden der Lehrkräfte für Zusatzaufgaben gestrichen.
So einfach geht das, man ist ja nicht mehr in der Opposition, in der man sich noch heftig über solche Rechentricks aufgeregt hat!
Nein, Herr Minister, Sie haben keine Skrupel, Unterrichtsstunden in Höhe von 2700 Lehrerstellen umzuverteilen, damit es statistisch gut aussieht. Es fällt keine Stunde weg, sagen Sie, aber wie viele werden es denn mehr – bei 2500 neuen Stellen?
Was wirklich bei Ihrem Unterrichtsversorgungserlass herauskommt ist eine Katastrophe:
Sie kürzen den Vollen Halbtagsgrundschulen, deren Weiterbestehen im Schulgesetz Sie noch stolz im ganzen Land verkündet haben, die Vertretungsreserve ersatzlos weg.
Sie streichen den Ganztagsschulen die Zusatzbedarfe für Ganztagsangebote so zusammen, dass bestenfalls Betreuung dabei herauskommt, aber nur wenn die Schülergruppen für ein 2stündiges Ganztagsangebot am Nachmittag in der Sekundarstufe I mindestens 25 Schülerinnen stark sind. Nur so bekommt die Schule 2 Lehrerstunden an Bedarfszuweisung zusammen.
Bei den Wahlpflichtbereichen wird derartig gekürzt, dass keine Profilbildungen oder individuellen Lernschwerpunkte mehr möglich sind, sondern nur noch Einheitsunterricht in großen Gruppen. Was sollen denn große Klassen in Zukunft machen, wenn Kochunterricht, Werken oder Chemie stattfindet? Es können meist nur 16 SchülerInnen in die Lehrküche oder den Werkraum aus Gründen der Fachraumausstattung und der aufsichtsrechtlichen Vorschriften. Die Klassen sind aber nach Erlass 32 Kinder groß. Bleibt die Hälfte währenddessen auf dem Flur sitzen und hat frei? Oder soll kein naturwissenschaftlicher oder technischer Unterricht mehr stattfinden?
Am schlimmsten aber gehen Sie an die Gesamtschulen heran.
Dort wird alles an integrativem und jahrgangsübergreifendem Unterricht derartig zusammengestrichen, dass einzelne Gesamtschulen zwischen 10 und 15% ihrer Stundenkontingente verlieren werden.
Herr Minister, wenn es nicht in Wirklichkeit Ihre Absicht ist, auf kaltem Wege die Gesamtschulen mit Hilfe dieses Erlasses zu erledigen, und dieser Gedanke drängt sich auf, dann korrigieren Sie diesen Gesamtschulerledigungserlass ganz deutlich!
Geben Sie dem Parlament die Möglichkeit, ihn sorgfältig im Kultusausschuss zu diskutieren. Es liegen Hunderte, nein an die 1000 Eingaben und Protestbriefe zu Ihrem Erlassentwurf vor. Es wäre unverantwortlich ihn in dieser Form in Kraft treten zu lassen. Sie zerstören damit nicht nur die Motivation der engagierten Lehrkräfte sondern auch bewährte pädagogische Konzepte.
Anrede,
manches ändert sich eben allzu rasch nach dem Regierungsantritt:
Vor der Wahl wurde noch von der Stärkung des Bildungsauftrags für den Kindergarten gesprochen und vom kostenlosen Bildungsjahr für Fünfjährige. Und jetzt ist davon keine Rede mehr.
Der Haushaltsansatz für den Bildungsplan Kindergarten wird um über die Hälfte von 540 000 Euro auf 250 000 Euro reduziert. Stattdessen will die CDU-Fraktion – ohne Haushaltsansatz- ein bahnbrechendes Programm "Bewegter Kindergarten" auf den Weg bringen - wahrscheinlich alles ehrenamtlich.
Die Kita-Mittel will der Innenminister künftig nach einer Kopfprämie – das scheint ja nun das Lieblingswort bei der CDU zu sein – auf die Kommunen verteilen. Damit wird sich dort der Druck verschärfen, Ganztagsgruppen auf eine Halbtagsbetreuung zu reduzieren und zusätzliches Personal in sozialen Brennpunkten zu streichen, denn dafür gibt es dann vom Land kein zusätzliches Geld mehr. So sollen also gerade die Kinder aus benachteiligten Verhältnissen in den Kitas gefördert werden!
Ja, es ändert sich die Perspektive, wenn man in der Regierung ist!
Während vorher die Verlässliche Grundschule von Übel war, ja der Minister sogar Angst vor ihr hatte, wie er noch 1999 gesagt hat, wird sie jetzt als Erfolgsmodell übernommen.
Im Bereich der Grundschulen, Herr Minister, hatten Sie ja viel versprochen: Volle Stundentafel mit 100 Stunden für die Grundschule war die Zielmarke. Gerade mal 94 Wochenstunden haben Sie realisiert.
