Michael Lühmann: Rede zum Gesetzentwurf (CDU) zur Änderung des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes
TOP 5: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (GE CDU)
- Es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleg:innen,
beginnen wir, es ist ja Haushaltsplenum, mit etwas Mathematik und schauen hierfür in den Haushaltsansatz der CDU. Unter Titel 111 01 generieren Sie Einnahmen von 2 Millionen durch die uns hier vorliegende Änderung des Niedersächsischen Polizeigesetzes, mit der unserer Polizei ermöglicht werden soll, Gebühren zu erheben für den Einsatz unmittelbaren Zwangs. Die Summe teilen wir jetzt mal kollektiv durch die im Raum stehende Gebühr von 80 Euro, und, liebe Kolleg:innen, im Ergebnis sehen wir, die CDU erwartet ein beispielloses Jahr des Klimaprotestes.
25.000 mal unmittelbarer Zwang im Rahmen von Versammlungen von Klimaaktivist:innen – denn allein um diese geht es Ihnen ja, weshalb Sie vor einem Jahr die Einbringung während der Bauernproteste hektisch wieder abgesetzt haben. Wo Sie diese Zahl vor dem Hintergrund des realen Einsatzgeschehens der vergangenen Jahre gegriffen haben, es bleibt ein Mysterium. Ebenso nebulös bleibt, wer das im Einsatz- und Streifendienst und dann im Hintergrund beim Eintreiben der Gebühren bewerkstel-ligen soll, denn zusätzliche Stellen hierfür haben Sie nicht in Ihren Haushaltsansatz geschrieben. Das ist mutig, haben wir in der Anhörung doch gelernt, wie extrem aufwändig das Eintreiben dieser Gebühr sein kann. Das Bürokratie-monster, dass Sie hier gebären, frisst Ihre pauschalen Bürokratieabbaupläne bei der Polizei locker auf.
Und da haben wir noch gar nicht über rechtliche Risiken gesprochen. Klagen, die sich etwa gegen den davorliegen-den Platzverweis richten müssten, Streitwert 5.000 Euro. Und auch nicht über einsatztaktische Folgen für die Polizei, also etwa den Widerspruch zum kommunikativen, deeskalierenden Handeln oder über die strengen Voraussetzungen an eine Auflösungsverfügung selbst, der wegen des besonderen Schutzes von Art. 8 Grundgesetz mildere Mittel wie beschränkende Auflagen oder der Ausschluss einzelner Teilnehmer vorzuziehen sind. Wenn das Ihr Paket für innere Sicherheit, für die Polizei und für Bürokratieabbau sein soll, dann legen Sie es sich gern selbst unter den Tannenbaum, so wie die 1 Mio. Euro für Taser. Rot-grüne Innenpolitik kann damit nichts anfangen.
Liebe Kolleg:innen, ich will dem Haushaltsbudenzauber noch einen grundlegenden Punkt anfügen, die Frage der Auswirkungen auf das Versammlungsrecht. Zweifellos sollen diese Gebühren und die verbundenen Kostenrisiken im Streitfall eine abschreckende Wirkung entfalten. Das aber hat das Bundesverfassungsgericht ganz entschieden kritisch gestellt und ausdrücklich ausgeschlossen.
Zu guter Letzt: Oliver Lepsius, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht und Verfassungstheorie in Münster, hat vor fast zehn Jahren in einem kleinen Sammelband zum Brokdorf Beschluss ausgeführt, welcher verfassungs-rechtliche und demokratische Schatz unser äußerst liberales Versammlungsrecht ist, solange es die Menschenwürde achtet: Um auch kleinen Gruppen nicht nur Gehör zu verschaffen, sondern damit diese auch bei Unterlegenheit demokratische Mehrheiten akzeptieren, braucht es (nicht nur) dieses Grundrecht als Partizipations-erzwingungsrecht. Allein die Möglichkeit, so Lepsius, dass dieser Protest ein neues Agreement zwischen Mehrheit und Minderheit erschaffen kann, stabilisiert Demokratie. Mehr noch, es öffnet bzw. hält es regelhaft den Weg offen in formale Aushandlungsprozesse des Politischen, gerade für radikalen Klimaprotest. Das Versammlungsrecht, so Lepsius in Bezug auf die radikalen Anti-Atomproteste etwa der 80er Jahre, muss „als Meilenstein der Integration dieser Bewegung in die Verfassungsordnung der rechtsstaatlichen Demokratie begriffen werden.“
Und deshalb bleibt es auch aus demokratie- und verfassungstheoretischen Gesichtspunkten und ausweislich der Rechtssprechung zum Versammlungsrecht falsch, Klimaprotest mit dem Gebührenkatalog zu bekämpfen. Und das bleibt auch klimapolitisch falsch. Und haushaltspolitisch im Übrigen auch.