Gesetzentwurf: Gesetz zur Ergänzung des Europabezuges in der Landesverfassung

Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir die Rolle Niedersachsens in Europa auf Verfassungsebene weiter ausdefinieren. Der bisherige Europabezug in unserer niedersächsischen Verfassung ist zu schwach, um der Bedeutung Europas gerecht zu werden. Gerade jetzt angesichts des Brexit und nationaler Egoismen ist es an der Zeit, den europäischen Zusammenhalt zu stärken und die innereuropäische Kooperation – auch in den Regionen und der Zivilgesellschaft – zu betonen und zu fördern.

Der Landtag wolle das folgende Gesetz beschließen:

Gesetz zur Ergänzung des Europabezuges in der Landesverfassung

Artikel 1

Niedersächsische Verfassung

Die Niedersächsische Verfassung in der Fassung vom 19. Mai 1993 (Nds. GVBl. S. 107), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 23. Oktober 2019 (Nds. GVBl. S. 288), wird wie folgt geändert:

In Artikel 1 Absatz 2 werden die folgenden Sätze 2 und 3 angefügt:

„²Niedersachsen trägt zur Verwirklichung und Entwicklung eines geeinten Europas bei, das demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen sowie dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist, die Eigenständigkeit der Regionen wahrt und deren Mitwirkung an europäischen Entscheidungen sichert. ³Das Land arbeitet mit anderen europäischen Regionen zusammen und unterstützt die grenzüberschreitende Kooperation.“

Artikel 2

In-Kraft-Treten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung

A. Allgemeines

Auf Bundesebene hat der verfassungsändernde Gesetzgeber insbesondere durch die Änderung von Art. 23 GG im Jahr 1992 auf die europäische Integration reagiert. Seitdem ordnet Art. 23 GG auch die Länder in das europäische Mehrebenensystem ein, indem es ihre Mitwirkung in europäischen Angelegenheiten postuliert. Die Landesverfassung hat diese Änderung bisher im Wesentlichen nicht nachvollzogen. Anders als etwa Art. 23 Abs. 1 GG berücksichtigt die Landesverfassung nicht die veränderte Stellung des Landes als solchem in der europäischen Integration. Nach Art. 23 Abs. 2 GG wirken die Länder durch den Bundesrat in Angelegenheiten der Europäischen Union mit. Auch die dadurch entstandene Rolle der Länder in europäischen Angelegenheiten wird derzeit nicht in der Landesverfassung widergespiegelt. Gleiches gilt für die umfangreiche grenzüberschreitende Zusammenarbeit des Landes Niedersachsen sowie für die Rolle des Landes im Ausschuss der Regionen der Europäischen Union.

Der Großteil der Bundesländer hat mittlerweile ein Bekenntnis zur europäischen Integration in ihre Landesverfassung aufgenommen. Im Zentrum der Europäischen Union gelegen, ist das Land Niedersachsen nicht nur besonders durch das geeinte Europa geprägt, sondern hat sich – unabhängig von der jeweiligen Regierungsmehrheit – auch stets für eine Vertiefung der europäischen Integration eingesetzt. Niedersachsen profitiert nicht nur vom europäischen Binnenmarkt und den europäischen Grundfreiheiten, sondern auch von den Chancen, die die offenen Grenzen und der wechselseitige Austausch jedem Einzelnen für seine persönliche Entwicklung bieten. Darüber hinaus ist Niedersachsen insbesondere über den intensiven grenzüberschreitenden Verkehr mit seinem europäischen Nachbarn, den Niederlanden, geprägt. Der Europagedanke ist bei den Bürgerinnen und Bürgern des Landes tief verwurzelt. Dieser Prägung des Landes wird eine Bezugnahme in der Landesverfassung gerecht.

B. Die Regelungen im Einzelnen

Zu Artikel 1:

Die Ergänzung der Sätze 2 und 3 spiegelt die unterschiedlichen Dimensionen des geeinten Europa wider, die einerseits aus supranationalen und multilateralen Institutionen besteht und andererseits aus bilateraler Kooperation auf staatlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene.

a) Die Bezugnahme auf das „geeinte Europa“ in Satz 2 vermeidet bewusst eine Reduzierung allein auf die Europäische Union. Diese ist ohne Zweifel der wichtigste Teil des europäischen Einigungsprozesses und fällt damit unter diesen Begriff. Hinzu kommen jedoch weitere europäische Institutionen wie etwa der Europarat.

Die Formulierung enthält mehr als nur ein Bekenntnis zum geeinten Europa, sondern verpflichtet das Land dazu, aktiv an der Verwirklichung und Entwicklung desselben mitzuwirken. Dies entspricht insofern der gleichlautenden Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland in der Staatszielbestimmung des Art. 23 Abs. 1 GG, die zugleich Ausdruck des Prinzips der offenen Staatlichkeit ist. Durch den Beitrag des Landes zur Verwirklichung und Entwicklung des geeinten Europas entspricht es zugleich dem Friedensbekenntnis in Artikel 3 der Landesverfassung.

