Meta Janssen-Kucz: Rede zur Aktuelle Stunde (FDP) zur Corona-Strategie

-  Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede

Diese Aktuelle Stunde könnte aktueller kaum sein. Vor zwei Wochen erst haben sich Bundeskanzlerin und Ministerpräsident*innen auf ein Vorgehen für den Dezember geeinigt. Seither wurden die Maßnahmen bereits bis in den Januar verlängert, Verschärfungen angemahnt und die einzige halbwegs sicher geglaubte Perspektive für Weihnachten und Silvester wieder in Zweifel gezogen. Selbst ein harter Lockdown ist wieder im Gespräch bzw. wird schon für die nächsten Tage angekündigt.

Die Kommunikation und das Handeln der Bundesregierung und der Landesregierungen in der Corona Pandemie ist eine Krise für sich selbst. Wer laufend, fast täglich, eine Politik des Nachsteuerns macht, erweckt für mich nicht den Eindruck, man hätte die Logik des Virus verstanden und einen Plan, wie man "vor den Virus" und damit zu präventiven Maßnahmen kommt.

Anrede

Fakt ist, dass mittlerweile kaum noch jemand weiß, was aktuell erlaubt ist und was nicht. Gut, dass es für Interessierte wenigstens eine App gibt, die aktuell Auskunft gibt in diesem Wirrwarr von Ansagen. Wir werben deshalb seit Monaten für eine langfristige Strategie im Umgang mit der Corona-Pandemie. Aber genau das Gegenteil passiert gerade: die Halbwertszeit der MPK-Beschlüsse nimmt rapide ab und damit das Vertrauen in die Maßnahmen!   Im Gegensatz dazu steigen wieder die Infektionszahlen. Der dezente Rückgang in Niedersachsen scheint seit einigen Tagen beendet zu sein. Bundesweit kann von Entspannung erst Recht keine Rede sein. Auch die bevorstehende Zulassung der ersten Impfstoffe ist allenfalls ein Zwischenschritt, noch lange aber nicht das Ende der Pandemie. Das wissen wir eigentlich alle.

Anrede

Was wir deshalb brauchen ist ein Stufenplan, mit dem klar ist, wann und wo welche Maßnahmen greifen. Kinder und Jugendliche müssen wissen, wann sie ihren Hobbys wieder nachgehen und Freund*innen treffen können. Betriebe müssen wissen, wann sie wieder mit Einnahmen rechnen können. Ältere Menschen müssen wissen, wann sie ihre Enkelkinder wiedersehen können und Familien müssen wissen, wie sie Familie und Beruf dieser Tage unter einen Hut kriegen. Es ist unsere Aufgabe als Parlament, den Menschen in Niedersachsen in Zeiten großer Unsicherheit so viel Sicherheit, Transparenz und Planbarkeit wie möglich zu bieten. Dazu muss sich das Parlament aber auch einbringen können, denn weitreichende Entscheidungen und Einschnitte treffen auf deutlich mehr Akzeptanz, wenn sie im Parlament diskutiert und abgewogen werden! Gerade in einer Krise dürfen demokratische Mitbestimmungsrechte nicht ausgeblendet werden. Lassen Sie uns zusammen unseren verfassungsgemäßen Auftrag wahrnehmen, es geht hier schließlich um viele grundrechtsrelevante Fragen für alle Menschen in Niedersachsen.

Anrede

Ein verlässlicher Stufenplan ist überfällig, der klare Schwellenwerte definiert, bei deren Überschreiten automatisch bestimmte Einschränkungen in Kraft treten. Für eine valide Lagebewertung müssen die Schwellenwerten mehr Faktoren berücksichtigen als die 7-Tages-Inzidenz – das hat auch die Wissenschaft mehrfach deutlich gemacht. Die Veränderungen, der Anstieg des Infektionsgeschehens, die Schwere der Verläufe und die Belastung des Gesundheitswesens müssen ebenfalls in die Bewertung einfließen und müssen öffentlich gemacht und nicht als Verschlusssache des Innenministeriums behandelt werden. Aktuell orientieren wir uns im Wesentlichen an den – politisch festgelegten - 7-Tage-Inzidenzen von 35, 50 und plötzlich 200 Inzidenzen. Und bei Überschreitung der 200er Grenze sind die einzigen Konsequenzen Wechselbetrieb und Maskenpflicht an Schulen. Das ist mehr als fragwürdig! Ein zielgerichtetes Vorgehen braucht eine stärkere klare Differenzierung. Und es braucht in besonders den betroffenen Regionen schärfere Maßnahmen.

Anrede

Ein solcher Stufenplan kann nur unter den richtigen Rahmenbedingungen auf Akzeptanz stoßen. Bis zum Ende der Corona-Pandemie muss deshalb Folgendes ganz klar sein: solange es Einschränkungen gibt, muss den Betroffenen geholfen werden. Familien brauchen bei Kita- und Schulschließungen eine unbürokratische Betreuungsgarantie. Und sie brauchen Einkommensersatz und kindgerechte Lösungen, wenn ein Kind in Quarantäne muss.

Risikogruppen brauchen in erster Linie Schutz. Der kann aber nicht daraus bestehen, dass man sie weitgehend vom öffentlichen Leben ausschließt. Schutz muss das individuelle Risiko berücksichtigen und gleichzeitig Teilhabe sichern. Hier kommt es insbesondere auf den effektiven Einsatz von Schnelltests und Schutzausrüstung, sowie auf sichere Arbeitsplätze für Menschen mit erhöhtem Risiko an. Betriebe können sich nicht länger von Monat zu Monat hangeln. Sie brauchen schnelle und unbürokratische Hilfen, die auch dann greifen, wenn Einschränkungen nur regional gelten. Ein Unternehmerlohn nach dem Vorbild anderer Bundesländer kann auch der niedersächsischen Wirtschaft helfen.

Anrede

Ein Punkt ist mir noch ganz wichtig. Der Kampf gegen die Pandemie lebt nicht nur davon, dass Menschen Regeln befolgen. Er lebt auch davon, dass Menschen Verantwortung übernehmen und mitdenken. Die Corona-Pandemie hat viele gute Ideen von vielen engagierten Menschen hervorgebracht. Wo im Sinne des Infektionsschutzes gute Lösungen vor Ort entwickelt werden, sollten wir sie nicht nur wertschätzen, sondern auch verstärkt zum Einsatz bringen und die Erfahrungsschätze nutzen im Kampf gegen Covid19.

Zum Schluss noch etwas, auch wenn Sie es von mir und den Grünen nicht mehr hören mögen: Den Pflegekräften wurde zu Beginn der Pandemie applaudiert und gestern sprachen alle Redner*innen von mehr Anerkennung der Arbeit der Pflegekräfte. Bis auf einen kleinen Bonus für wenige kam bislang nicht viel. Einer neuen Studie des Wirtschaftsforschungsunternehmens Prognos zufolge drohen sogar Einkommensverluste. Bis 2025 werden die Bruttojahresverdienste im Gesundheits- und Sozialwesen rund 4400 Euro unter dem Durchschnittseinkommen liegen. Soll das der Dank sein für 60 Stunden-Schichten auf den Intensivstationen? Echte Wertschätzung sieht anders aus!

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