Rede Gerald Heere: Anträge (FDP) zur Beseitigung der kalten Progression
- Es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
Parlamentarismus ist demokratische Repräsentanz und bedeutet auch die Diskussion mit der Opposition in Rede und Gegenrede. Insofern nehmen Sie es mir bitte nicht übel, dass es mir in dieser ungewohnten Situation nicht sonderlich leicht fällt, mit der Abwesenheit der Oppositionsfraktionen umzugehen - und das nicht nur, weil die Diskussion insbesondere mit den Kollegen Grascha, Bode und Hilbers hier immer das Salz in der Suppe ist. Dennoch werde ich hier Ausführungen machen, weil das Thema der sogenannten Kalten Progression so wichtig ist, dass wir hierzu auch im Niedersächsischen Landtag einige Ausführungen und Positionierungen hören sollten.
Zum dritten Mal in sieben Monaten sprechen wir in diesem hohen Haus über das Thema Steuerprogression. Wir haben in diesen Monaten der Abfolge von Plenar- und Ausschusssitzungen in der Analyse Übereinstimmungen festgestellt, aber in den Konsequenzen sind wir deutlich voneinander entfernt.
Kurz zu den Übereinstimmungen: Ja, die Inflation hat einen Effekt auf die Progression. Wenn man diesen Effekt dauerhaft ignoriert, dann bedeutet dies ein Kaufkraftverlust der Steuerzahlerinnen und -zahler. Und es bedeutet, dass die Geldentwertung der Steuerzahlungen einseitig vom Steuerzahler getragen wird. Dies ist - abhängig vom Einkommen - nicht pauschal gerecht und muss daher eine angemessene Korrektur erfahren. Soweit die Einigkeit.
Wir haben ansonsten überwiegend Differenzen festgestellt. Erstens: Die Opposition möchte die genannten Effekte dauerhaft beseitigen. Die FDP bereits ab sofort, in Form eines Systems, das die Progressionskurve automatisch jedes Jahr verschiebt. Dafür hat sie den Gesetzesvorschlag vom Bund der Steuerzahler 1 zu 1 eingebracht. Die CDU will das hingegen, ohne genaues Konzept, erst ab 2018 machen - also bezeichnenderweise nach den nächsten Wahlen. Wir hingegen sind der Meinung, dass wir eine Korrektur je nach Höhe des realen Effekts in unregelmäßigen Abständen vornehmen sollten. Ich zitiere dazu mal den Ersten Steuerprogressionsbericht der Bundesregierung vom 28. Januar 2015: „Im Jahr 2014 hat die niedrige Preissteigerungsrate in Verbindung mit der Anhebung des Grundfreibetrages zu Jahresbeginn dazu gefu?hrt, dass in diesem Jahr keine zusa?tzliche kalte Progression entstanden ist.“ Zitatende. Genau deshalb besteht aus unserer Sicht aktuell kein Handlungsbedarf!
Zweitens: FDP und CDU wollen die sogenannte Kalte Progression für alle Steuerzahlerinnen und -zahler unabhängig von der Höhe der Einkommen gleichermaßen beseitigen. Diese Gleichbehandlung lehnen wir ab, denn die höchsten 20% der Einkommen würden dann 50% der Entlastungssumme bekommen, während die große Masse kleinerer Einkommen in der Größenordnung von nur wenigen Euro im Jahr entlastet würde. Eine Überprivilegierung von hohen Einkommen lehnen wir ab. Das ist ein Gebot der Gerechtigkeit!
Drittens: FDP und CDU wollen mit ihren Vorschlägen die Geldentwertung der Steuerzahlung zukünftig vollständig vom Staat tragen lassen. Das bedeutet, dass die durch die Steuerschätzung vorgegebenen Spielräume des Staates dadurch eingeschränkt würden. Auch das lehnen wir ab. Deshalb wollen wir die Entlastung bei kleinen und mittleren Einkommen - ich zitiere aus der Beschlussempfehlung - "durch eine gerechtere Ausgestaltung des Tarifverlaufs bei den Spitzeneinkommen kompensieren.“ Dann profitieren die, die es brauchen und der Staat verliert trotzdem kein Geld, um wichtige Zukunftsinvestitionen zu tätigen.
Und damit sind wir beim Kern des unseres Dissenses: Es gibt eine Reihe von Landesaufgaben, insbesondere im Bereich Bildung, aber auch der Infrastruktur, für die es einen großen gesellschaftlichen Konsens gibt. Wir versuchen, für diese konsensualen Aufgaben eine ausreichende Finanzierung herzustellen. Sie wollen hingegen den Finanzierungsspielraum maximal reduzieren: niemals Steuererhöhungen, keinen Soli nach 2019, bloß keine zusätzlichen Einnahmen aus der Vermögens- und Erbschaftssteuer, drei Jahre früher die Schuldenbremse einhalten sowie echte Mindereinnahmen durch die komplette Abschaffung der Kalten Progression - selbst für ganz hohe Einkommen. Wir sehen an dieser Stelle keine Möglichkeit, um dem Staat Handlungsspielraum zu nehmen. Daher ist unser Antrag der bessere und realistischere.
Vielen Dank!