Marie Kollenrott: Rede zur Ersatzfreiheitsstrafe (Antrag GRÜNE)
- Es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren,
wir haben heute einen Antrag mit vielen Vorschlägen zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen vorgelegt. Doch bevor ich auf die einzelnen Maßnahmen zu sprechen komme, möchte ich anhand einer persönlichen Geschichte verdeutlichen, worüber wir heute eigentlich sprechen:
Vor einigen Jahren hat ein Freund von mir ein kleines, wunderbares Geschäft betrieben. Doch dann war er von einem auf den anderen Tag verschwunden. Das Geschäft öffnete nicht mehr, er war nicht mehr erreichbar. Wir waren besorgt. Erst einige Tage später stellte sich dann heraus: er saß im Gefängnis. Nicht etwa, weil er wegen einer Straftat verurteilt worden wäre. Nein. Sein Geschäft war in die Krise gerutscht und er hatte in diesem Zusammenhang aufgelaufene Geldstrafen nicht bezahlen können.
Weil es nicht gut lief für ihn. Und weil es für ihn zu schambehaftet war, im Bekanntenkreis um Geld zu fragen.
Erst einmal im Gefängnis angekommen, dauerte es dann lange, bis wir mit ihm über einen Anwalt Kontakt hatten. Direkt telefonieren durfte er nicht, denn er hatte kein Geld bei sich und telefonieren im Gefängnis kostet. Am Ende haben Freund:innen seine Strafe bezahlt und ihn so aus der Haft ausgelöst.
Warum erzähle ich das?
Weil das. was nach einem Einzelschicksal klingt, eben keines ist. Im Gegenteil - es ist ein Massenphänomen und ein Elendsphänomen, denn die meisten Betroffenen haben leider niemanden, der sie aus der Haft auslösen könnte.
In Niedersachsen sind etwa 40 Prozent der Haftantritte Ersatzfreiheitsstrafen, etwa 118.000 Hafttage Ersatzfreiheitsstrafe werden jedes Jahr in niedersächsischen Justizvollzugsanstalten verbracht.
Ersatzfreiheitsstrafe, das bedeutet, dass eine Person eigentlich gar nicht zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, aber dennoch inhaftiert wird, weil sie die Geldstrafe, die sie erhalten hat, nicht bezahlen kann. Fast die Hälfte der Inhaftierten sollte also eigentlich gar nicht im Gefängnis sitzen.
Nun könnte man meinen, es sei in einem Rechtsstaat eben so, dass wer eine Schuld nicht zahlt, nun einmal ins Gefängnis müsse. Doch das greift viel zu kurz und wird dem sozialen Staat in dem wir leben, nicht gerecht!
Ich will einige Argumente liefern:
Erstens: Die Ersatzfreiheitsstrafe ist kontraproduktiv.
Die Betroffenen verbringen mit der Ersatzfreiheitsstrafe in der Regel nur wenige Tage bis Wochen in Haft. Aber diese Menschen werden, wenn auch nur für überschaubare Zeit, aus ihrem Sozialgefüge, aus ihren Familien, aus ihren Jobs herausgerissen. Oft mit gravierenden Folgen für ihre Biografie.
Und gleichzeitig sind positive Einwirkungen in Haft durch verschiedene Resozialisierungsprogramme oder auch Drogenentzugsprogramme gar nicht möglich, weil die Haftzeit viel zu kurz ist und diese Art von Unterstützungs- und Sozialangebot hier entfällt. Die Freiheitsstrafe verkommt damit zu einem bloßen „Verwahrgewahrsam“.
Zweitens: Die Ersatzfreiheitsstrafe ist teuer.
Denn jeder der 118.000 Hafttage pro Jahr kostet Niedersachsen, also uns alle, gut 167 Euro. Eine Summe mit der man bequem in einem Luxushotel nächtigen könnte. Oder aufaddiert eine Summe - nämlich 19.706.000 Euro -, die man jedes Jahr in Prävention und Haftvermeidung stecken könnte.
Und drittens: Die Ersatzfreiheitsstrafe ist sozial ungerecht. Denn wer wenig Geld hat, wer am Existenzminimum lebt und vielleicht gerade deshalb in kleinerem Maß straffällig geworden ist, der wird es sich eben nicht leisten können, von dem Wenigen eine Geldstrafe zu bezahlen. Erst recht nicht in Zeiten steigender Preise. Diese soziale Ungleichheit hat auch der Bundesgerichtshof erkannt.
So weit, so bekannt sind die Argumente.
