Rede Helge Limburg: Entlassung des Innenministers Uwe Schünemann
- es gilt das gesprochene Wort -
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
im November diesen Jahres, an einem Donnerstag, wird nach Recherchen des NDR öffentlich, dass der Präsident der Zentralen Polizeidirektion (ZPD), Dr. Christian Grahl, CDU, bereits im August in einer Kneipe im Hannoveraner Steintorviertel "ein Bier" getrunken habe. Wie reagiert der zuständige Innenminister und oberste Dienstherr auf diese Nachricht? Zunächst gar nicht; als der Druck größer wird, wird Herr Grahl nicht etwa bis zur Klärung der Vorwürfe suspendiert, sondern an die Spitze des Landesamtes für Statistik (LSKN) versetzt. "Abgeordnet", wie es formvollendet heißt; formal bleibt er auf dem Posten des ZPD-Chefs. Begründet wird diese Reaktion damit, Herr Grahl habe dem Innenminister im August die Nutzung des Dienstwagens verschwiegen. Am Montag, den 14.11., wird dann im LSKN direkt ein neuer Stellenplan erstellt - Herr Grahl an der Spitze - alles gut offensichtlich nach Meinung des Ministers.
Die Öffentlichkeit findet dies aber nicht und stellt die Frage, warum der Innenminister zwei Monate gebraucht hat, um wirksam zu reagieren. Und dann erfährt die erstaunte Öffentlichkeit auch noch, dass das vermeintliche "Personalgespräch" ohne Beteiligung des direkten Dienstvorgesetzten und ohne jeden Aktenvermerk im Dienstzimmer von Herrn Grahl geführt worden ist. Selbst wenn dieses "Personalgespräch" tatsächlich stattgefunden hat und nicht nur erfunden wurde – bis heute haben Sie weder das genaue Datum noch die Zeit nennen können. Allein für eine so hemdsärmlige Personalführung müssten Sie Ihr Amtsverständnis in Frage stellen, Herr Innenminister. Die Öffentlichkeit tut das jedenfalls schon lange, und ich meine zu Recht.
Nachdem der öffentliche Druck nicht nachlässt, müssen Sie erneut "klein beigeben"; zunächst für eine Woche noch ein neuer Stellenplan im LSKN, diesmal mit dem Zusatz bei Herrn Grahl "mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt". Und dann versetzen Sie Herrn Grahl in das Landwirtschaftsministerium, auf eine Stelle, die längst ausgeschrieben war, auf die sich qualifizierte Fachleute beworben haben. Herr Grahl jedenfalls ist für die Stelle nach dem Ausschreibungstext nicht qualifiziert und kann künftig sogar noch befödert werden. Was ist das, Herr Schünemann, wollen Sie von Ihren Spielchen: "ich tue meinem Kumpel nichts, selbst wenn er sich falsch verhält" ablenken!? Der Fall rund um den heiligen Grahl, der möglicherweise als Bauernopfer im Landwirtschaftsministerium gelandet ist, ist ja nicht die einzige Baustelle in Ihrem Haus, Herr Schünemann.
In Göttingen gibt Ihr Ministerium detallierte Hinweise, wie eine ausländische Familie bestmöglich drangsaliert werden kann, inklusive unberechtigter Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft. Und in gewohnter Manier lassen Sie im November eine lange hier lebende, bestens integrierte Familie nach Vietnam abschieben. Diese Abschiebung der Familie Nguyen liegt nicht allein am Bundesrecht, wie Sie uns hier immer weiß machen wollen und auch nicht am Landkreis Nienburg allein. Sie ist im wesentlichen das Resultat Ihrer rigorosen Abschiebepraxis und der Tatsache, dass die Härtefallkommission auf Grund Ihrer Vorgaben echte Härtefälle gar nicht bearbeiten kann. Und der nächste Fall Nguyen steht leider bereits vor der Tür, heute nachzulesen in der HAZ. Jetzt soll eine Familie aus Cuxhaven nach Sibirien, sonst droht aus Ihrem Hause unmissverständlich die Abschiebung. Sie geben ja immer vor, mit diesen Aktionen den "Rechtsstaat" zu verteidigen, aber komischerweise bringt dieses "Rechtsstaatsverständnis" die Menschen hierzulande massenhaft auf die Palme.
Die Menschen wollen nicht akzeptieren, dass aus ihrer Mitte heraus immer wieder Mitbürger abgeschoben, weil sie nicht in eines Ihrer Muster passen, Herr Schünemann. Aber es gäbe durchaus Bedarf, den Rechtsstaat zu verteidigen, zum Beispiel wenn Ihre Ausländerbehörden zu Unrecht Abschiebehaft beantragen. Aber da weigern Sie sich auf einmal, Fach- und Rechtsaufsicht wahrzunehmen. Selektives Rechtsstaatsverständnis ist nicht vom Amtseid gedeckt, Herr Innenminister, auch deshalb ist Ihre Entlassung überfällig. Das Spannende ist ja, dass hier, bei den Abschiebesachen, die Methoden des Innenministers sich gegen ihn selbst wenden, der Rechtsstaat schlägt quasi zurück. Sie empfehlen den Ausländerbehörden zu Schikanezwecken die Staatsanwaltschaften einzuschalten, aber vergessen dann, diese in der Folge auch in Abschiebehaft-Sachen zu involvieren und das beschert Ihnen, wie so oft, Niederlagen vor deutschen Bundesgerichten. So kann's gehen mit dem Rechtsstaat, Herr Innenminister – Sie können sich den Rechtsstaat nicht so drehen wie Sie das wollen.
Und schließlich die Baustelle Rechtsextremismus: Mit eiligen Vorstößen in Richtung Terrorabwehrzentrum versuchen Sie von Ihrem und dem Versagen Ihrer Behörden abzulenken. Sie haben jegliche Gefahr durch Rechtsterrorismus verneint, und sogar den geplanten Anschlag auf die Grundsteinlegung der Synagoge in München in einer Antwort auf unsere Anfrage heruntergespielt. Das Ausmaß des rechten Terrors hat uns alle überrascht, aber dass Nazis Waffen besitzen und bereit sind, sie auch einzusetzen, davor haben Fachleute und die Opposition immer wieder gewarnt. Heruntergespielt hat diese Bedrohung Ihr Haus, Herr Schünemann. Und wer sich, wie Sie, immer wieder hinstellt und seinen Inlandgeheimdienst quasi als das Allheilmittel gegen alles Schlechte in dieser Welt preist, der muss sich dann in einer solchen Lage auch umso schärfere Fragen gefallen lassen. Und vor allem sollte er wenigstens ein bisschen Einsicht und Demut zeigen. Ein bisschen Selbstkritik. Ein bisschen Respekt für die Arbeit der Mahner und Warner der letzten Jahre. Sie halten sich weiterhin für unfehlbar. Sie sind es nicht, Herr Schünemann. Sie hatten ausreichend Verfehlungen von denen jede einzelne in anderen Ländern für einen Rücktritt reichen würde. Und deshalb fordern wir heute Ihre Entlassung.