Rede Gabriele Heinen-Kljajic: Haushalt 2011 – Wissenschaft und Kultur

- es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

in Niedersachsen nichts Neues: So lassen sich seit Jahren die Haushaltsberatungen zum Etat des Wissenschaftsministeriums überschreiben. Nun ist das in Zeiten wie diesen nicht Nichts, aber es ist eben auch nicht mehr als die Fortschreibung struktureller Defizite der Vorjahre. Abgesehen von einem Wechsel an der Hausspitze hat es keine Kurskorrekturen gegeben. Bei der Studienanfängerquote landet das Land mit unter 30 Prozent weit abgeschlagen auf dem 12. Platz und bei den Wanderungsbewegungen der Studierenden zwischen den Bundesländern ist Niedersachsen mit einem Saldo von über 30.000 seit vielen Jahren absolutes Schlusslicht. Vor diesem Hintergrund sind überdurchschnittliche 6Prozent Anstieg bei der Zahl der Studienanfänger und eine Übererfüllung des Hochschulpakts zwar eine erfreuliche Entwicklung, aber sie sind natürlich auch Ausdruck der miserablen Ausgangssituation und des hohen Nachholbedarfs nach einem radikalen Studienplatzabbau unter schwarz-gelb ab 2003. Wenn Studienanfängerzahlen die Währung sind, um die Attraktivität von Studienstandorten zu bewerten, Kollegin von Below-Neufeldt, dann befindet sich Niedersachsen im Bundesvergleich immer noch in einer Währungskrise.

Doppelte Abiturjahrgänge in Bayern und Niedersachsen bei gleichzeitiger Aussetzung des Wehr- und Zivildienstes: Es wird eng an unseren Hochschulen werden. Viele Engpässe wird man durch kreative Lösungen wie das Anmieten von Kinosälen oder Lehrveranstaltungen am Abend auffangen können. Praktikums- oder Laborplätze lassen sich dagegen nicht so einfach improvisieren. Gerade in den MINT-Fächern, die nach langer Flaute endlich wieder stärker nachgefragt werden, werden wir jetzt möglichst alle BewerberInnen aufnehmen, wohl wissend, dass sie in manchen Studiengängen nur suboptimale Studienbedingungen vorfinden werden.

Anrede,

schon ohne Doppelten Abiturjahrgang und Wegfall der Wehrpflicht haben Studierende zu Tausenden gegen schlechte Studienbedingungen demonstriert. Ohne zusätzliche Investitionen in bessere Studienbedingungen und bessere Lehre – die wir in unserem Haushaltsantrag mit zusätzlichen 50 Mio. € abbilden wird Studieren in Niedersachsen in den kommenden Jahren noch schwieriger werden. Frau Ministerin Wanka, es reicht nicht, im Rahmen der Arbeitsgruppe "Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses in Niedersachsen" eine Verbesserung der Studienbedingungen zu versprechen, aber die Hochschulen mit den finanziellen Lasten alleine zu lassen. Ob es mehr Wahlmodule, mehr Teilzeitstudiengänge oder flexiblere Regelstudienzeiten betrifft: Die Umsetzung dieser Maßnahmen kostet Geld. Hier bedeutet ein "Weiter wie bisher", dass die Unterfinanzierung der Hochschulen weiterhin auf dem Rücken der Studierenden ausgetragen wird.

Dass Studiengebühren die Studienbedingungen verbessern würden, haben die Studierendenproteste jedenfalls Lügen gestraft. Im Gegenteil: Wer keine finanzstarken Eltern hat und selbst für die Gebühren aufkommen muss, der hat eine Hürde mehr zu bewältigen. Das soziale Ungleichgewicht bei den Startbedingungen ins Akademikerleben ist größer geworden. Das ist einfache Mathematik, Frau Ministerin Wanka. Während Ihrer Amtszeit in Brandenburg wussten Sie es besser. Sie sind nicht glaubwürdig, wenn Sie uns in Niedersachsen jetzt etwas Anderes weismachen wollen.

Auch der Hochschulpakt, den Sie, werte Kollegen von CDU und FDP, hier als wegweisende Leistung der Landesregierung abfeiern, ist keine hochschulpolitische Heldentat, sondern er ist ein Notprogramm, dessen Ursachen Sie sich mit schwarz-gelben Mehrheiten selbst eingebrockt haben. Die Alternative wäre gewesen, einen ganzen Abiturjahrgang nach Hause zu schicken mit der Ansage: Studieren fällt dieses Jahr aus. Und abgeräumt ist die Baustelle noch lange nicht. Wie der Wegfall von Wehr- und Zivildienst aufgefangen werden soll, ist nicht geklärt, geschweige denn im Landeshaushalt abgebildet. Auch die Übernahme  zusätzlicher Plätze des Hochschulpakts aus Schleswig-Holstein würde für unsere Studierenden nur Sinn machen, wenn es eine auskömmliche Gegenfinanzierung aus dem Landeshaushalt gäbe.

