Rede Helge Limburg: Strafvollzug in Niedersachsen – Zahlen, Daten, Fakten und Zukunft

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

zunächst einmal bedanke ich mich ausdrücklich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Justizministeriums und des niedersächsischen Justizvollzugs für die zeitnahe und umfangreiche Beantwortung dieser Großen Anfrage. Das war ein hartes Stück Arbeit. Aber nun haben wir diese umfassende Bestandsaufnahme, über die sich auch der Justizminister schon öffentlich gefreut hat, und wir können gut damit arbeiten.

Positiv ist, die Belegungssituation im niedersächsischen Justizvollzug hat sich in den letzten Jahren zunehmend entspannt und in dieser Hinsicht steht der niedersächsische Justizvollzug aktuell gut da! Wir hatten in 2009 eine Durchschnittsbelegung von etwa 80 Prozent in den niedersächsischen Justizvollzugsanstalten, das ist ein guter Wert. Die Mehrfachzellenbelegung ist ebenfalls rückläufig, beides zusammen trägt viel zu einer hoffentlich entspannteren Atmosphäre bei. Aber hier, Herr Justizminister Busemann, gleich die erste Kritik: Wenn wir uns doch einig sind, dass Sie die Situation in den Gefängnissen in den letzten Jahren erfolgreich entspannt haben, warum halten Sie dann mit unglaublicher Sturheit an Ihrem Projekt der teilprivatisierten Justizvollzugsanstalt in Bremervörde fest? Ich weiß schon, Sie wollen noch mehr kleinere Gefängnisse schließen, um dann die eine große Anstalt in Betrieb zu nehmen. Dafür nehmen Sie in Kauf, dass noch weniger Heimatnähe bei der Unterbringung möglich wird, Sie nehmen Verunsicherung der Bediensteten in Kauf und nicht zuletzt muten Sie dem Landtag zu, erhebliche Verpflichtungsermächtigungen, die den Haushalt noch jahrelang belasten werden, für dieses Großprojekt einzustellen, statt weitere Investitionen in bestehende, intakte, gut arbeitende Anstalten vorzunehmen. Das macht keinen Sinn! Stoppen Sie das Projekt, wir brauchen keine neuen Haftplätze in Niedersachsen. Wir brauchen vor allem einen Ausbau der Haftvermeidungsprojekte!

Kommen wir zu denen, in deren Händen alles liegt, ohne die sich kein noch so ehrgeiziges Projekt im Justizvollzug umsetzen lässt, den Bediensteten. Die Bediensteten im niedersächsischen Justizvollzug leisten eine wirklich gute Arbeit. Und unsere Verantwortung ist es, ihnen diese Arbeit soweit wie irgend möglich zu erleichtern. Dazu gehört, dass das Land als Arbeitgeber mit besonderen Fürsorgepflichten ein angemessenes Gesundheitsmanagement sicherstellen muss. Es geht hier nicht darum, einzelne JVAs an den Pranger zu stellen, aber wer die Antwort der Landesregierung in Bezug auf die Krankenstände vergleicht, der wird erhebliche Unterschiede und Missstände feststellen, die sich über Jahre hinziehen. Das mag jeweils vor Ort spezifische Ursachen haben, aber wir sind es den Bediensteten schuldig, alles dafür zu tun, dass sie ihren nicht immer leichten Job gesund erledigen können. Die Personalsituation ist insgesamt nicht angespannt, was aber auf keinen Fall dazu verleiten darf, den Justizvollzug in den kommenden Jahren zur Sparbüchse des Landes zu machen. Die gegenwärtige Stellensituation ist im Prinzip hinreichend, aber auch notwendig, meine Damen und Herren.

Zur Vollzugspraxis und Disziplinarmaßnahmen: Die Antworten über Straftaten im Justizvollzug und Disziplinarmaßnahmen sind nicht sehr umfangreich, was für den Moment in Ordnung ist, aber das Justizministerium hat sich durch unsere Anfrage anregen lassen, eine einheitliche Dokumentation zu erstellen. Es freut mich, dass wir Anregungen geben konnten. Insgesamt lässt sich aber sagen: Straftaten sind in Niedersachsens Gefängnissen nicht die Regel, sondern Randerscheinungen, und das ist auch gut so. Die Praxis der Disziplinarmaßnahmen variiert sehr stark von JVA zu JVA, wird aber auch nur teilweise dokumentiert, so dass tiefere Analysen hier kaum möglich sind.

