Rede Gabriele Heinen-Kljajic: Steigende Schulabsolventenzahlen und doppelter Abiturjahrgang – Fortentwicklung des Hochschulpaktes

Anrede,

bundesweit lautet die zentrale Frage in der Hochschulpolitik: Wie schaffen wir es, angesichts einer rapide ansteigenden Zahl an Hochschulzugangsberechtigten unsere Hochschulen so aufzustellen, dass dieser Anstieg zur Chance wird statt, im Bildungskollaps zu enden. Während andere Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein Westfalen in dieser Situation ein Zeitfenster erkennen um ihre strategische Aufstellung im Wettbewerb der Wissenschaftsstandorte neu zu justieren, entdeckt Minister Stratmann die Langsamkeit.

In der Zielformulierung riskieren Sie die dicke Lippe: Sie schicken Ihrer Antwort voraus: "Generelles Ziel ist es, in den kommenden Jahren jeder und jedem Studierwilligen einen Studienplatz ihrer bzw. seiner Wahl anzubieten. Das gilt auch für den doppelten Abiturjahrgang". Erstens schaffen Sie das ausweislich der Studierendenexportquote schon heute nicht und zweitens bleiben Sie die Antwort schuldig, wie Sie das erreichen wollen.

Sie gestehen ein, die Zahl der Studienanfänger wird stärker ansteigen als bisher erwartet. Sie bestätigen einen Mehrbedarf an Seminarräumen, an Laborkapazitäten, an Lehrkapazitäten und ähnlichem. Die Bewältigung dieser Aufgaben braucht eine mehrjährige Vorlaufzeit. Aber statt diese Herausforderungen zeitnah anzugehen, verweisen Sie auf das Ausstehen aktualisierter Prognosen der Kultusministerkonferenz. In der Logik dieser Aussage werden Sie niemals eine Planung vorlegen müssen, denn es ist das Wesensmerkmal aller Prognosen, dass man immer deren Aktualisierung einfordern kann. Am Thema vorbei,  Herr Minister Stratmann, eigentlich müsste man die ganze Anfrage noch mal einreichen.

Niemand wird ernsthaft verlangen, dass Sie schon heute eine spitz kalkulierte Planung vorlegen, die auf den Studienplatz genau festlegt, wie sich welcher Studiengang in Niedersachsen entwickeln wird. Und natürlich ist es zutreffend, dass die Ungenauigkeit statistischer Prognosen, je weiter sie in die Zukunft reichen, zunimmt. Aber daraus die Konsequenz zu ziehen, es dabei zu belassen, schon mal etwas Geld für die kommenden Haushalte einzuplanen und ansonsten mal abzuwarten, was da kommt, ist eine hochschulpolitische Bankrotterklärung.  Sie verhalten sich wie der Katastrophenschützer, der angesichts einer bevorstehenden Flut verkündet, die Deiche werden halten, wie wir das bewerkstelligen wollen, können wir aber erst beraten, wenn wir  exakt den höchsten Pegelstand kennen. Beim Deichbau würde Ihnen mit dieser Strategie längst das Wasser bis zum Hals stehen. Im Kabinett Wulff scheint man sich mit so einer Ansage über Wasser halten zu können.

Was Sie als zeitnahe Schaffung von Studienplätzen im Gegenstromverfahren verklausulieren, bedeutet für die Hochschulen, dass sie in den nächsten Jahren weiterhin zusätzliche Studierende werden aufnehmen müssen, ohne dafür eine bedarfsgerechte Gegenfinanzierung zu erhalten.

Schon bei der ersten Runde des Hochschulpakts hat die Landeshochschulkonferenz protestiert, weil faktisch über tausend Studienplätze alleine dadurch geschaffen werden mussten, dass bei gleich bleibender Lehrkapazität einfach mehr Leute in die Studiengänge aufgenommen wurden – also ohne Kostenerstattung und damit zu Lasten der Qualität.Für die zweite Runde sind die Proteste schon vorprogrammiert, denn die bisher anvisierten Mittel werden bei weitem nicht ausreichen. Als Folge dieser Unterfinanzierung werden sich die Studienbedingungen weiter verschlechtern und die Attraktivität des Hochschulstandortes Niedersachsen wird weiter abnehmen.

Anhand aktualisierter Schätzungen geht das Centrum für Hochschulentwicklung schon heute bundesweit von einer Verdopplung der zusätzlichen Nachfrage nach Studienplätzen für die Jahre 2007 bis 2020 im Vergleich zu den Berechnungen aus dem Jahre 2006 aus, auf die sich Ihre Planungen immer noch beziehen.

Ohne dass man also von Hochschulpolitik viel Ahnung haben muss, ahnt selbst der Laie, dass wir hier in den nächsten Jahren vor einer gewaltigen Herausforderung stehen.

Doch Minister Stratmann bleibt, wie die folgenden Beispiele belegen, gelassen.

Trotz der vorliegenden Prognosen gibt es von Seiten des Wissenschaftsministeriums bisher keine Bedarfsermittlung. Einzige Ausnahme: eine Bedarfsabfrage des Ministeriums zur mittelfristigen Bauplanung. Nur verschweigen Sie geflissentlich, dass die Hochschulen  alleine für die nächsten 10 Jahre 3 Mrd. € angemeldet haben.

