Rede Gerald Heere: Aktuelle Stunde (FDP) - Kalte Progression
- Es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,
"Ist denn schon wieder Sommerloch?", war mein erster Gedanke, als ich von der Aktuellen Stunde der FDP hörte. Ach nein, nicht Sommerloch, sondern Wahlkampf! Die Kalte Progression ist so ein Thema, das wahlweise von FDP oder CDU regelmäßig zu einem dieser Anlässe aus der Schublade herausgekramt wird. Sie versuchen mal wieder mit verkürzten Argumente billig ein paar Stimmen einzusammeln. Das wird Ihnen heute nicht gelingen!
Und was dabei nun wirklich nicht geht, ist, einen Gewerkschaftsfunktionär als Kronzeugen für Ihre Thesen anzuführen. Mit diesen Thesen suggerieren Sie, die Gewerkschaften würden voll hinter Ihnen stehen. Einmal ganz abgesehen davon, dass ich kein großer Freund von Herrn Vassiliadis bin, was v.a. an dessen Positionen zu Kohle oder Fracking liegt, die nun wirklich nicht grün sind. Aber gerade bei der Steuerpolitik haben Grüne und Gewerkschaften immer gemeinsam für mehr soziale Gerechtigkeit und gegen Ihre FDP-Politik gestanden. Diese trifft nämlich ganz sicher nicht das Gerechtigkeitsgefühl der Gewerkschaftsmitglieder. Hören Sie auf, diese Leute ideologisch in die sprichwörtliche Geiselhaft zu nehmen.
Zu Ihren ewig gleichen Argumenten, denen ich ausdrücklich widerspreche: Wenn man die Kalte Progression so angeht, wie Sie das fordern, dann ist das ein gigantisches Subventionsprogramm für Spitzenverdienende. Nehmen wir als Referenz die konkreten Vorschläge, die Sie zu Zeiten der schwarz-gelben Bundesregierung 2012 vertreten haben. Ihr Modell zur Verschiebung der Progressionskurve hätte 6 Mrd. Euro Mindereinnahmen verursacht. Und haben Sie sich mal die Verteilungswirkung angesehen? Die höchsten 20% der Einkommen hätten 50% der Entlastungssumme bekommen: Das macht 3 Milliarden Euro Entlastung für gerade mal etwa 8 Mio. Menschen, oder 375.000 im Schnitt pro Person und Jahr! Nimmt man hingegen die untersten 40% der Einkommen, dann sind wir bei knapp 300 Mio. Euro Entlastung, verteilt auf ca. 15 Mio. Einkommensbezieher, oder im Schnitt 20 Euro pro Person mehr im Jahr! 375.000 vs. 20 Euro! Die untersten 20% der Einkommen würden übrigens gar nicht profitieren, weil sie sowieso keine Steuern zahlen. Sie sagen also, der Staat soll auf 6 Mrd. Euro verzichten, damit die Einkommensbezieher, um die wir uns wirklich Gedanken machen müssen, zwischen Null und 20 Euro mehr im Jahr bekommen. Diese 6 Mrd. sind als Solidarbeitrag der Besserverdienenden zugunsten von Bildung, Betreuung und sozialer Infrastruktur ganz sicher besser angelegt - denn davon profitieren alle!
Ein Abbau der Kalten Progression nach ihrem Modell bedeutet doch nur, die deutliche Zunahme der Ungleichheit bei den Einkommen aus den letzten 20 Jahren auch noch zu verstärken. Und was machen wir denn nach ihrer Logik mit den 20 Mio. RentnerInnen oder den 4,5 Mio. Hartz 4-Empfängerinnen und -Empfängern. Die haben in den vergangenen Jahren ja nicht mal annähernd einen realen Inflationsausgleich erhalten. Für die ist die Kalte Progression ein Luxusproblem der Gutverdienenden. Und schließlich muss man bedenken, dass auch die Steuereinnahmen durch Inflation jedes Jahr weniger Wert werden. Auch wir können mit jedem Euro im kommenden Jahr weniger ausrichten. Warum sollten wir gerade Besserverdienende von der anteiligen Refinanzierung dieses Wertverlustes ausnehmen? Nein, nein, mir fällt nun wirklich kein guter Grund ein, warum man die Kalte Progression nach ihrem Modell angehen sollte.
Wir Grüne sind aber nicht gegen alle Modelle. Wir haben mehrfach vorgeschlagen, den Steuerfreibetrag deutlich anzuheben - der Entlastungsbetrag wäre dann für alle steuerpflichtigen Einkommen gleich. Auf diese Weise würde man tatsächlich Kleine und Mittlere Einkommen entlasten. Das ist der richtige Weg, nicht die Subvention hoher Einkommen.
Sie sehen, wir Grüne zeigen uns also durchaus offen für eine steuerliche Entlastung auf diesem Weg, wobei wir auch über andere zurzeit diskutierte Modelle gerne sprechen können. Nur eine Bedingung haben wir: Dass keine riesige Entlastungswirkung für Spitzenverdiener eintritt. Und das, was die Entlastung für kleine und mittlere Einkommen kostet, wollen wir bei hohen Einkommen wieder reinholen. Über diese Linie gehen wir nicht hinweg. Mit diesem Angebot waren wir übrigens 2012/13 schon in den Verhandlungen im Bundesrat, aber Sie haben es abgelehnt. Denn dafür müssten Sie ja von Ihrer Nie-und-nimmer-Steuererhöhungs-Position abrücken. Das machen Sie aber nicht. Stattdessen nehmen Sie billigend in Kauf, dass die Schere beim Einkommen immer weiter auseinander geht. Das ist das wirklich Unsoziale an Ihrer Politik.
Vielen Dank!