Rede Hans-Albert Lennartz: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung und des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes

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Anrede,
das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 3. März 2004 einen erheblichen Teil der Vorschriften zum großen Lauschangriff für verfassungswidrig erklärt.
Diese Entscheidung ist zu begrüßen und sie muss auch für die niedersächsischen Sicherheitsgesetze Auswirkungen haben.
Wir erinnern uns: Im Superwahljahr 1998 beschloss eine Koalition aus CDU/CSU, SPD und FDP den großen Lauschangriff, in dem die Voraussetzung durch eine Änderung des Artikel 13 GG geschaffen wurde. Das Instrument wurde in Wahlkampfzeiten als Wunderwaffe im Kampf gegen die "organisierte Kriminalität" hochstilisiert, ohne die der Rechtsstaat in Gefahr geraten würde. Tatsächlich ist der Rechtsstaat in Gefahr geraten, durch die Demontage des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Seit der Legalisierung des großen Lauschangriffes (akustische Wohnraumüberwachung) sind knapp 120 dieser Maßnahmen in Wohnungen durchgeführt worden, wie sich heraus gestellt hat nicht nur auf verfassungswidrige Weise, sondern auch mit wenig Erfolg. Dabei sind intimste Lebensvorgänge und Lebensäußerungen auch Unbeteiligter und Unschuldiger ausgeforscht worden.
Das Bundesverfassungsgericht stellt nun fest, "dass die akustische Überwachung von Wohnräumen nicht in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung eingreifen dürfe, und zwar auch nicht im Interesse der Effektivität der Strafrechtspflege und der Erforschung der Wahrheit."
"Die akustische Wohnraumüberwachung (zu Strafverfolgungszwecken) verstößt dann gegen die Menschenwürde, wenn der Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht respektiert wird" (Bundesverfassungsgericht, Urteil, Randziffer 122). Bevor nun die Verteidiger des großen Lauschangriffes hier an das Mikrofon gehen und erläutern werden, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts deshalb keine Auswirkungen auf niedersächsische Gesetze haben könne oder müsse, weil das Bundesverfassungsgericht sich ja ausschließlich zu den Regelungen der Strafprozessordnung geäußert habe, während die niedersächsischen Sicherheitsgesetze, insbesondere das Niedersächsische Gesetz über die öffentliche Ordnung und Sicherheit (Polizeigesetz) und das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz ja nicht den Zwecken der Strafverfolgung, sondern der Gefahrenabwehr diene, nenne ich Ihnen das entscheidende Argument: In der juristischen Methodik ein Argumentum a maiore ad minus. Wenn schon die akustische Wohnraumüberwachung zu Strafverfolgungszwecken gegen die Menschenwürde verstößt, wenn der Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht respektiert wird, dann gilt dies erst Recht im Vorfeld der Strafverfolgung, also im Bereich der Gefahrenabwehr, in dem die Polizei und auch der Verfassungsschutz agieren.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts könnte der Tendenz zur normativen Entgrenzung im Bereich der "inneren Sicherheit" entgegen wirken, aber nur dann, wenn es tatsächlich weit über den großen Lauschangriff (in Bezug auf die Strafprozessordnung) hinaus Beachtung findet. Denn auch andere Sicherheitsgesetze des Bundes und der Länder, ebenso wie die ausufernde Praxis der Telekommunikationsüberwachung, müssen künftig an diesen Maßstäben gemessen werden.
Deshalb müssen mindestens die in unserem Gesetzentwurf aufgeführten Bestimmungen modifiziert und korrigiert werden:
§ 33a des Niedersächsischen Polizeigesetzes. Die dramatischste Verschärfung dieses Gesetzes durch die Mehrheitsfraktionen im Dezember 2003 liegt in der Ermöglichung einer verdachtsunabhängigen vorbeugenden Telekommunikationsüberwachung.
Von der dortigen Neuregelung kann nach unserem Verständnis nur die von uns formulierte Ziffer 1 übrig bleiben, nach der eine verdachtsunabhängige Telekommunikationsüberwachung nur zulässig ist zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person.
Es geht also darum, dass eine vorbeugende Telekommunikationsüberwachung nur bei hilflosen Personen oder Suizidverdächtigen durchgeführt werden kann.
Eine gleichermaßen notwendige Einschränkung muss den § 35 des Polizeigesetzes erfassen. Er regelt den verdeckten Einsatz technischer Mittel in Wohnungen, die dem Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung unterliegen. Entsprechende Maßnahmen sind in logischer Interpretation der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur zulässig, sofern sich die Gefahr nicht auf andere Weise abwenden lässt und die Datenerhebung hilflose Personen oder Suizidverdächtige betrifft.
§ 6 des niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes in der im Januar 2004 beschlossenen Fassung muss in logischer Interpretation der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wieder dahin korrigiert werden, dass das heimliche Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlichen gesprochenen Wortes nur außerhalb des Schutzbereiches des Artikel 13 des GG zulässig sind. Die Regelungen in Artikel 2 des Gesetzentwurfs beinhalten die notwendigen Anpassungen.