Angesichts einiger Beschwerdebriefe, die ich von Gefangenen erhielt, entsteht allerdings zuweilen der Eindruck, Disziplinarmaßnahmen würden durchaus auch in dem einen oder anderen Fall willkürlich verhängt. Zumindest diese Gefangenen vermissen eine hinreichende Erläuterung für die Entscheidungen der Bediensteten. Gefangene haben zumindest ein Anrecht auf gute Erklärungen für Disziplinarmaßnahmen.

Meine Damen und Herren,

als Sie das niedersächsische Justizvollzugsgesetz verabschiedet haben, haben Sie erstmals in Niedersachsen den Geschlossenen Vollzug zur Regel, den Offenen Vollzug zur Ausnahme gemacht. Ich weiß, dass viele aus der Praxis der Auffassung sind, dass sei richtig so, weil bereits vorher faktisch der Geschlossene Vollzug die häufigere Haftform war. Das mag für Niedersachsen richtig sein, wenn Sie aber Ihren Blick mal über die Grenze richten in europäische Nachbarländer, dann werden Sie dort Beispiele finden, bei denen der geschlossene Vollzug tatsächlich die absolute Ausnahme ist. Sie hätten besser die Realität an die damaligen gesetzlichen Vorgaben anpassen sollen, anstatt das Gesetz an die Praxis anzugleichen. Der Gesetzgeber darf ruhig sinnvolle politische Vorgaben machen, er muss aber nicht Fehlentwicklungen gesetzlich absichern. Warum plädieren wir Grüne für mehr Mut zum Offenen Vollzug? Weil, und dass haben Sie selbst oft genug zu Recht gesagt, Herr Busemann, weil der Inhaftierte von heute schon morgen unser Nachbar sein kann. Und weil er sich besser in Freiheit zurechtfindet, wenn er vorher nicht jahrelang in geschlossenen Einrichtungen verbracht hat, sondern wenn er sich im offenen Vollzug auf die Anforderungen an das Leben in Freiheit vorbereiten konnte. Wir haben in einer Vielzahl von Briefen aus dem Justizvollzug die Rückmeldung bekommen, dass Lockerungen, Urlaube und Freigänge, in den letzten Jahren immer stärker abgenommen haben. Ihre Antworten sind in diesem Bereich ungenau, aber es lässt sich die Tendenz ablesen, dass Urlaube und Freigänge zurückgegangen sind, also in den JVAs nicht gewährt werden. Das ist auch eine Folge der Tatsache, dass Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, mit Ihrem NJVollZG erstmals die Sicherheit der Allgemeinheit zum gleichrangigen Vollzugsziel neben der Resozialisierung gemacht haben. Das klingt ja auf den ersten Blick recht einleuchtend: Der Justizvollzugszug soll der Sicherheit dienen, wer kann was dagegen haben? Das Problem ist, dass dahinter ein kurzsichtiger, verkürzter Sicherheitsbegriff steckt: Sicherheit durch Wegschließen können Sie nämlich nur für die Dauer der Haftstrafe gewährleisten. Sicherheit danach, also umfassende Sicherheit könnten Sie besser durch mehr Einübung von Selbstverantwortung und Erleben von Freiheit und während der Haftzeit sicherstellen. Aber weil das in konservativen Kreisen unpopulär ist, haben Sie das damals gegen heftigste Widerstände so in das Gesetz geschrieben, wie es jetzt formuliert ist. In der Antwort dazu behaupten Sie, die Gesetzesformulierung hätte keine Auswirkungen gehabt. Entschuldigen Sie, aber das ist lächerlich: Wenn Ihre Gesetze in der Realität ohne Auswirkungen bleiben, wie Sie sagen, dann hätten Sie das Gesetz nicht so erlassen müssen. Die Auswirkungen sind da. Und, Herr Justizminister, Sie selbst wollen Entlassungsvorbereitung und Übergangsmanagement vorantreiben, was ich begrüße. Es ist sehr wohltuend, wie Sie sich zu diesem Themenkomplex öffentlich äußern. Das geht aber leichter mit mehr Lockerungen, offenem Vollzug und einer flächendeckenden Ausdehnung des Projekts "Fit für die Zukunft" Doch genau das lehnen Sie ab und behaupten darüber hinaus, es sei nicht erwiesen, dass die Rückfallquote derjenigen, die vor ihrer Entlassung im Offenen Vollzug waren, geringer sei als die Rückfallquote derjenigen, die direkt aus dem Geschlossenen Vollzug in die Freiheit kamen.  Fälle, in denen Menschen quasi von heute auf morgen ohne Erprobung in die Freiheit entlassen werden und dann mit einer Sporttasche in der Hand vor dem Gefängnistor stehen, sollte es nur noch in Filmen geben. Es gibt sie aber, leider, auch in Niedersachsen. Wir sollten das abstellen.