Um Verdrängungseffekte auf den Ausbildungsmarkt im dualen System zu verhindern, wollen Sie ab 2011 zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze mittels finanzieller Anreize schaffen. Wenn das so einfach wäre, gäbe es in Niedersachsen nicht schon heute eine Differenz zwischen Bewerbern und Ausbildungsplätzen von über 23.000. Die Situation wird sich trotz sinkender Zahlen von Schulabgängern aus der Sekundarstufe I ab 2011 dramatisch verschärfen, ohne dass Sie eine Lösung anbieten könnten.

Auf die Frage nach Maßnahmen zur Steigerung der Nachfrage bei den Ingenieur-Studiengängen verweisen sie lediglich auf die Ideen-Expo. Als wenn junge Menschen, die mal einen Tag durch eine Wissenschafts-Show geschleust wurden, hinterher Physik oder Chemie studieren wollen.

Auf die Frage, mit welcher Position Sie in die nächste Runde des Hochschulpaktes gehen wollen, antworten Sie lapidar, "die Fortführung der Finanzierung des Hochschulpakts muss unter Einbeziehung von Qualitätsgesichtspunkten gesichert werden". Wenn Ihnen zu der Frage nicht mehr einfällt, kann man sich ausmalen, wie das Ergebnis für Niedersachsen aussieht.

Zu allem Überfluss halten Sie gegen jede empirische Erfahrung an der Mär fest, die Umstellung auf Bachelor und Master schaffe freie Kapazitäten an den Hochschulen und verringere "mittelfristig" die Abbrecherquote und die Studiendauer. Fakt ist: aufgrund mangelnder Ausstattung mit Lehrpersonal steigt die Abbrecherquote signifikant. 

Und wenn man sich die Tabellen anschaut, in denen Sie die Umsetzung der ersten Runde des Hochschulpaktes dokumentieren, dann ist zu befürchten, dass ein völlig unterfinanzierter Hochschulpakt dieses Problem weiter zuspitzen wird. Denn hier wird erkennbar, dass die Hochschulen zum Teil eine bis zu 100-prozentige Überbelegung einzelner Studiengänge in Kauf nehmen, obwohl Sie häufig weniger als 10 Prozent davon über die Clusterpreise für zusätzlich geschaffene Studienplätze finanziert bekommen. Die Drohung, bei nicht Erreichen der vorgeschriebenen Gesamt-Zielzahlen zuviel gezahlte Bundeszuschüsse zurückzahlen zu müssen, droht hier zur absoluten Fehlsteuerung zu führen. Betroffen sind besonders Ingenieur- und Wirtschaftsstudiengänge,  also die Studiengänge, die schon heute zum Teil Abbrecherquoten von über 40 Prozent aufweisen. So traurig das ist: aus Sicht der Hochschulen geht die Rechnung auf. Sie können die nötigen Studierenden im ersten Hochschulsemester aufweisen und nur das interessiert den Hochschulpakt. Fazit: Der Hochschulpakt produziert  zwar mehr Studienanfänger, aber nicht unbedingt mehr Absolventen.

Herr Minister Stratmann, wer sich angesichts dieser Situation darauf beschränkt, die knappen Mittel aus dem Hochschulpakt zu verteilen und ansonsten an die Hochschulen die Parole auszugeben, seht zu, wie ihr die Zielzahlen erreicht, der liefert den Beweis dafür, dass das Süd-Nord-Gefälle in der Deutschen Hochschullandschaft nicht gottgegeben ist . Baden-Württemberg hat schon lange einen Masterplan aufgelegt, der über den Hochschulpakt hinaus mit einem landeseigenen Ausbauprogramm neue Studienplätze schafft. Bayern ist bereits in der Umsetzungsphase von Maßnahmen zur Bewältigung des doppelten Abiturjahrgangs. Hier läuft die vorzeitige Besetzung von Lehrstühlen bereits auf vollen Touren. Niedersachsen hat laut der Antwort auf unsere Anfrage nicht mal damit angefangen. Nordrhein-Westfalen plant die Errichtung von vier neuen Fachhochschulen. Mit Ihrer Standardfloskel vom "zeitnahen Reagieren im Gegenstromverfahren" kommen Sie gegen diese Mitbewerber nicht an.

Das Gegenstromprinzip, Herr Minister Stratmann,  bedeutet: Kaltes trifft auf Heißes und ohne das irgendjemand was dafür tun muss, kommt Lauwarmes dabei raus. Als Metapher zur Beschreibung niedersächsischer Hochschulpolitik unter schwarz-gelb eine passende Beschreibung. Als Steuerungsverfahren für eine Hochschullandschaft, die sich angesichts der Bologna-Strukturreform, Exzellenzwettbewerben und steigender Nachfrage nach Studienplätzen in einem grundlegenden Umwälzungsprozess befindet, nur leider völlig ungeeignet.

Machen Sie also endlich Ihre Hausaufgaben Herr Minister Stratmann, legen Sie eine strategische Hochschulplanung auf, die beschreibt, wo Stärken ausgebaut, wo Schwächen entschärft und Nischen besetzt werden können, statt sich mit Verweis auf fehlende Prognosen der KMK und der Zuständigkeit des Bundes aus der Verantwortung zu stehlen.

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