Die Lernmittelfreiheit wollten Sie immer abschaffen. Einverstanden, sage ich, wenn alle, die es zahlen können, sich selbst Bücher kaufen und damit arbeiten können und diejenigen, die es nicht bezahlen können sowie kinderreiche Familien die Bücher vom Land bekommen.
Was macht Herr Busemann?
Er redet von sozial verträglichen Modellen, streicht dann aber jeden Euro aus dem Haushalt für einkommensschwache Familien. Wer soll deren Schulbücher denn nun zahlen, Herr Minister? Die Kommunen? Oder die Familien?
Und wenn Sie - wie man dem Haushaltsbegleitgesetz entnehmen kann – planen, ein Mietmodell einzuführen, dann ist es Ihnen wohl doch nicht so wichtig mit dem pädagogischen Vorteil des Besitzes von Schulbüchern, damit man damit arbeiten kann.
An der Entwicklung neuartiger Lernmittel, aktueller, weniger dick, weniger schwer und weniger teuer scheinen Sie schon überhaupt nicht interessiert zu sein.
Ich schließe daraus: Die Diskussion um die Abschaffung der Lernmittelfreiheit war bei ihnen eine Scheindebatte - Sie hatten gar nicht vor, ein gerechtes und sinnvolles Modell zu entwickeln, es ging lediglich um Einsparung von Haushaltsmitteln.
Ich muss sagen, ich hatte Ihnen tatsächlich abgenommen, dass Sie es ernst meinten mit der Sozialstaffel. Aber ich muss mich wohl erst noch an die entschiedene CDU – Politik zu Gunsten der besser situierten Bevölkerungsschichten gewöhnen! Da scheinen Sie gar keine Skrupel zu haben.
Das passt auch genau zu Ihren Planungen zur Abschaffung der Hausaufgabenhilfe für ausländische und ausgesiedelte Kinder.
Jahrelang ist immer wieder zu den Haushaltsberatungen an dieser Position herumgebastelt worden. Auch die SPD wollte die 2 Mio. DM mehrmals streichen, der damalige Oppositionsführer Christian Wulf griff die Landesregierung damals scharf an mit den Worten: "Einer der wichtigsten Bausteine zur Integration wird gedankenlos zerstört." Die Landesregierung kürze auf Kosten der schwächsten Schüler. Das war im Jahr 2000.
Heute plant die neue CDU-Regierung die komplette Streichung der Hausaufgabenhilfe; so hat sich die Einsicht in die Prioritäten für Schülerinnen und Schüler geändert. Was ist an der Hausaufgabenhilfe anders geworden, dass sie jetzt wieder gestrichen werden darf?
Nichts. Nur die SPD ist jetzt in der Opposition und kritisiert aufs schärfste, was sie alle Jahre selbst streichen wollte.
Und die CDU streicht heute rücksichtslos die - im Vergleich zum Gesamthaushalt - lächerliche Summe von 1 Mio. Euro, die aber sehr effektiv mit ganz geringen Honorarkosten dafür gesorgt hat, dass zahlreiche Kinder in Niedersachsen, deren Eltern sich keine private Nachhilfe leisten konnten, Unterstützung bei den Hausaufgaben bekommen haben. So konnten diese Kinder in der Schule auch mal mit guten Hausaufgaben glänzen.
Wie viel das bewirken kann, weiß jede Pädagogin und jeder Pädagoge, aber vielleicht nicht jeder Jurist.
So viel zu Ihrer Glaubwürdigkeit und Ihren Wahlversprechen.
Sie zerschlagen eine gewachsene Struktur, die so leicht nicht wieder herzustellen sein wird. Schon gar nicht gleichen Sie diese Förderleistungen mit der Sprachförderung ein halbes Jahr vor der Einschulung aus oder mit den vereinzelten Ganztagsangeboten, die wir bis jetzt in Niedersachsen haben.
Herr Minister, mit der Schulpolitik ist das fast so wie mit Weihnachten.
Da bereitet man einen wunderschönen Weihnachtsbaum vor und macht Bescherung mit 2500 Lichtern oder 2500 Stellen. Alles glänzt zunächst in der Weihnachtsstube und in Ihrer Schulpolitik. Zunächst!
Dann wird es zu warm in der Stube, der Baum beginnt langsam zu nadeln. Der Glanz verblasst.
So ist es auch bei Ihnen, Herr Minister.
Mit der Vorlage Ihrer Grundsatzerlasse, vor allem aber des Unterrichtsversorgungserlasses haben Sie dafür gesorgt, dass der trügerische Glanz Ihrer Schulpolitik nun verblasst.
Die Entzauberung des Kultusministers hat begonnen.
Ein bekanntes schwedisches Möbelhaus wirbt gerade mit der Aktion:
Baum zurück für Kinderglück!
Wenn Sie so weitermachen, Herr Minister, könnte es bald heißen:
Busemann zurück für Kinderglück!
(es gilt das gesprochene Wort)

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