Rede Gabriele Heinen-Kljajic: Fortsetzung abschließende Beratung Haushalt 2012/2013 – Wissenschaft und Kultur
Landtagssitzung am 08.12.2011
Gabriele Heinen-Kljajic, MdL
Anrede,
von allen bisher von der schwarz-gelben Landesregierung vorgelegten Hauhaltsentwürfen für den Bereich Wissenschaft und Kultur ist der vorliegende ohne Zweifel der, der die wenigsten Angriffspunkte bietet. Viele Baustellen der vergangenen Jahre hat die neue Ministerin abgeräumt. Wahr ist aber auch, dass das Gros der Ausgabensteigerung Bund-Länder-Programmen zu verdanken ist. Jenseits dessen schreibt der Haushalt an vielen Stellen strukturelle Fehlsteuerungen der Vergangenheit fort. Auf einige zentrale Punkte will ich eingehen:
Die größte Herausforderung besteht aktuell darin, allen Studierwilligen des doppelten Abiturjahrgangs einen Studienplatz anzubieten. Mit Mitteln des Hochschulpakts wurden deshalb auch in diesem Jahr in großem Umfang neue Studienanfängerplätze geschaffen. In Ihren Presseverlautbarungen, Frau Ministerin Wanka, feiern Sie die Belegung dieser neuen 6.000 Plätze als Punktlandung. Aber was sagt das aus? Punktlandung heißt in diesem Fall nur, dass in Summe die Zielmarge der neu zu schaffenden Studienplätze erreicht wurde. Ob die neuen Kapazitäten aber auch tatsächlich nachfragegerecht sind, ist damit nicht beantwortet.
Fakt ist, ein großer Teil des doppelten Abiturjahrgangs musste von anderen Bundesländern aufgefangen werden. In Niedersachsen sind die Studienanfängerzahlen um 19 Â Prozent gestiegen.
In Nordrhein-Westfalen, das keinen doppelten Abiturjahrgang hatte, ist er um 22,3 Â Prozent gestiegen. In Bayern, das dieses Jahr wie wir einen doppelten Abiturjahrgang hat, um 32,4 Â Prozent. Diese Zahlen machen deutlich, auch wenn die Umsetzung und die Ausfinanzierung des Hochschulpakts in Niedersachsen nicht zu beanstanden sind, Niedersachsens Hochschullandschaft krankt nach wie vor an einer strukturellen Unterversorgung mit Studienplätzen!
Liebe Kollegen von CDU und FDP,
dank Ihrer Kürzungen der Hochschuletats um jährlich 50 Mio. Euro wurden bis zum Eintritt in den Hochschulpakt fast 13 Â Prozent der Studienplatzkapazitäten abgebaut. Die Zahl der Studienanfänger sank in den ersten drei Jahren ihrer Regierung sogar um knapp 21 Â Prozent. Dass wir die Ziele des Hochschulpakts erreichen, liegt im Wesentlichen daran, dass wir von einem absolut niedrigen Niveau gestartet sind.
Niedersachsens Spitzenplatz als Studierenden-Exportmeister zeigt, wie es tatsächlich um Angebot und Nachfrage von Studienplätzen bestellt ist. Und eine Entspannung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Unaufhaltsam zunehmende Zulassungsbeschränkungen machen deutlich, dass diese Landesregierung den Zugang zu einer akademischen Ausbildung nicht öffnet, sondern die Mauern um unsere Hochschulen mangels vorhandener Kapazitäten faktisch immer höher zieht. Waren vor zwei Jahren 55 Prozent aller Studienplätze an den Universitäten mit einem lokalen Numerus Clausus (NC) belegt, sind es im laufenden Wintersemester bereits 62,4 Prozent. Waren im Jahr 2009 noch 88 Prozent aller Fachhochschulstudienplätze mit einem NC belegt, sind es jetzt schon 90,3 Prozent. Das heißt, knapp dreiviertel aller Studienplatzangebote macht man in Niedersachsen ausschließlich für Schulabgänger mit Abiturbestnoten.
Von der "offenen Hochschule" sind wir meilenweit entfernt! Nicht nur junge Menschen ohne klassischen Hochschulzugang, auch viele Abiturienten scheitern an den Zugangshürden. Deshalb brauchen wir auch jenseits des aktuell aufgestockten Platzangebots für den doppelten Abiturjahrgang einen Ausbau der Studienplatzkapazitäten. Das wird ohne die Unterstützung des Bundes finanziell nicht zu stemmen sein. Das Betreiben des Kooperationsverbots im Rahmen der Föderalismusreform war ein weiterer kardinaler Fehler schwarz-gelber Bildungspolitik.
Anrede,
einen bedauerlichen Sonderstatus hat Niedersachsen inzwischen auch in Sachen Studiengebühren. Neben Bayern sind wir das einzige Bundesland, das die Gebühr noch erhebt.
