Rede Ina Korter: Zweite Beratung Haushalt 2007 - Kultus

Landtagssitzung am 07.12.2006, TOP 10 - 15

Anrede,

ein Jahr vor der Landtagswahl hat die Landesregierung sich offenkundig entschlossen, im Bereich der Schulpolitik auf die Bremse zu treten und eine "Politik der ruhigen Hand" einzuleiten.
Im Entwurf für den Kultusetat finden sich keinerlei Impulse für die Entwicklung unserer Schulen.
Die Landesregierung steckt eine Menge Geld in das bestehende, veraltete System.
Aber Mittel für die notwendige Erneuerung unseres Schulsystems sind nicht vorgesehen.
Solche Mittel wären aber dringend nötig für die Eigenverantwortliche Schule.
Der Kultusminister hat die Eigenverantwortliche Schule zu einem zentralen Reformprojekt erklärt und das ist sie auch. Aber jetzt lässt er die Schulen allein.

Das Schulgesetz sieht zwar Budgets für die eigenverantwortlichen Schulen vor, aber im Haushalt sind dafür keinerlei Mittel vorgesehen. Ansätze für ein eigenes Personalkostenbudget der Schulen gibt es schon gar nicht.
Unbedingt erforderlich wären Finanzmittel außerdem für die individuelle Förderung.
Inzwischen besteht ein breiter Konsens, dass individuelle Förderung für unsere Schulen zum Leitprinzip werden muss.
Aber für Herrn Busemann ist das nur ein Lippenbekenntnis.
Er schreibt einen schönen Erlass zur Dokumentation der individuellen Lernentwicklung.
Aber er gibt den Schulen keinerlei Ressourcen in die Hand, um die Schülerinnen und Schüler dann auch tatsächlich individuell fördern zu können.

Anrede,

die finnischen Schulen sind nicht nur so erfolgreich, weil die Schülerinnen und Schüler dort neun Jahre lang gemeinsam mit- und voneinander lernen.
Sie sind auch deshalb so erfolgreich, weil dort jede Schule über Förderlehrer und weitere Fachkräfte verfügt, die die Schülerinnen und Schülern frühzeitig bei Problemen unterstützen.

In Niedersachsen haben die Schulen dagegen ganze zwei Poolstunden pro Klasse.
Und auch diese zwei Stunden sollen sie vor allem verwenden, um die täglichen Löcher in der Unterrichtsversorgung zu stopfen. Für die Förderung bleibt da nichts.

Das dritte Reformprojekt, das ohne Geld nicht funktionieren kann, ist die Ganztagsschule.
Die hat der Kultusminister ja noch nie geliebt.
Herr Busemann, Sie gehen ja gerne hin und eröffnen neue Schulmensen, die mit dem Geld der rot-grünen Bundesregierung errichtet worden sind. Aber Sie selbst haben nichts dazu gegeben. Stattdessen haben Sie die Ganztagsschule-light erfunden.

Das ist ja eine Ihrer ganz großen Stärken:
Immer flott ankündigen und versprechen, nichts finanzieren und dann alles schön reden.
Sie haben den Idealismus der Lehrkräfte und der freien Träger der Jugendhilfe ausgebeutet, die ganz besonders für die benachteiligten Schülerinnen und Schüler endlich auch am Nachmittag Angebote in der Schule schaffen wollten.
Jetzt wollen Sie ganze 4 Millionen € für einige der Ganztagsschulen zur Verfügung stellen, die bislang ganz ohne zusätzliche Mittel arbeiten müssen.
Das ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, aber ich bin sicher, Sie werden es als große Glanztat verkünden.

Aber auch dort, wo es Ganztagsschulen gibt, können immer mehr Schülerinnen und Schüler am Mittagessen dieser Schulen nicht teilnehmen, weil ihre Eltern das Geld dafür einfach nicht haben.
Sie müssen schlimmstenfalls zusehen, wenn andere in der Schule ihr warmes Mittagessen einnehmen.
Und das ist nicht irgendwie herbeigesucht, hören Sie sich einmal an den Schulen um.
Wir fordern Sie auf, wenigstens die 800.000 €, die Sie bei der Lernmittelhilfe für die Schulbuchmiete der ALG II –Empfänger einsparen, für einen Sozialfonds aufzuwenden, aus dem das Mittagessen für diese Kinder finanziert werden kann, wenn die Schulen vor Ort keine Lösung mehr finden.

