Rede Dr. Hans-Albert Lennartz: Gegen die Zerschlagung einer einheitlichen Datenschutzkontrolle in Niedersachsen

Rede zu Top 15 und 16 der 64. Sitzung des niedersächsischen Landtages am Mittwoch, den 22. Juni 2005....

Anrede,
am 24. Mai 2005 haben Sie im Kabinett beschlossen, ab 2006 dem niedersächsischen Datenschutzbeauftragten die Aufsicht über die Datenverarbeitung Privater zu entziehen und sie im Innenministerium wahrnehmen zu lassen. Zugleich haben Sie mitgeteilt, dass der Datenschutzbeauftragte, Herr Nedden, zum April 2006 in Altersteilzeit gehen werde und bis zu diesem Zeitpunk eine Wahl eines Datenschutzbeauftragten erfolgt sein muss.

Anrede,

am liebsten würden Sie den Datenschutzbeauftragten ganz abschaffen, aber da ist die niedersächsische Verfassung vor!

Ihre Zerschlagung des Datenschutzes in einer unabhängigen Kontrollinstanz ist in gewisser weise konsequent. Sie passt zu Ihrer ausufernden Aufrüstung im Bereich der inneren Sicherheit. Eine Politik, die die Sicherheitsbelange einerseits und den Schutz der Bürgerrechte andererseits in eine ausgewogene Beziehung zu bringen versucht, würde einen solchen Schritt natürlich nicht machen.
Sie werden jetzt vielleicht sagen, es geht ja gar nicht um die Reduzierung der Kontrollbefugnisse des Datenschutzbeauftragten im öffentlichen Bereich, sondern nur um eine Zuständigkeitsverlagerung für die Kontrolle des Datenschutzes im privaten Bereich. Ich will an einem konkreten Beispiel das Problem der Zuständigkeitsverlagerung deutlich machen:

Die so genannte RFID-Technik (radio frequency identification = Identifikation per Funk) ist massiv auf dem Vormarsch. Sie wird künftig die Handels- und Warenwelt revolutionieren. Jeder produzierte Gegenstand soll danach mit einem RFID-Etikett von der Größe einer Briefmarke versehen sein, wobei jeder Mikrochip einen elektronischen Produktcode enthält, der jedes Produkt eindeutig identifiziert. Bisher hat vor allem der Handel Interesse an dieser Technik bekundet und auch erste Erfahrungen gesammelt. So wurden in Nordrhein-Westfalen bei einer internationalen Warenhauskette ca. 10.000 Kundenkarten mit entsprechenden Chips ausgegeben, ohne dass die Kundinnen und Kunden davon erfuhren. Mit Hilfe dieser Chips wurden ihr Weg und ihr Verhalten in den Supermärkten lückenlos kontrollierbar. Transparenz und Datenschutz sind die zentralen Bedingungen, um einen Missbrauch dieser Technologie zu verhindern oder zumindest weitgehend das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu waren.

Nach der derzeitigen Regelung in Niedersachsen ist es Aufgabe des Datenschutzbeauftragten, die Einführung dieser Technik und die Probleme für den Datenschutz zu kontrollieren bzw. die entsprechenden Firmen bei der Einführung der Technik und ihrer Anwendung zu begleiten im Sinne des Datenschutzes.
Bei der von Ihnen beabsichtigten Regelung würde diese Aufgabe im Innenministerium wahrgenommen werde. Es ist zu erwarten, das angesichts der Interessen von Unternehmen, diese Technik auch unter Umständen im Graubereich der informationellen Selbstbestimmung zu praktizieren, dem Innenministerium die notwendige Unbefangenheit zur absoluten Gewährleistung des Datenschutzes fehlen könnte, denn die Landesregierung hat in erster Linie die Interessen von Unternehmen im Auge, die sich hier ansiedeln bzw. ein möglichst gutes Umfeld für ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Interessen vorfinden wollen.

Wir sind es ja gewohnt, dass konstruktive Kritik nicht gewünscht ist, aber auch die Kritik bspw. der deutschen Vereinigung für Datenschutz, verschiedener Landesdatenschutz-beauftragter oder etwa der Humanistischen Union wird Sie vermutlich nicht beeinflussen können.