Sie konterkarieren das Bemühen, junge Menschen unabhängig vom sozialen Status ihrer Eltern an die Hochschulen zu bringen. Es ist doch paradox, dass der Staat einerseits eingesteht, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen familiären Einkommensverhältnissen und Studierneigung gibt - deshalb zahlt er über das BAföG Geld aus -, und dass derselbe Staat diesen jungen Menschen aber an anderer Stelle in Form von Studiengebühren wieder Geld abnimmt. Weder das kaum in Anspruch genommene Studienbeitragsdarlehen, noch die Zinsbefreiung im Rahmen der bescheidenen Geschwisterregelung, können echte Chancengleichheit herstellen. Auch das vorhandene Stipendienangebot hilft nicht weiter, denn es erreicht wegen der bisher praktizierten Vergabekriterien im Gros meist die, die als besonders Leistungsstarke ohnehin zu den Gewinnern des Bildungssystems zählen.
Aber die Gebühren wirken nicht nur sozial selektiv; sie werden spätestens nach dem Abflauen der Nachfragespitze der doppelten Abiturjahrgänge zum echten Wettbewerbsnachteil für unsere Hochschulen werden. Bei Beibehaltung der Gebühren wäre nicht nur unsere Hochschulinfrastruktur gefährdet, sondern wir würden die dringend benötigten Fachkräfte an andere Bundesländer verlieren. Und deshalb ist die Eins-Zu-Eins-Kompensation des Wegfalls der Studiengebühren ein zentraler Baustein unseres Haushaltsantrages. Â
Im Kulturbereich ist die Ausgangslage ähnlich. Wir begrüßen die Trendwende, wenn es etwa um die Verlässlichkeit von Finanzierungsmodalitäten geht oder um die Ankündigung eines Kulturentwicklungskonzepts. Aber trotzdem gilt auch im Kulturbereich: Der Nachholbedarf ist groß. Bei den Kulturausgaben pro Kopf wie bei der Teilhabequote liegt Niedersachsen im Bundesvergleich auf den hinteren Plätzen. Das ist in Teilen mit der stark ländlich geprägten Struktur Niedersachsens zu erklären. Umso dringender brauchen unsere Kultureinrichtungen das Land als verlässlichen Partner.
Frau Ministerin Wanka,
an dieser Stelle sei Ihnen neidlos zugestanden, dass Sie in wenigen Monaten an Baustellen abgeräumt haben, was Ihrem Vorgänger über Jahre nicht gelungen ist.
Selbst den Bannspruch über die Soziokultur haben Sie aufgehoben, womit unter schwarz-gelb niemand mehr gerechnet hat. Schade, dass Sie die Kollegen der Regierungsfraktionen mit Ihrem kulturpolitischen Engagement nicht haben anstecken können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU,
das von Ihnen ausgerufene Jahr der Kultur ist verpufft, weil Sie es mit einem ideenlosen Pflichtprogramm haben verstreichen lassen. In Erinnerung geblieben ist nur Ihre Goslarer Erklärung, die im platten Huldigen des Status Quo stecken geblieben ist.
Gespannt sind wir auf das von Ministerin Wanka auf den Weg gebrachte Kulturentwicklungskonzept (KEK). Die Bestandsaufnahme der Ist-Situation liegt vor. Die Qualität des nun zu erarbeitenden KEK wird daran zu messen sein, inwieweit es gelingt, die angekündigte Transparenz und Teilhabe der Kulturschaffenden tatsächlich herzustellen. Die Verwertbarkeit der Ergebnisse des KEK wird davon abhängen, ob es gelingt, einen Abgleich mit kommunalen Interessen hinzubekommen.
So oder so, aufgrund des demographischen Wandels werden wir in Zukunft bisweilen kulturpolitische Entscheidungen zu treffen haben, die auch mal weh tun werden. Umso wichtiger ist es, einen breiten Beteiligungsprozess vorzuschalten.
Die grüne Marschroute für die Kulturpolitik der Zukunft heißt Teilhabe; entsprechend haben wir auch in diesem Haushalt wieder zusätzliche Mittel eingestellt. Wobei Teilhabegerechtigkeit nicht nur eine Frage des Geldes ist, sondern auch des Selbstverständnisses der Kultureinrichtungen bei der Mittelverwendung. Es kann uns nicht zufrieden stellen, dass das Gros der staatlichen Kulturförderung in vielen Bereichen nur eine kleine Minderheit von Bildungsbürgern erreicht. Nur wenn es gelingt, alle Menschen mit unseren Kulturangeboten zu erreichen, werden Kulturausgaben langfristig legitimierbar sein.
Auch hier ist in Niedersachsen noch viel zu tun.