Rede Enno Hagenah: Chancen durch Liberalisierung der Handwerksordnung für Niedersachsen

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Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren,
mit ihrer aufgeregten Debatte um den Meisterbrief haben CDU und FDP gezeigt, dass sie sich entschieden haben, einseitig die Interessen der heute Privilegierten zu vertreten. Erwerbslose, Existenzgründer und kreative Köpfe haben bei Ihnen keine Chance mehr.
Noch wird Ihnen applaudiert wenn Sie vor den Handwerkern verkünden, dass sich nichts ändern darf, während Sie den anderen Wählern immer versichern, dass sich alles ändern muss.
Noch schreibt die Presse mit, wenn Sie von tabulosen Einsparungen und Subventionskürzungen sprechen, die jetzt in Bund und Land zur Konsolidierung nötig sind. Zugleich erklären Sie die Eigenheimzulage und die Kilometerpauschale auf Wunsch des Ministerpräsidenten für unantastbar.
Konsequente Spitze dieser schlichten Strategie war die Idee Ihrer Meisterschülerin, Frau Ministerin von der Leyen, die gleich zwei Drittel der ihr auferlegten Einsparungen über Luftbuchungen vom Bund finanzieren lassen wollte.
Herr Ministerpräsident, Sie bringen sich schon nach wenigen Monaten der neuen Regierung um ihre Glaubwürdigkeit mit der Parole: "Reformen ja, aber nicht mit unserer Klientel", und das holt Sie unweigerlich ein.
Was dieses Land braucht ist eine echte Überwindung des Reformstaus und der Subventionsfalle in allen Bereichen. Dabei erteilen wir aber ausdrücklich dem scheinbar leichteren Weg, der Rasenmähermethode, eine klare Absage. Ein prozentual gleichmäßiger Abbau von Subventionen ist für manche Bereiche, wie zum Beispiel die Kohleförderung oder die Steuerbefreiung des Flugbenzins ein unverdientes Gnadenbrot, während in anderen Feldern der Abbau durchaus behutsamer vorgenommen werden muss.
Der Meisterbrief gehört aber sicher nicht zu den bedrohten Arten, zumal er in seinem Wert als Qualitätskriterium durch die aktuelle Debatte sogar noch gewinnt. Es ist aber unzweifelhaft so, dass unsere Wirtschaft im handwerklichen Bereich derzeit suboptimal organisiert ist:
Gegenwärtig wagt leider nur jeder zweite neue Handwerksmeister den Sprung in die Selbstständigkeit. Dennoch gibt es zugleich immer häufiger Betriebsschließungen wegen fehlender Betriebsnachfolger im Handwerk und einen stetigen Anstieg der Schwarzarbeit.
Auch andere Zahlen belegen den Handlungsbedarf jenseits der konjunkturellen und fiskalischen Rahmenbedingungen am Standort Deutschland.
Seit 1994 stagniert die Zahl der Vollhandwerks-Betriebe, während es gleichzeitig in der Gesamtwirtschaft eine Steigerung um 6 % mehr Unternehmen gab. Im handwerksähnlichen Gewerbe ohne Meisterzwang ist seit 1994 sogar ein Zuwachs von 44 % zu verzeichnen. Die Probleme waren bereits dramatisch in den von Ihnen immer häufiger verklärten Kohl-Jahren.
Im gleichen Zeitraum 1994 bis 2002 sank die Zahl der Arbeitnehmer im Handwerk um fast 20 %, während in der Gesamtwirtschaft nur ein Rückgang von 2 % zu verzeichnen war.
Die Gesetzesinitiative der Bundesregierung zur Reform der Handwerksordnung mit der Möglichkeit, sich auch ohne Meisterbrief im Handwerk selbstständig zu machen, ist ein sinnvoller Baustein, um für mehr Beschäftigung zu sorgen. Das Beispiel Niederlande zeigt, das diese Öffnung zu mehr Selbstständigkeit und mehr Existenzgründungen führen kann und manche Sorge um die Betriebsnachfolge dadurch behoben wird.
Die Verbraucher können bei Handwerksaufträgen zukünftig entscheiden, ob sie bei einem Meister- oder einem Gesellenbetrieb kaufen möchten. Ein Markt dafür ist vorhanden, insbesondere wenn durch diesen Preiswettbewerb ein neuer Anreiz geschaffen wird, Schwarzarbeit durch legale Beschäftigung zu ersetzen.
Behauptungen, das Handwerk werde jetzt von einer Welle der unterqualifizierten Ich-AGs unterlaufen, sind Panikmache und haben nichts mit den realen Rahmenbedingungen zu tun. Mit der Ich-AG und den Minijobs wird der immer wieder geforderte unbürokratische Niedriglohnsektor in Deutschland institutionalisiert.
Wenn jetzt einige, wie zum Beispiel der Handwerkstagpräsident Rehkopf, der immer nach wirkungsvollen Maßnahmen gegen die Attraktivität von Schwarzarbeit gerufen haben, jetzt die Befürchtung äußern, anstatt weniger Schwarzarbeit würden diese Bausteine der Harzreformen sogar mehr Schwarzarbeit bringen, ist das sehr fadenscheinig. Das ist ein typisches Beispiel für Lobbyismus pur, der nicht die Lösung wirtschaftlicher und sozialer Probleme der Gesellschaft, sondern nur die Sicherung der Pfründe der eigenen Klientel im Auge hat.
Ich-AGs sind auch keine staatlich konzessionierten Dumping-Betriebe, wie Wirtschaftsminister Hirche meint, sondern ein bisher fehlendes Element in unserer veränderten Marktwirtschaft. Dadurch dass dieses Element bisher fehlte, konnte manche Saisonarbeit z.B. bei der Spargelernte oder in der Gastronomie auf den Inseln bisher nur von ausländischen Arbeitnehmern bewältigt werden. Eine absurde Situation bei unserer Massenarbeitslosigkeit.
Ich-AG und Minijob können bei dieser Saisonarbeit, aber auch für einen erheblichen Teil der bisherigen Schwarzarbeit die bessere Alternative sein.
Die derzeitige Situation stellt für deutsche Gesellen im übrigen einen Fall von Inländerdiskriminierung dar. Handwerker aus anderen EU-Ländern ohne Meistertitel dürfen längst in Deutschland einen Betrieb gründen, wenn sie über entsprechende mehrjährige Berufserfahrung verfügen – im Gegensatz zu deutschen Gesellen.
Die dominierende Diskussion um Sozialabbau durch die Agenda 2010 hatte bisher verdeckt, dass die rot-grüne Bundesregierung sich inzwischen auf vielen Feldern traut, das Allgemeinwohl über die Einzelinteressen zu stellen. Entscheidend ist es, dies dann auch gegen den Aufstand der Lobbyisten durchzuhalten. Egal, ob sie Gewerkschaften, Pharmalobby oder Handwerkskammern heißen.
Bei dieser Reform können alle, die stets betonen, wie wichtig Ihnen der Bürokratieabbau, Wettbewerb und liberale Rahmenbedingungen sind, zeigen, wie ernst es Ihnen damit ist.
Im Bundesrat hat Niedersachsen dazu die Gelegenheit.
es gilt das gesprochene Wort

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