Auch zur Sicherungsverwahrung ist hier in den letzten Monaten schon viel diskutiert worden, deshalb nur soviel: Die Zahl der Sicherungsverwahrten hat in den letzten Jahren, entgegen den sonstigen Haftzahlen, deutlich zugenommen. Angesichts der Tatsache, dass es sich hier um Haft auf Prognose handelt, ist das eine höchst problematische Entwicklung. Und dem Trennungsgebot sind Sie auch in Niedersachsen nicht ausreichend nachgekommen. Die Antworten auf unsere Fragen sind höchst unbefriedigend. Auch hier wäre mehr Mut zur Offenheit und Orientierung an den Rechtstatsachen angebracht. So ist es doch höchst bemerkenswert, was die Studie der Göttinger Universitätspsychiatrie jüngst gezeigt hat, die sämtliche bis zum Jahr 2008 getroffenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes, in denen dieser eine nachträgliche Sicherungsverwahrung abgelehnt hat, ausgewertet hat: nur etwa ein Viertel der von den Gutachtern als gefährlich eingestuften Straftätern sind nach ihrer Entlassung wieder schwerwiegend straffällig geworden, die anderen drei Viertel haben in den zwei Jahren nach ihrer Entlassung keine Straftaten begangen, die eine Unterbringung oder gar Sicherungsverwahrung rechtfertigen würden. Ich meine, dass diese Erkenntnisse anzeigen, dass wir jedes Schüren von Hysterie zu diesem Thema tunlichst vermeiden und nicht auf durchsichtige Weise mit den Ängsten der Bürgerinnen und Bürger spielen sollten.

Im Jugendarrest fällt vor allem eines auf: Zahlen über Rückfallgefahr nach einem verbüßten Jugendarrest haben Sie nicht. Die einzigen Zahlen, die Sie haben, aus einer wissenschaftlichen Untersuchung, gehen von etwa 70Prozent Rückfalltätern nach einem verbüßten Jugendarrest aus. 70Prozent! Das sollten Sie sich mal vor Augen führen, bevor Sie großspurig die Ausweitung des Jugendarrestes und die Einführung des Warnschussarrestes propagieren.

Die Jugendanstalt Hameln hat zu Recht ein hohes Renommee. Allerdings bleibt hier, genau wie im Frauenvollzug, das Problem der heimatnahen Unterbringung ungelöst. Vielleicht wäre es gut, auch hier mal über Kooperationen mit anderen Bundesländern, zum Beispiel mit Hamburg, nachzudenken. Die JVA Hahnöfersand, auf niedersächsischem Boden gelegen, könnte auch niedersächsische Gefangene aus der Nordostregion aufnehmen und so auch für Frauen und Jugendliche aus der Region eine heimatnahe Unterbringung ermöglichen.

Es ist gut und vorbildlich, dass wir in Niedersachsen Mutter-Kind-Stationen haben. Aber, im Angesicht gesellschaftlichen Wandels, sollten auch Maßnahmen zur Stärkung der Vater-Kind-Beziehung unternommen werden, wo es die Sicherheit zulässt. Nicht jeder verurteilte Straftäter ist ein schlechter Vater. Hier sehe ich deutlichen Nachholbedarf.

Abschließend bleibt festzuhalten: Der niedersächsische Justizvollzug, so wie er ist, ist im Großen und Ganzen auf einem guten Weg. Aber es gibt auch noch viel zu tun: Das Gesundheitsmanagement für Bedienstete muss ausgebaut, Vollzugslockerungen und Entlassungsmanagement verstärkt und der Justizvollzug insgesamt für die kommenden Herausforderungen und gesellschaftlichen Veränderungen vorbereitet werden. Das vorbildhafte Projekt des Haftraummediensystems der JVA Wolfenbüttel sollte möglichst bald flächendeckend eingeführt werden. Eine höhere Investition in die Bildung und Ausbildung der Gefangenen sowie in die lebenslange Fort- und Weiterbildung der Bediensteten wäre zukunftsweisend. Was wir allerdings nicht brauchen sind teure Großprojekte in Privathand, sondern wir brauchen Vertrauen in die staatlichen Bediensteten!

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