Anrede,
und nun zum Gesetzentwurf zur Umorganisation der Polizei, der von den Fraktionen der CDU und der FDP eingebracht worden ist. Bemerkenswert ist erst einmal, dass er immerhin schon am Montagnachmittag als Drucksache verfügbar war. Also knapp 2 Tage Zeit die zur Verfügung standen um ihn zur Kenntnis zu nehmen und zu bewerten. Bemerkenswert ist aber auch, dass dieser Gesetzentwurf von den Fraktionen eingebracht wird, nicht aber von der Landesregierung. Wenn es einen Bereich gibt, in dem Gesetzentwürfe sozusagen naturwüchsig von der Landesregierung einzubringen sind, dann sind es solche, wie dieser vorliegende, in dem nämlich die Organisation der Landesverwaltung geregelt wird. In der Rechtswissenschaft nennt man Vorgänge wie diesen Rechtsformenmissbrauch.
Ich habe aber auch eine Erklärung dafür, warum er nicht von der Landesregierung eingebracht wird. Denn, wie im Kontext der Verwaltungsreform insgesamt, ist es auch in diesem Gesetzentwurf oder begleitend zu diesem Gesetzentwurf nicht möglich die haushaltsmäßigen Auswirkungen konkret zu belegen (vgl. Begründung II zum Gesetzentwurf). Hätte die Landesregierung den Gesetzentwurf selbst eingebracht, so hätte sie damit gegen die vorläufigen Grundsätze für die Durchführung von Gesetzesfolgeabschätzungen (vgl. Niedersächsisches Ministerialblatt vom 3.6.1998, 759) verstoßen.
Meine Damen und Herren, das ist ein Armutszeugnis für diese Landesregierung!
Zum Inhalt: Im Zuge der geplanten Abschaffung der Bezirksregierungen sollen die bislang bei den Bezirksregierungen wahrgenommenen Steuerungsaufgaben für die Polizei, also ihre Funktion als Polizeibehörde verlagert werden in Polizeidirektionen. Bislang existieren 4 Bezirksregierungen sowie die Polizeidirektionen Hannover und Braunschweig und das Landeskriminalamt als Polizeibehörden des Landes. In Zukunft sollen stattdessen 7 Polizeidirektionen, weiterhin das Landeskriminalamt und ein Landepolizeipräsidium im Innenministerium existieren.
Von einer Landesregierung, die mit dem erklärten Ziel angetreten ist, die Verwaltung kostenmäßig zu reduzieren und der schwierigen Haushaltslage des Landes anzupassen, hätte man erwarten können, das sie statt einer Aufblähung des Polizeiapparates mindestens den Ist-Zustand beibehalten hätte. Meines Erachtens hätte es sogar ausgereicht, in den bisherigen Regierungsbezirken jeweils eine Polizeidirektion zu etablieren, das heißt also mit 4 Polizeidirektionen vorlieb zu nehmen. Insbesondere hätte man auf die zusätzliche so genannte zentrale Polizeidirektion, welche die Aufgaben der Landesbereitschaftspolizei und der Wasserschutzpolizei in Zukunft verbinden soll, verzichten können. Die Beibehaltung der Zuständigkeit der Wasserschutzpolizei bei einer Polizeidirektion Weser-Ems wäre unproblematisch. Die Aufgaben der Landesbereitschaftspolizei einer Polizeidirektion anzugliedern wäre ebenfalls möglich und unproblematisch gewesen. Damit ließen sich auch die zusätzlichen Kosten zum Beispiel für die neu zu schaffenden Stellen von Polizeipräsidenten in den Polizeidirektionen reduzieren.
Die Landesregierung wäre gut beraten gewesen, wenn sie auf der Ebene der Polizeiinspektionen den bisherigen organisatorischen Zuschnitt mit der Mischung aus Inspektionen und Inspektionen/Z beibehalten hätte und insbesondere aus Gründen der Kundennähe und der Abstimmung zu den allgemeinen Verwaltungsbehörden auf Kreisebene die Polizeiinspektionen mit den Landkreisgrenzen übereinstimmend erhalten hätte.
Im Übrigen wird mit diesem Gesetz ein Paradigmenwechsel vollzogen. Während bislang die Polizeisteuerung in zivilen (allgemein) Verwaltungsbehörden also in den Bezirksregierungen wahrgenommen wurde, wird in Zukunft die Polizeisteuerung in den Polizeidirektionen wahrgenommen. Darüber hinaus übernehmen die Polizeidirektionen aber auch die Aufgaben von allgemeinen Verwaltungsbehörden beispielsweise im Bereich des Katastrophenschutzes, des Brandschutzes und bestimmter Hoheitsangelegenheiten.
Die grundsätzliche Differenz zwischen Landesregierung, CDU- und FDP-Fraktion einerseits und uns andererseits lässt sich an der spezifischen Charakterisierung der beiden zu behandelnden Gesetzentwürfe deutlich machen. Während wir versuchen eine verfassungsgemäße Einhegung der polizeilichen Handlungsbefugnisse im Interesse der Bürgerrechte zu gewährleisten, schaffen die Landesregierung und ihre Mehrheitsfraktionen ein Geflecht von Polizeibehörden, die in sich homogene Personalkörper und eine entsprechende mentale Prägung gewährleisten sollen.

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