Rede Filiz Polat: Resettlement – Für eine moderne Flüchtlingspolitik

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

ich freue mich zunächst, dass die Fraktionen DIE LINKE und die SPD sich unserem Änderungsantrag angeschlossen haben.

Das zeigt, dass diese Hälfte des Parlaments Verantwortung übernimmt für eine moderne Flüchtlingspolitik.

Es ist doch wirklich absurd, sich angesichts der weltweiten Probleme wegen der Aufnahme von 200 irakischen Binnenflüchtlingen auf die Schulter zu klopfen, sich zurückzulehnen und wieder wegzuschauen.

Kriege und politische Krisen zwingen jedes Jahr Tausende Menschen zur Flucht. Laut UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR befinden sich rund 6,2 Millionen Menschen weltweit in lang anhaltenden Flüchtlingssituationen. Dabei können die meisten Flüchtlinge keinen sicheren Staat erreichen, denn die Nachbarstaaten von Krisengebieten sind häufig mit der Masse der Flüchtenden strukturell und organisatorisch überfordert. Ohne Perspektive auf ein menschenwürdiges Leben sitzen sie jahrelang in provisorischen Lagern fest.

Der UNHCR, verschiedene gesellschaftliche Gruppen und Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen fordern deshalb ein jährliches Neuansiedlungs- bzw. Resettlementprogramm. Der UNHCR hält eine Ausweitung der verfügbaren Neuansiedlungskapazitäten für dringend erforderlich. In einer Reihe von Staaten werden entsprechende Programme seit Jahren durchgeführt, wie zum Beispiel in den USA, Kanada, Schweden oder Norwegen. Eine Neuansiedlung in Deutschland wird auch von den europäischen Institutionen, namentlich dem Europarat, der Europäischen Kommission und dem Europaparlament, ausdrücklich unterstützt.

Die aufzunehmenden Personen sind vom UNHCR als Flüchtlinge anerkannt und weisen zudem besondere rechtliche Schutzbedürfnisse auf. Das betrifft beispielsweise Traumatisierte, Folteropfer, Minderjährige, Ältere und Frauen. Platz genug ist da: Die Flüchtlingszahlen sind in Deutschland so niedrig wie seit 30 Jahren nicht mehr. Die Zahl der Asylanträge ist seit zehn Jahren rückläufig.

Angesichts des dramatischen Rückgangs der Flüchtlingszahlen in Deutschland bei zugleich immer wieder bekannt werdenden erschütternden Schicksalen vieler tausender Flüchtlinge im Mittelmeerraum und anderswo erscheint es dringend geboten, einen Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik vorzunehmen.

Das ist dringend erforderlich, denn der Bedarf übersteigt die derzeit verfügbaren Neuansiedlungskapazitäten bei Weitem. Allein im Jahr 2010 müssen laut UNHCR 203.000 Personen neuangesiedelt werden. Nur 65.596 Flüchtlinge wurden aber beispielsweise im Jahr 2008 weltweit neuangesiedelt, von denen nur 6,7% in einem EU-Staat Aufnahme fanden. Die EU steht also gegenüber vielen anderen Industriestaaten noch weit zurück. Dieser Umstand stellt auch ein Glaubwürdigkeitsproblem auf internationaler Ebene dar und verhindert dort eine wirksame Mitgestaltung der EU in dieser Hinsicht.

Kommunen und einzelne Bundesländer wie Schleswig-Holstein und Berlin bejahen die Notwendigkeit und Möglichkeiten einer Neuansiedlung und haben sich der bundesweiten Kampagne "Save me" angeschlossen. Anfang 2008 hat sich in München die Kampagne "Save me – Eine Stadt sagt ja!" gegründet und für die Aufnahme von 850 Flüchtlingen in der Stadt geworben. Der Stadtrat hat diese Aktion einstimmig angenommen. Stadträte in Kiel und Aachen folgten dem Münchner Beispiel. In mittlerweile 40 Städten von Aachen bis Ulm sind Resettlementkampagnen gestartet. Ende Oktober hat auch die Landeshauptstadt Hannover mehrheitlich ja zu Save-me gesagt.

Wenn sie sich zu einem weltoffenen Niedersachsen bekennen und Verantwortung übernehmen wollen – denn für viele Fluchtursachen sind wir mitverantwortlich – dann sagen sie "ja" zu einer modernen Flüchtlingspolitik; sagen sie "ja" zur bundesweiten "Save me"–Kampagne; sagen sie "ja" zu unserem Änderungsantrag und setzen sich damit im Bundesrat für ein kontinuierliches Resettlement-Programm ein.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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