Evrim Camuz: Rede zu digitaler Gewalt im Internet

Rede TOP 18 a: Gesetz gegen digitale Gewalt im Internet: Wie ist der aktuelle Stand des Verfahrens (Fragestunde SPD)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

eine der größten Errungenschaft der Moderne sind unsere Grundrechte.

Diese stehen nicht im luftleeren Raum, nein sie stehen in einem dynamischen Verhältnis in Idealkonkurrenz zueinander, und zur Entwicklung unserer Gesellschaft. Aus den Beratungen im parlamentarischen Rat geht deutlich hervor, dass die Grundrechte eine gewisse Beweglichkeit besitzen, ihr Schutzniveau mit der Zeit wachsen kann.

Primär handelt es sich bei dem Grundrechtskatalog um Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat. Allerdings haben unsere Grundrechte eine Ausstrahlungswirkung in alle Rechtsbereiche und damit auch ins Zivilrecht.

Die Rolle des Staates, unsere Rolle, erschöpft sich nicht darin, Eingriffe in Grundrechte zu unterlassen, soweit sie nicht durch die jeweilige Schrankenregelung gedeckt sind.

Vielmehr sind wir angehalten gar verpflichtet, die grundrechtlich geschützten Freiheitsrechte der Bürger*innen vor Eingriffen durch Dritte, also Private, zu schützen und vorzubeugen. Hier kommt uns als Gesetzgeberin eine gewisse Einschätzungsprägorative zu Gute. Es ist uns vorbehalten, wie wir diesem verfassungsrechtlichen Auftrag gerecht werden möchten. Wir von Bündnis 90/Die Grünen nehmen diesen verfassungsrechtlichen Auftrag sehr ernst.

Und gleich zu Anfang der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland steht die Menschenwürde. In Art. 1 I GG steht, ich zitiere

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.“

Mir läuft immer ein Schauer über den Rücken wenn ich diesen Artikel zitiere, weil wir um die Geschichte dieses Artikels, als Deutsche, nur zu gut wissen.

Also wie steht es um die Menschenwürde im digitalen Zeitalter? Wie steht es um das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das als eigenständiges Grundrecht aus Art 2 I i.V.m. Art 1 I GG hergeleitet wird?

Nicht gut, es steht nicht gut.

Frauen sind überproportional von Hassreden betroffen, wenn Betroffene dann zusätzliche Charakteristika erfüllen, Muslima sind, eine körperliche Behinderung besitzen, queer sind, potenzieren sich Hass, Rassismus und Sexismus, Ableismus; mehrere Unterdrückungsmechanismen wirken zusammen und bilden eine ganz neue Dimension von Hass.

Digitale Gewalt und dazu zählen Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede im Internet, Bedrohung, Erpressung, Cybermobbing, Cyberstalking, aber auch das ungebetene Versenden von Dick-Pics wird gezielt genutzt, um Menschen, insbesondere selbstbewusste Frauen, die sich am demokratischen Diskurs beteiligen, zum Schweigen zu bringen, sie aus den sozialen Medien zu verdrängen, so eine Studie von HateAid.

Rechtsextreme Kräfte treten dabei besonders laut und dominant auf. Es geht dabei um nichts weniger als um Macht und die Etablierung von weiteren Diskriminierungsstrukturen im Netz.

Die Meinungsvielfalt ist gefährdet und hier ist eine Grenze klar überschritten, die wir nicht weiter dulden werden, sehr geehrte Abgeordnete. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum!

Ich möchte einen weiteren Punkt einbringen, der mir persönlich zu kurz gekommen ist: den Gedanken der Schadenshöhe.

Die "Punitive Damages" (zu deutsch: Strafschadensersatz) stellen eine besondere Form des Schmerzensgeldes in den USA dar. Eine Anspruchsvariante, um mit dem Geld eine präventive Wirkung zu entfalten und einem gesteigerten Maß an Verwerflichkeit Rechnung zu tragen, so dass Täter zu empfindlichen millionenschweren Schadensersatzforderungen verurteilt werden können.

Dieser Schadensersatzgedanke ist unserem Zivilrecht fremd. Grundsätzlich kennen wir nur den sogenannten materiellen und immateriellen Schadensersatz.

Immaterielle Schäden werden nur in Ausnahmefällen in Gestalt einer billigen Entschädigung zugesprochen, selbst wenn die Reputation dermaßen beschädigt worden ist.

Im Fall von Renate Künast wurde ihr 10.000 Euro zugesprochen, und diese Höhe ist die äußerste Ausnahme.

Ich halte nicht an dem Gedanken der Punitive Damages fest, und gleichwohl kennen wir bereits im Privatrecht verschiedene Mechanismen wie eine angemessene Schadenshöhe berechnet werden kann. Im Markenrecht, Patentrecht, Urheberrecht kennen wir diese Mechanismen.

Ich plädiere dafür, dass unsere Ehre, dass unsere Würde mindestens genauso geschützt werden, wie andere Rechtsverletzungen.

Sehr geehrte Abgeordnete, sehr geehrte Ministerin der Justiz

Ich möchte, dass Sie wissen, dass ich als justizpolitische Sprecherin von Bündnis 90/ Die Grünen an Ihrer Seite stehe und Sie in Ihrem Bestreben nicht nur hier im Plenum unterstütze, sondern auch in den grün regierten Länder für unsere Position werben werde.

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