Rede Gabriele Heinen-Kljajic: Atommüll im „radioaktiven Dreieck“ zwischen Eckert & Ziegler in Braunschweig, dem Zwischenlager Leese und der niedersächsischen Landessammelstelle in Jülich (NRW)

Anrede,

die Antwort auf die Große Anfrage macht deutlich, dass diese Landesregierung in Sachen Atom nichts dazu gelernt hat. Zumindest für den Standort Thune der Firma Eckert & Ziegler gilt: "Transparenz" über die Umweltauswirkungen beim Umgang mit radioaktiven Stoffen scheint immer noch ein Fremdwort zu sein. Unbeirrbar werden die wirtschaftlichen Interessen der Betreiber von Atomanlagen über die Interessen der Bevölkerung gestellt. Ich möchte auf vier zentrale Kritikpunkte näher eingehen.

Erstens:

Die weitreichenden strahlenschutzrechtlichen Umgangsgenehmigungen für die Firma Eckert & Ziegler am Standort Thune sind in einem Wohngebiet nicht tolerabel. Die Antwort der Landesregierung belegt, dass die Firma schon heute in großem Umfang in der Entsorgungssparte tätig ist. In den letzten zehn Jahren sind 110.000 Atommüll-Gebinde über das Betriebsgelände in Thune umgeschlagen worden. Sogar zum Umgang mit großen Mengen Plutonium hat die Firma eine bis 2013 gültige Genehmigung, von der sie im Zuge der Verpackung russischer Strahlenquellen aus der ehemaligen DDR mehrfach Gebrauch gemacht hat. Andere Bundesländer wie Bayern oder Berlin dürfen in Thune ihren Müll konditionieren lassen. Und trotz dieser umfangreichen Geschäftstätigkeit sind die üppigen Genehmigungen nicht mal zu zehn Prozent ausgeschöpft. Und genau hier liegt das zentrale Problem.

Denn eben diese großzügigen Umgangsgenehmigungen machen die von Eckert & Ziegler geplante Expansion der Entsorgungssparte erst möglich. Schlimmer noch: Sie laden förmlich dazu ein. Auf die Frage, "wie können Sie an der Energiewende verdienen", verweist Herr Eckert im Juni letzten Jahres in einem Interview mit dem Tagesspiegel auf den zu erwartenden Atommüll beim Rückbau aller deutscher Atomkraftwerke, den der Bund mit 5,4 Milliarden Euro veranschlagt. Und dann führt Herr Eckert aus: "Wenn nur ein Fünftel dieses Volumens bei uns landete, entspräche das einer Verdoppelung der gesamten Konzernumsätze." Dagegen nimmt sich das Bewerben um den Asse-Müll geradezu bescheiden aus. Hier plant jemand den Einstieg ins Entsorgungsgeschäft im ganz großen Stil.

Damit ich nicht falsch verstanden werden: Der Firma Eckert & Ziegler seien diese Aufträge gegönnt. Der Müll muss irgendwo konditioniert werden und wir haben nicht viele Firmen, die das können. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass das mitten in einem Wohngebiet passiert. Das Gefahrenpotential bei An- und Ablieferung, bei Verarbeitung und Lagerung wäre einfach viel zu hoch. Deshalb fordern wir Sie auf, Herr Minister Birkner, nehmen Sie alle Umgangsgenehmigungen auf den Prüfstand und stellen Sie sicher, dass der Betrieb der Firma mit der Lage am Rande eines Wohngebiets vereinbar ist.

Zweitens:

Die Grenzwerte der Direktstrahlung am Zaun verstoßen angesichts der gravierenden Abweichung von üblicher Praxis an vergleichbaren Anlagen gegen das im Strahlenschutz festgeschriebene Minimierungsgebot. Die Strahlenschutzverordnung schreibt vor, dass der Dosisgrenzwert zum Schutz der Bevölkerung außerhalb des Betriebsgeländes 1 Millisievert pro Jahr beträgt. Ein Jahr heißt: 365 Tage x 24 Stunden = 8760 Std. Diese Grundannahme wird auf alle uns bekannten Atomanlagen wie Kernkraftwerke oder Zwischenlager angewendet. In Gorleben ist das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als Genehmigungsbehörde sogar auf 0,3 mSv/a an 365 Tagen runtergegangen. Nur in Thune, ausgerechnet in einem Wohngebiet, nur wenige hundert Meter von einer Grundschule und einem Gymnasium entfernt, hat das Gewerbeaufsichtsamt Braunschweig der Genehmigung für die Strahlendosis von 1 Millisievert eine angenommene Aufenthaltsdauer von 2.000 Stunden zugrunde gelegt. Nimmt man die nach Strahlenschutzverordnung üblichen 8760 Stunden zum Maßstab, ist in Thune faktisch ein Grenzwert von 4,38 mSv/a zulässig.