Jetzt kommt die FDP ins Spiel. Die FDP hat erklärt, sie sehe in den Plänen der Landesregierung bzw. des Innenministeriums kein Problem, aber sie werde den Vorgang sorgfältig beobachten. Meine Damen und Herren von der FDP: das reicht nicht. Sie sind jetzt gefordert. Sie schneidern doch gerade an einem neuen Kostüm der Bürgerrechtspartei.

- Übrigens: Wie verhält sich Niedersachsen heute im Rechtsausschuss des Bundesrates in Sachen Informationsfreiheitsgesetz? Enthält sich Niedersachsen bei dem Antrag der CDU, das Informationsfreiheitsgesetz in den Vermittlungsausschuss zu bringen und damit dauerhaft zu erledigen? -

Zurück zum Datenschutz: Wer B wie "Bürgerrechte" sagt, muss auch D wie "Datenschutz aus einer Hand" sagen. Wieso hat Wirtschaftsminister Hirche sich gegen die Pläne des Innenministers gestellt, umfangreiche Vorratsdatenspeicherung zu Lasten privater Unternehmen zu erlauben, wieso hat er in diesem Fall im Kabinett der Reduzierung des Datenschutzes beim Datenschutzbeauftragten zugestimmt?

Meine Damen und Herren von der FDP: Sie müssen sich an dieser Stelle entscheiden. Was ist Ihnen wichtiger? Die Interessen mancher privater Unternehmen, die sich mit einer beiläufigen Wahrnehmung der privaten Datenverarbeitung in einem Innenministerium leichter realisieren lassen oder der Schutz des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung im Verhältnis von Kundinnen und Kunden gegenüber privaten Unternehmen? Eigentlich ist die Entscheidung gar nicht schwierig. Denn zunehmend mehr private Unternehmen sehen für ihr Image gerade auch die Gewährleistung des Datenschutzes als wichtiges Gut an und praktizieren bspw. das so genannte Datenschutzaudit, eine Art Zertifikat, welches ihnen attestiert, dass sie im Bereich der Datenverarbeitung personenbezogener Kundendaten optimal aufgestellt sind. Nur eine sehr traditionalistische Philosophie kann überhaupt zu dem von der Landesregierung beschlossenen Weg führen.

Anrede,

am 16. Juni hat die Humanistische Union Herrn Ministerpräsidenten Wulff in einem Schreiben ihre Besorgnisse vorgetragen. Ich zitiere aus diesem Schreiben wie folgt: "Inhaltlich geht es bei der Gewährleistung völliger Unabhängigkeit im Sinne der Richtlinie 46/95 der europäischen Gemeinschaft darum, auch die für den nichtöffentlichen Bereich zuständige Kontrollstelle von jeder sachlichen Weisungsmöglichkeit durch die Exekutive freizuhalten. Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Aufsicht im Sinne der Grundrechte ausgeübt wird und keine sachfremden Erwägungen in die Ausübung der Aufgaben und Befugnisse der Kontrollstelle einfließen. Diese Anforderungen sachlicher Unabhängigkeit ist mit der Einbindung der Kontrollstelle in ministerielle Weisungsstränge schlicht unvereinbar."
Die Forderung der EG-Datenschutzrichtlinie nach völliger Unabhängigkeit setzt diejenigen deutschen Bundesländer, bei denen die Datenschutzaufsicht über den nichtöffentlichen Bereich nach wie vor in den Innenministerien angesiedelt ist, unter erheblichen Veränderungsdruck. So hat am 29. Oktober 2004 ein weiteres Bundesland, Mecklenburg-Vorpommern, die Zuständigkeit für den nichtöffentlichen Bereich vom Ministerium auf den Landesbeauftragten für den Datenschutz übertragen. Entsprechende Veränderungen stehen in Sachsen kurz bevor, in Baden-Württemberg und Bayern werden sie bereits diskutiert. Insgesamt 7 Bundesländer haben die Wahrnehmung der Kontrolle des privaten Bereichs bereits auf den Landesdatenschutzbeauftragten übertragen. Bei der europäischen Kommission ist seit 2003 ein Beschwerdeverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Verstoßes gegen die Vorgabe der EG-Datenschutzrichtlinie anhängig. Wenn Sie Ihren Beschluss nicht korrigieren, laufen Sie Gefahr, dass Sie in kurzer Zeit gezwungen sein werden, die falsche Entscheidung zu überprüfen und zu korrigieren.

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