Julia Hamburg: Rede (Auszüge) - Erwiderung auf die Regierungserklärung " Niedersachsens Weg durch die Corona-Krise"

- Es gilt das gesprochene Wort -

Ich danke allen Beteiligten, den vielen Niedersächsinnen und Niedersachsen, die in den letzten Wochen mit viel Disziplin und Solidarität dafür gesorgt haben, dass die Infektionszahlen gesunken sind. Auch die vielen Menschen, die derzeit mit der Ausübung ihres Berufs und im Ehrenamt dazu beitragen, gegen das Corona-Virus und seine Auswirkungen zu kämpfen.

Der Überbietungswettbewerb um Lockerungsmaßnahmen in den Ländern in den letzten Wochen waren nicht hilfreich. Sie führten auf der einen Seite zu Enttäuschungen, auf der anderen Seite zu Ängsten und sie führen jetzt zu einer Neiddebatte. Die Akzeptanz der Maßnahmen wird maßgeblich davon abhängen, dass die Kriterien und die Nachvollziehbarkeit gewährleistet sind.

Die Fehler bei den Verordnungen in den letzten Wochen hätten nicht passieren dürfen. Wir reden hier teils über schwere Grundrechtseingriffe, da muss Sorgfalt vor Eile gehen. Wir erwarten, dass Sie künftig das Parlament mit einbeziehen. Die Debatten, über den Schutz der Bevölkerung, über Lockerungen und Verschärfungen und über die Kriterien gehören ins Parlament. 

Auch die Debatte um die Maskenpflicht war unglücklich. Natürlich ist es richtig, bundeseinheitlich voranzugehen – aber dabei dürfen wir doch in Niedersachsen das eigentliche Ziel, den Schutz der Bevölkerung, nicht aus dem Auge verlieren. Wenn Sie es noch nicht einmal schaffen, ein niedersachsenweites Vorgehen zu schaffen, wie wollen Sie dann auf Bundesebene Einheitlichkeit erreichen?

Sie sprechen zurecht an, dass Sie die Wirtschaft unterstützen müssen. Aber wo sind die Voraussetzungen für echte Lockerungen? Wo ist die Schutzkleidung, die datenschutzkonforme App, der Ausbau der Testkapazitäten? Wenn Sie über Lockerungen sprechen, dann müssen Sie auch liefern!

Gleichzeitig stelle ich mir die Frage, ob wir nicht viel mehr in der Verantwortung wären, umzudenken und der Wirtschaft neue Perspektiven zu geben?

In Hannover waren am Montag in der Georgstraße wieder 35000 Menschen. Herr Ministerpräsident: Das ist eine dieser Großveranstaltungen, die sie vermeiden wollen.

Statt einen zweiten Lockdown zu provozieren, sollten wir überlegen, wie der Handel und Unternehmen mit Digitalisierung und regionalen Logistikkonzepten auch in Zeiten von Corona krisenfest funktionieren kann. Das gilt auch für andere Unternehmen und Wirtschaft – wie kann die Wirtschaft in Corona-Zeiten krisenfest – und nicht unter Hoch- und Runterfahr-Bedingungen – dauerhaft funktionieren. Und wie können wir hier VW, Start-Ups, Kreativwirtschaft im Innovationsland Niedersachsen nutzen? Das ist unsere Aufgabe, hier krisenfeste Antworten zu entwickeln!

Stattdessen diskutieren Sie eine Abwrackprämie und wollen, dass die vor 10 Jahren durch die letzte Prämie gekauften Autos wieder verschrottet werden. Herr Ministerpräsident, das ist nicht nur umweltpolitischer Irrsinn. Es muss doch darum gehen, gezielte Kaufanreize zu setzen und hier den Umbau der Gesellschaft mitzudenken.

Sie haben Recht: Wirtschaftspolitik bedeutet Arbeitsplätze und Arbeitsplätze sind Sozialpolitik.

Aber wissen Sie: Ich habe mich gefragt, warum die Ministerpräsidenten die Familien und sozialen Hilfen bei der Lockerungsdebatte nicht auf dem Schirm hatte. Und dann habe ich Ihre Rede gehört!

