Rede Georgia Langhans: Direkte Demokratie ins Grundgesetz

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Anrede,
mit unserer Initiative verfolgen wir zwei wichtige Ziele:
Es geht um die Weiterentwicklung unseres demokratischen Systems mit Elementen der direkten Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an politischen Entscheidungen von bundesweiter Bedeutung und um die Stärkung der Europäischen Integration.
Das sind zwei große Ziele, die nur in einem Zusammenwirken aller demokratischen Parteien realisiert werden können.
Deshalb müssen die politischen Parteien bereit sein, den Bürgerinnen und Bürgern mehr direkten Einfluss zu ermöglichen.
Beide Vorhaben - direkte Demokratie und europäische Integration - sind von großer politischer Bedeutung, für die wir eine fundierte und möglichst polemikfreie Debatte in Deutschland brauchen.
Anrede,
die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben bereits das Grundprinzip der direkten Demokratie im Grundgesetz verankert. In Art. 20 heißt es:
"Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung der vollziehenden Gewalt und der Rechtssprechung ausgeübt."
Anrede,
im Unterschied zu den Wahlen sind die Abstimmungen bis heute nicht geregelt. Allerdings bestand schon damals die Auffassung, dass der Begriff "Abstimmung" später durch den Gesetzgeber ausgefüllt werden müsse. Die Zeit ist reif, das jetzt zu tun.
Alle 16 Bundesländer - auch Niedersachsen - haben plebiszitäre Elemente in ihrer Verfassung verankert. Im Bundestag haben sich neben Grünen und der SPD auch CSU und FDP für mehr direkte Demokratie ausgesprochen. Nicht nur sie wollen das, mehr als 80 % der Bevölkerung wollen dies ebenso. Lediglich die CDU-Führung lehnt weiter jede Form von Bürgerbeteiligung, die über Wahlen hinausgeht kategorisch ab.
Mehr Demokratie heißt mehr Bürgerbeteiligung. Politik darf nicht über die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger hinweg gemacht werden, sondern vor allem mit ihnen. Ein modernes demokratisches Gemeinwesen braucht Bürgerengagement. Ohne aktive kritische engagierte Bürger lässt sich auf Dauer kein Staat machen. Volksbegehren und Volksentscheide stärken dieses Engagement und die Identifikation mit dem Gemeinwesen. Sie sind der entscheidende Schritt um eine aktive Bürgergesellschaft zu entwickeln. Auch hier im Niedersächsischen Landtag wird von allen Fraktionen, Sie eingeschlossen meine Damen und Herren der CDU, zunehmend mehr bürgerschaftliches Engagement eingefordert. Sie betonen bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Notwendigkeit eines Umdenkens in der Bevölkerung hin zu mehr Eigenverantwortung zu mehr Eigenbeteiligung. Das Vertrauen in die Fähigkeit der Mitverantwortung erschöpft sich bei Ihnen in einem Kreuzchen auf einem Wahlzettel. Die Äußerung des früheren CDU Generalsekretärs Peter Hintze, er halte Volksabstimmungen für einen Irrweg, der in die mückigen Sümpfe von Stimmungsentscheidungen führen, spricht für sich.
Anrede,
eines geht nicht und ich sage das in aller Deutlichkeit: es reicht nicht aus nur für den Fall der Volksabstimmung über die Europäische Verfassung unsere Verfassung zu ändern. Es wäre den Bürgerinnen und Bürgern nicht zu vermitteln, wenn das Grundgesetz lediglich für diese eine Abstimmung geändert würde, aber alle anderen Fälle einer direkten Beteiligung von Bürgern ausgeschlossen blieben.
Lange, sehr lange, hat Europa um seine Verfassung gerungen. Herausgekommen ist ein Kompromiss für einen ganzen Kontinent, bei dem alle Federn lassen mussten.
Ich verhehle nicht, nach unserer Auffassung wäre ein zeitgleiches EU-weites Referendum optimal gewesen. Dieses Ziel ist allein aus Zeitgründen nicht mehr zu erreichen. Bereits jetzt steht fest, dass mehr als 50 % der EU-Bürgerinnen und Bürger über die Verfassung abstimmen werden. Würde auch in Deutschland eine Volksabstimmung durchgeführt, würden insgesamt mehr als 70 % der EU-Bevölkerung direkt über die Verfassung entscheiden. Ich bin sicher, dass die Menschen in Deutschland kein Verständnis dafür haben, dass Franzosen, Spanier und Briten in einem Volksentscheid über die EU-Verfassung abstimmen werden, in Deutschland diese Möglichkeit jedoch nicht eingeräumt wird.
Im zurückliegenden Europawahlkampf hat sich gezeigt, dass viele der Verlockung erlegen sind, nationale Themen in den Vordergrund zu stellen. Wer als politischer Bewerber den Anlass der Wahl ignoriert, darf sich allerdings auch nicht wundern, wenn eine wachsende Zahl von Wählern sich ebenfalls ignorant verhält.
Wir haben als Grüne im Europawahlkampf die europäischen Themen in den Vordergrund gestellt. Dieses Verhalten wurde von unseren Wählern auch honoriert.
Anrede,
ein Referendum über die Europäische Verfassung bietet die Chance mit der Bevölkerung in einen intensiven sachbezogenen Dialog über die Vorteile der europäischen Integrationspolitik und über die weiteren Perspektiven der EU zu treten. Das wird eine anspruchsvolle Aufgabe für die politischen Parteien werden.
Bei aller Kritik an bürokratischen Auswüchsen in Brüssel, bei allen Vorbehalten gegenüber einer sehr forschen Liberalisierungspolitik, werden wir am Ende jedoch die Bürgerinnen und Bürger für eine Zustimmung zur Verfassung gewinnen müssen.
Anrede,
Niedersachsen ist gefordert, sich im Bundesrat zur Gesetzesinitiative der rot-grünen Bundesregierung zu verhalten. Diese Entscheidung wollen wir nicht allein der Landesregierung überlassen, sondern dieses Parlament muss darüber mitentscheiden. Ich bin auch gespannt auf die Position des Ministerpräsidenten, der in dieser Frage ja ungewohnt zurückhaltend agiert.
Meine Damen und Herren von der FDP, Sie werden sich nicht länger um eine Entscheidung herumdrücken können. Sie müssen jetzt Farbe bekennen. Sie müssen nun zeigen, ob Ihre Forderungen nach einem EU-Referendum nur populistisches Wahlkampfgeplänkel war oder ob Sie diese Forderungen auch konsequent umsetzen wollen.

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