In Rheinland-Pfalz gibt es einen solchen Fond, zu einem Drittel zahlt dort in Notfällen der Schulträger, zu zwei Dritteln das Land aus diesem Sozialfond.
Aber zum Thema Kinderarmut halten Sie nur wohlfeile Sonntagsreden. Wenn es darauf ankommt, wirklich zu helfen, dann ducken Sie sich weg und fühlen sich nicht zuständig – genau wie Ihre Sozialministerin

Anrede,

wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Regierungskoalition wenigstens die Absicht der Landesregierung korrigiert hat, zum kommenden Schuljahr erneut 400 Stellen in den Schulen zu streichen.

Wir tun Ihnen aber sicherlich nicht Unrecht, wenn wir diesen Änderungsbeschluss bereits als Wahlgeschenk verbuchen.
Wir sind sicher, auch im nächsten Jahr werden Sie wieder – dann wenige Wochen vor dem Wahltermin – mit großer Geste auf die Streichung von 400 Lehrerstellen verzichten.
Denn das ist ja Ihre Strategie.
Sie kündigen erst über die Landesregierung bittere Einschnitte und Kürzungen an.
Ist das Thema genügend öffentlich geworden und diskutiert, gehen Sie hin, nehmen die Streichungen zurück und verkünden mit großer Geste die neuen Segnungen.
So kann man die Menschen auch für dumm verkaufen!
Für die Jahre nach dem Wahltermin ist in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung unverändert der Abbau von jährlich 400 Lehrerstellen vorgesehen. Dann übernimmt wieder der Finanzminister das Kommando in der Schulpolitik.

Bundespräsident Köhler hat gefordert, dass die Mittel, die durch den Rückgang der Schülerzahlen rechnerisch frei werden, vollständig im Bildungssystem verbleiben müssen. Nur so können die Unterfinanzierung des Bildungssystems beendet und die notwendigen Reformen finanziert werden.
Diesen Grundsatz, Herr Busemann, sollten Sie auch Ihrem Finanzministerkollegen gegenüber durchsetzen. Nur so lässt sich die Zukunftsfähigkeit unseres Landes sichern.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP,

Sie unterstellen die Bildungspolitik nicht nur der Knute des Finanzministers,
vor allem stecken Sie die Lehrerstellen, die Sie dieses Jahr noch einmal erhalten haben, in ein veraltetes System. Sie sind noch immer nicht bereit, unser Bildungssystem endlich vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Die Fachleute sind sich längst einig, dass vor allem das Fundament gestärkt werden muss, die Kindertagesstätten und die Grundschulen, weil hier die Grundlagen für den ganzen weiteren Bildungsweg gelegt werden.

Sie aber mühen sich vergeblich daran ab, das Dach unseres Schulsystems zu flicken.
Sie lehnen heute unser "Programm für ein familien- und kinderfreundliches Niedersachsen" ab, mit dem wir die Bildungs- und Betreuungsangebote der Kindertagesstätten ausbauen wollen.
Sie lehnen es damit ab, einen Rechtsanspruch für einen Kindergartenplatz auch für die Unter-3-Jährigen zu schaffen.
Sie lehnen es ab, das Ganztagsangebot in den Kindergärten bedarfsgerecht auszubauen.

Sie weigern sich, in den Kindertagesstätten ein modernes Qualitätsmanagement aufzubauen und die Erzieherinnen und Erzieher so auf Hochschulniveau auszubilden, wie es in anderen europäischen Ländern längst selbstverständlich ist.