Sie widmen den Problemen der sozialen Infrastruktur, den Kommunen und der Kultur einen bescheidenen Satz. Das erinnert mich an Gerhard Schröder, der das einst Gedöns nannte. Aber ich sage Ihnen deutlich: Die Corona-Krise darf sich nicht zu einer sozialen Krise auswachsen. Deshalb ist es entscheidend, Hartz IV zu erhöhen und das Kurzarbeitergeld JETZT und nicht in vier Monaten zu erhöhen. Wir müssen über ein Corona-Elterngeld reden. Und den sozialen Rettungsschirm gilt es jetzt in Niedersachsen umzusetzen und nicht erst in den nächsten Wochen zu prüfen. Und auch den Kommunen müssen wir endlich eine Perspektive geben – denn diese geraten gerade an den Rande ihrer Leistungsfähigkeit. Wenn hier die Handlungsfähigkeit verloren geht, dann werden wir an dieser Krise scheitern – denn die Kommunen leisten derzeit viel.

Und noch etwas möchte ich Ihnen hiermit auf den Weg geben: Spielplätze und Sport sind keine reine Freizeitbeschäftigung – Notbetreuung ist kein reines Wirtschaftsprogramm. Das sind Maßnahmen zur Entlastung und für die mentale Gesundheit. Es geht darum die Isolation von Kindern, die Überlastung von Familien, die Vereinsamung und den Schutz vor häuslicher Gewalt zu verhindern oder zumindest abzufedern. Das nennt sich Sozialpolitik und verdient gerade in der Krise unsere Beachtung.

Ich habe bereits ausgeführt, dass die Akzeptanz der Maßnahmen maßgeblich davon abhängt, ob wir es schaffen, sozialen Härten zu begegnen. Darüber hinaus wird sie davon abhängen, ob wir es schaffen, neue Antworten für ein Leben mit dem Corona-Virus zu finden. Wir werden nicht alles wieder lockern und öffnen können – und deshalb ist es unsere Pflicht, allen Menschen neue Perspektiven aufzuzeigen. Reine Lockerungsdebatten verklären die Situation, führen zu Neiddebatten und sorgen für Frust, weil sie nicht umsetzbar sind. Umdenken ist angesagt und dieses Umdenken zu befördern und zu gestalten ist jetzt die Aufgabe der Politik.

Nicht zuletzt ist unsere Aufgabe, heute bereits an morgen zu denken und jetzt ein Konjunkturprogramm zu planen, dass die Wirtschaft nach der akuten Krise wieder ankurbelt und gleichzeitig Antworten auf die wichtigen Zukunftsfragen gibt. Packen Sie also die Abwrackprämie auf den Schrottplatz und lassen Sie uns Konsum anregen durch die Erhöhung der Sozialleistungen und gleichzeitig soziale und ökologische Investitionen tätigen. Die Dürre, die wir in Niedersachsen derzeit erleben, ist alarmierend. Hier gilt es, Investitionen deshalb in Bereiche zu stecken, die es brauchen, die wir aber auch dringend tätigen müssen, wie in der Verkehrswende, Agrarwende oder der Begegnung des Klimawandels.

Wir werden die Krise nur gemeinsam lösen, davon bin ich überzeugt. Aber dafür müssen Sie, Herr Ministerpräsident, Ihren Blick deutlich weiten und alle in den Blick nehmen. Wir brauchen kreative Lösungen – und vor allem möchte ich Sie erneut auffordern: Beteiligen Sie endlich das Parlament! Da gehören die derzeitigen Entscheidungen hin. Ich bin dankbar für die Initiative „Niedersachsen hält zusammen!“ – denn diese ist sehr geeignet, die derzeitige Krise zu meistern. Denn Sie haben vollkommen recht, wir werden die Krise nicht als Politik lösen, sondern als Gesellschaft – und da kann dieses Bündnis ein entscheidender Schlüssel sein.

 

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