In den vergangenen Wochen habe ich Gespräche mit Vertreter:innen verschiedener Anlaufstellen für Straffällige geführt, die wichtige Programme zur Haftvermeidung anbieten. Diese Gespräche haben mir noch einmal mehr gezeigt was ebenfalls bekannt ist: Straffällige haben kaum eine Lobby. Und leider haben auch die, die sich für Prävention und Haftvermeidung einsetzen diese Lobby nicht.
Denn das, sehr geehrte Frau Justizministerin, wäre eigentlich ihr Job! Es wäre Ihr Job im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten Lobby zu sein für Menschen in Schwierigkeiten, konfrontiert mit sozialen Härten und im Konflikt mit dem Gesetz. Um eine Ministerin zu sein, die im menschenfreundlichen Sinne das Recht zur Anwendung bringt. Leider ist dem nicht so und deshalb müssen Sie sich unsere Kritik hier auch gefallen lassen.
Ich wünschte wirklich, ich könnte hier so viel Einheit beschwören wie 2016, als dieses Haus einstimmig den Anlaufstellen für Straffällige eine dauerhafte und sichere Finanzierung versprochen hat. Doch das geht leider nicht. Frau Ministerin, Ihr Haus hält nicht einmal die eigene Förderrichtlinie für diese Anlaufstellen ein. Das kann – angesichts der wichtigen und sogar den Landeshaushalt entlastenden Arbeit der Anlaufstellen – doch wirklich nicht Ihr Ernst sein!
Und dabei bleibt es leider nicht. Jenseits der vermehrten Einbindung des Ambulanten Justizsozialdienstes, ist leider in den vergangenen Jahren kaum etwas passiert. Sie schauen den unverändert hohen Haftzahlen und den Problemen die sich zunehmend bei dem so wichtigen Haftvermeidungsprojekt „Schwitzen statt Sitzen“ ergeben, bei dem Geldstrafen abgearbeitet werden können, tatenlos zu.
Wir haben Anfang des Jahres eine kleine Anfrage zur Ersatzfreiheitsstrafe in Niedersachsen gestellt. Und in Ihrer Antwort haben Sie vor allem Ihre Ambitionslosigkeit zur Schau gestellt. Während der Corona-Einschränkungen, von denen auch die gemeinnützige Arbeit zur Haftvermeidung betroffen war, haben Sie lediglich andere gebeten, sich zu kümmern, anstatt selbst tätig zu werden. So sieht in unseren Augen kein Engagement, so sieht keine Führung aus.
Auch in Bezug auf die in anderen Bundesländern erfolgreichen „Day-by-Day“-Projekte, bei denen Gefangene auch in Haft noch ihre Geldstrafe abarbeiten können und so den Haftzeitraum reduzieren, haben Sie sich verweigert.
Und auf unsere Frage nach Konsequenzen aus dem Abschlussbericht der Bund-Länder-Gruppe zur Ersatzfreiheitsstrafe von 2019, der genug Anknüpfungspunkte auch für die Länder enthält, gab es nur den Verweis auf den Bund.
Man kann Ihr Vorgehen in Bezug auf das riesige Sozialproblem Ersatzfreiheitsstrafen aus all diesen Gründen leider nur als bürokratisch und desinteressiert beschreiben!
Und deshalb ist es gut, dass die Ampel-Regierung mehr Interesse aufbringt und das Thema bundespolitisch angehen will. Hier unterstützen wir die Bestrebungen zur Reform des Systems der Ersatzfreiheitsstrafe und zur Entkriminalisierung von Schwarzfahren und geringfügigem Cannabisbesitz explizit. Letztere Straftaten haben nicht nur kein strafwürdiges Unrecht, sondern machen auch einen erheblichen Teil der wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe Inhaftierten aus. Schwarzfahren ist falsch und sollte geahndet werden, aber wir schießen hier mit Kanonen auf Spatzen.
Wir sollten nicht auf den Bund warten, sondern landespolitisch aktiv werden. Deshalb legen wir hier ein Maßnahmenpaket vor, das sich an die Empfehlungen der Justizminister:innenkonferenz anlehnt und das ganz praktisch dazu beitragen kann, die Zahlen der Ersatzfreiheitsstrafen in Niedersachsen zu senken. Im Interesse der Betroffenen. Und im Interesse von uns allen.
Leider reicht die Zeit nicht, um auf alle Einzelpunkte einzugehen. Einige Punkte, die ich bereits angesprochen habe, finden Sie auch in unserem Antrag wieder. Vielfach geht es um kleine Änderungen, die bereits viel bewirken können.
Jetzt haben Sie die Möglichkeit, noch einmal etwas nachzuholen. Ansonsten sind wir bereit, ab Herbst die Verantwortung zu übernehmen. Wir sind bereit, es in einer neuen Landesregierung sozialer und besser zu machen.
Vielen Dank.