Und Sie weigern sich, Ihr eigenes Wahlversprechen von 2003 endlich einzulösen und das letzte Kindergartenjahr kostenfrei zu gestalten. Wir haben in unserem Antrag eine Finanzierungsmöglichkeit für dieses Programm vorgelegt. Aber Sie sind nicht bereit, sich damit ernsthaft auseinanderzusetzen. Phantasielos und mutlos verweisen Sie nur auf die leeren Kassen und belassen alles beim Alten.

Den Grundschulen haben Sie vor der letzten Wahl versprochen, die Jahreswochenstundenzahl in den ersten vier Schuljahren auf insgesamt 100 Stunden anzuheben. Auch dieses Versprechen haben Sie längst gebrochen.
Auch nach vier Jahren Busemann liegt die Pflichtstundenzahl in den Grundschulen bei 94 Stunden.
Statt die zurückgehenden Schülerzahlen in den Grundschulen zu nutzen, um hier endlich das Unterrichtsangebot zu verbessern, bauen Sie dort gut 270 Stellen ab.

Eine Stellenvergeudung betreiben Sie zum Teil in den Hauptschulen.
Obwohl diese Schulform von immer weniger Schülerinnen und Schüler angewählt wird, erhalten Sie hier aus rein ideologischen Gründen auch kleinste Schulen und Klassen am Leben, statt sie mit anderen Schulformen zusammenzuführen, in denen die Hauptschüler wesentlich besser gefördert werden könnten.

Unter dem Strich bauen Sie aber auch in den Hauptschulen und den Realschulen Stellen ab.
Stattdessen stecken Sie alles, was Sie haben, in Ihr Lieblingskind, die Gymnasien.
Und trotzdem wird es Ihnen auch im kommenden Jahr nicht gelingen, die Unterrichtsversorgung in den Gymnasien sicherzustellen. Mehr als 125 Lehrerstellen verbrauchen Sie jedes Jahr zusätzlich für Ihr übereiltes Konzept der Schulzeitverkürzung.
Sie haben die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf 12 Jahre jedoch nicht genutzt, um endlich die übermäßige Stofffülle in den Gymnasien abzubauen.

Anrede,

unser Schulsystem ist nicht mehr zukunftsfähig. Dafür mehren sich täglich die Anzeichen.
Die Wirtschaft in Niedersachsen beklagt sich, dass sie – trotz 380.000 Arbeitsloser – nicht genügend qualifizierte Fachkräfte findet.
Und in der vorigen Woche kam die Meldung, dass der Anteil der Schulabgänger, die ein Studium aufnehmen, sogar sinkt.
Unser Schulsystem schöpft die Talente der jungen Menschen nicht aus.

Auch das Niedersächsische Institut für Wirtschaftsforschung fordert deshalb in seinem Forschungsbericht "Bildung und Qualifizierung in Niedersachsen" vom September 2006 eine stärkere individuellen Förderung der Schüler durch differenzierten Unterricht in kleineren Lerngruppen, den Ausbau der Förderinfrastruktur an den Schulen, vor allem aber eine insgesamt spätere Selektion, wie sie in allen erfolgreichen PISA-Staaten erfolgt.

Wohlgemerkt, dass sagt nicht eine der Organisationen, die Sie so gerne in eine bestimmte Ecke schieben wollen, sondern das Niedersächsische Institut für Wirtschaftsforschung. Aber die Landesregierung verharrt unverdrossen in ihrer ideologischen Wagenburg.
Sie weigert sich – anders als z.B. die CDU in Hamburg und Schleswig-Holstein  – standhaft, die Diskussion über eine weitergehende Reform unseres Schulwesens auch nur zuzulassen. Sie ist unfähig, angesichts dessen, was sie mit ihrer Schulstrukturreform angerichtet hat, angesichts des rapiden Hauptschulsterbens, nach neuen Lösungen zu suchen.
 Sie investiert unverdrossen die Steuermillionen ineffizient in ein veraltetes System - immer nach dem Motto:  Augen zu und durch.

Herr Busemann, Sie werden doch nicht allen Ernstes zur nächsten Landtagswahl mit diesem überholten Schulkonzept antreten wollen!
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