Anrede,

das ist nicht nur ein umweltpolitischer Skandal, bei dem die Gesundheit der Anwohner leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird. Aus unserer Sicht ist das ein klarer Verstoß gegen das Minimierungsgebot der Strahlenschutzverordnung. Diese Ortsdosis am Zaun hätte das Gewerbeaufsichtsamt niemals genehmigen dürfen. Es ist völlig abstrus, die 2000 Stunden-Regelung damit zu begründen, der Zaun sei überwacht, man könne also feststellen, wenn sich Personen länger am Zaun aufhalten. Dieser Grenzwert ist eine hypothetische Annahme auf deren Basis der Schutz der Bevölkerung in der Umgebung einer Anlage sichergestellt werden soll. Es ist doch völliger Quatsch so zu tun, als gehe es hier um Menschen, die tatsächlich - ob nun 2000 oder 8760 Stunden - permanent direkt am Zaun stehen.

Herr Minister Birkner, nehmen Sie diese Abweichung von der üblichen Berechnungspraxis der Direktstrahlung am Zaun zurück. Was für Kernkraftwerke oder Zwischenlager auf der freien Wiese gilt, muss erst recht für eine Anlage in einem Wohngebiet gelten.

Drittens:

Die Vorsorge gegen Störfälle ist unzureichend und weicht von der üblichen Praxis bei vergleichbaren Anlagen ab. Thune liegt im unmittelbaren An- und Abflugbereich des Flughafens Braunschweig, und trotzdem wurde bei der Störfallbetrachtung – die eine wichtige Genehmigungsvoraussetzung ist – ein Flugzeugabsturz nicht berücksichtigt.

Mit dem Verweis in Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage, Herr Minister Birkner,

ein Flugzeugabsturz sei dem Restrisiko zuzuordnen, liegen Sie falsch. Schauen Sie sich einschlägige Rechtsprechungen an, konkret das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Unterweser und Sie werden feststellen, dass diese Frage der Schadensvorsorge zuzuordnen ist und keinesfalls als Restrisiko zu betrachten ist. Deshalb ist eine neue Störfallbetrachtung überfällig. Sorgen Sie dafür, dass die Genehmigungsvoraussetzungen an dieser Stelle korrigiert werden, bevor die Entsorgungskommission das im Zuge des Stresstests für Zwischenlager tut.

Viertens:

Bezüglich der Offenlegung sicherheitsrelevanter Daten sehen wir einen Verstoß gegen das Umweltinformationsgesetz, das ausdrücklich eine Abwägungsverpflichtung zwischen Geschäftsgeheimnissen und dem öffentlichen Interesse nach Bekanntgabe sieht.

Es kann nicht sein, dass Eckert & Ziegler über 90 Prozent des radioaktiven Inventars auf seinem Gelände in Thune mit Verweis auf Geschäftsgeheimnisse nicht preisgibt und das Umweltministerium dieses Vorgehen toleriert. Die Bürger verlangen zu Recht, dass alle Daten zum Inventar und alle Daten zur Umgebungsüberwachung offengelegt werden.

Die Antwort auf unsere Große Anfrage hat deutlich gemacht: Die schwarz-gelbe Landesregierung setzt eine über Jahrzehnte geübte, unheilvolle Praxis fort. Die ökonomischen Interessen der Betreiber werden über die Interessen von Menschen und Umwelt gestellt. Selbst der Asse-Skandal hat Sie offenbar nicht eines Besseren belehrt. Sie haben nichts dazugelernt.

Anrede,

die Stadt Braunschweig versucht mit einer Veränderungssperre den Bau neuer Konditionierungseinrichtungen zu unterbinden. Der Staatsanwaltschaft liegen Anzeigen der Bewohner gegen die Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden vor. Und trotzdem legen Umweltministerium und Gewerbeaufsichtsamt Braunschweig ihre Hände in den Schoß.

Wir brauchen ausreichende Konditionierungskapazitäten um einen reibungslosen Rückbau stillgelegter Atomkraftwerke sicherzustellen. Solange kein Endlager zur Verfügung steht, brauchen wir weiterhin Zwischenlager. Aber wir werden auch für diese Bereiche der Entsorgung des Atommülls nur dann gesellschaftliche Akzeptanz finden, wenn wir Transparenz zusichern und wenn wir Sicherheit und bestmöglicher Risikominimierung oberste Priorität beimessen.

Deshalb gehört die Entsorgung von Atommüll nicht in Wohngebiete.

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