Ein Problem das ebenfalls ungelöst bleibt, ist die Einschränkung der Studienfach-Wahlmöglichkeiten in den nächsten Semestern. Wer z.B. die harten NC-Fächern Medizin, Zahnmedizin, Veterinärmedizin oder Pharmazie studieren will, die ohnehin schon überbucht sind, der wird im nächsten Jahr deutlich häufiger leer ausgehen, als das bisher schon der Fall war. Einem weiteren Bundesförderprogramm für zusätzliche Medizinstudienplätze von vorneherein eine Absage zu erteilen, ohne Alternativlösungen über Praxisplätze in Lehrkrankenhäusern ernsthaft zu prüfen, ist falsch. Hier, werte Kollegen von CDU und FDP, stehlen Sie sich aus der Verantwortung für die Folgen Ihrer eigenen politischen Entscheidungen.

Auch das Projekt "Offene Hochschule" ist eher eine Baustelle denn bereits gelebte Praxis an unseren Hochschulen. An einzelnen Standorten wie Oldenburg oder Lüneburg wird zwar am Konzept gearbeitet. Aber dringend notwendige flankierende Maßnahmen an allen Hochschulen sucht man vergebens. Ohne landesweite Bewerbung des Programms, vor allem aber ohne begleitende Maßnahmen vor Antritt des Studiums und während der ersten Semester, wird der Anteil derer, die ohne klassische Hochschulreife ein Studium beginnen, marginal bleiben. Hier böte sich die Erwachsenenbildung als Partner an. Im Erwachsenenbildungsgesetz existiert die Kooperation mit Hochschulen zwar bereits als Aufgabenbeschreibung, aber in der Praxis taucht sie nur äußerst selten auf. Erwachsenenbildung ermöglicht Bildungswege jenseits von Schulen und Hochschulen. Sie ist ein zentraler Baustein in einem chancengerechten Bildungssystem. Die Mittel für den nachträglichen Erwerb eines Schulabschlusses zu kürzen, wie im Haushaltsentwurf noch vorgesehen, wäre töricht gewesen. Aber auch die verbleibenden Kürzungen bei den Erwachsenenbildungseinrichtungen stehen in keinem Verhältnis zur wachsenden Bedeutung, die dieser Bereich im Konzept Lebenslangen Lernens hat. Wir haben die Kürzungen in diesem Kapitel deshalb komplett zurückgenommen und wie schon im Vorjahr den Ansatz für die Bildungsberatung um 600.000 Euro aufgestockt. Denn nur wer seine Potentiale und Chancen kennt, wer weiß, welche Bildungsangebote es in seiner Region gibt, kann kompetente Entscheidungen über den eigenen Bildungsweg treffen.

Noch einige Worte zur Kultur:

Auch hier steht für uns die breite Teilhabe aller sozialen Milieus und Altersgruppen im Zentrum staatlicher Kulturförderung. Es ist bezeichnend, dass Sie, werte Kollegen von CDU und FDP, einzig den Bereich Soziokultur seit Jahren auf dem Niveau der Kürzungen von 2004 halten, während alle anderen Bereiche Aufstockungen erfahren haben. Die Soziokultur macht ausdrücklich Angebote jenseits der sogenannter "Hochkultur" und ist damit ein wichtiges Fundament kultureller Bildung. Wir haben in unserem Haushaltsantrag deshalb eine Aufstockung von insgesamt 1,1 Mio. € vorgenommen. Vielleicht schleifen Sie die Soziokultur ja seit Jahren, weil Ihnen der emanzipatorische Anspruch und die aktive Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Fragestellungen nicht passen. Die jüngste Theaterdebatte lässt jedenfalls ein Kulturverständnis in den Reihen der CDU erkennen, das nicht zu einem aufgeklärten Kunstverständnis moderner Zivilgesellschaften passt.

Anrede,

Wir haben zum Glück an unseren Staatstheatern Intendanten die junges und modernes Theater machen, das gelegentlich auch mal provoziert, das sich aber vor allem der Idee verschrieben hat, junges Publikum anzusprechen. Und das ist gut so! Sonst gibt es nämlich bald kein Theater mehr, weil niemand mehr hingeht. Theater, das einem tendenziell überalterten Publikum aus dem klassischen Bildungsbürgertum einen kurzweiligen Abend beschert, ist bisweilen nicht nur langweilig, es reicht vor allem auch nicht als Legitimation für staatliche Subventionierung. Lieber Herr Töpfer, lieber Herr Nacke, wenn Sie sich Sorgen um die Interessen der Steuerzahler machen, dann lassen Sie die Besucher über die Qualität der Theaterprojekte entscheiden, statt CDU genehmes Programm einzufordern. Staatliche Kulturförderung bedeutet nicht, dass politische Mehrheiten mit öffentlichem Geld das Angebot einkaufen können, das ihnen gefällt.

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