Der Begriff der „Verwirklichung“ knüpft an das Ziel der „Verwirklichung einer immer engeren Union“ in Art. 1 des EU-Vertrages an. Er umfasst nicht nur das Unterstützen einer abstrakten Idee der europäischen Integration, sondern verpflichtet das Land auch dazu, zum Funktionieren der europäischen Institutionen beizutragen. Dazu gehört in erster Linie die Umsetzung europäischen Rechts sowie – soweit für ein Land möglich – die politische Mitwirkung an Entscheidungen der Europäischen Union bzw. anderer europäischer Institutionen. Der Begriff der „Entwicklung“ enthält – ähnlich wie Art. 23 Abs. 1 GG – die Pflicht dazu beizutragen, die europäische Integration an die jeweils aktuellen Bedürfnisse anzupassen und damit zukunftsfähig zu machen.

Ebenfalls in Anlehnung an Art. 23 Abs. 1 GG wird in einer Struktursicherungsklausel festgeschrieben, welche Mindestanforderungen das „geeinte Europa“ – also insbesondere die Europäische Union – erfüllen muss, für deren Einhaltung sich das Land einzusetzen hat. Dazu gehören die grundlegenden Strukturprinzipien des Grundgesetzes und der Landesverfassung: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, das Sozialstaatsprinzip und der Föderalismus. Gerade für ein Land hat die separate Erwähnung des Subsidiaritätsprinzips, die auch Art. 23 Abs. 1 GG vorsieht, besondere Bedeutung. Da nach Art. 23 Abs. 1a GG der Bundesrat die Möglichkeit hat, den Gerichtshof der Europäischen Union wegen einer Verletzung des Subsidiaritätsprinzips anzurufen, führt die Verpflichtung auf das Subsidiaritätsprinzip diesbezüglich auch zu einer besonderen Verantwortung des Landes, diese Möglichkeit im Geiste der offenen Staatlichkeit, aber zugleich unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips für den föderalen Aufbau zu nutzen. Anders als in Art. 23 Abs. 1 GG erfolgt keine gesonderte Erwähnung des Grundrechtsschutzes durch die Europäische Union, da dieser Teil des Rechtsstaatsprinzips ist und zudem die Grundrechte erst in Art. 4 der Landesverfassung geregelt werden; es wäre systematisch verfehlt, den europäischen Grundrechtsschutz vor dem Grundrechtsschutz der Landesverfassung zu nennen.

Schließlich wird als notwendiges Strukturprinzip des geeinten Europas die Wahrung der Eigenständigkeit der Regionen und deren Mitwirkung an europäischen Entscheidungen genannt. Im Sinne des europäischen Rechts ist das Land eine Region und wirkt insbesondere über den Ausschuss der Regionen an europäischen Entscheidungen mit. Die Struktursicherungsklausel legt fest, dass sich das Land dafür einzusetzen hat, dass dessen Rolle nicht hinter den derzeitigen Stand zurückfällt und möglichst weiter ausgebaut wird. Darüber hinaus erfolgt die Mitwirkung des Landes an der Verwirklichung des geeinten Europas insbesondere über den Bundesrat (Art. 23 Abs. 2 GG) sowie durch Ländervertreter in Gremien der europäischen Institutionen (insbesondere gemäß Art. 23 Abs. 6 GG). Die Mitwirkung über den Bundesrat ist ein kraft Grundgesetz geltendes Gebot, das durch diese Regelung auch Teil der Landesverfassung wird.

b) Die bilaterale Seite der europäischen Integration findet in Satz 3 in zweierlei Hinsicht seinen Niederschlag: Zum einen nimmt der Satz Bezug auf die intensive bilaterale Kooperation des Landes mit anderen europäischen Regionen, wie dem unmittelbaren Nachbarn Niederlande. Angesichts der historisch bedingten besonderen Verbindungen Niedersachsens zum Vereinigten Königreich können von der in Satz 3 normierten Zusammenarbeit auch europäische Staaten umfasst sein, die nicht zur Europäischen Union hören.

Zum anderen nimmt der Satz 3 Bezug auf die „grenzüberschreitende Kooperation“, die über den rein staatlichen Bereich hinausgeht und zivilgesellschaftlich getragen ist. Ohne Rechtsansprüche entstehen zu lassen, bringt Satz 3 die Unterstützung des Staates für grenzüberschreitende Kooperation auf zivilgesellschaftlicher Ebene zum Ausdruck. Damit ist es dem Land verwehrt, grenzüberschreitende Kooperation in der Zivilgesellschaft ohne verfassungsrechtliche Rechtfertigung zu verhindern. Die grenzüberschreitende Kooperation kann zudem nicht nur innerhalb der Zivilgesellschaft und auf Landesebene erfolgen, sondern auch durch verschiedene Formen der kommunalen Zusammenarbeit, zu der insbesondere die Euregios gehören.

Zu Artikel 2:

Artikel 2 regelt das Inkrafttreten.

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