Dragos Pancescu: Rede zum Europabezug in der Nds. Verfassung

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

zur Rolle Niedersachsens in Europa findet sich bisher in der Verfassung Niedersachsens lediglich in Artikel 1 Absatz 2 die Feststellung (ich zitiere):

„Das Land Niedersachsen ist ein freiheitlicher, republikanischer, demokratischer, sozialer und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichteter Rechtsstaat in der Bundesrepublik Deutschland und Teil der europäischen Völkergemeinschaft.“

Wir finden, das ist zu wenig, um der Bedeutung Europas gerecht zu werden.

Niedersachsens Rolle in der Europäischen Gemeinschaft wird damit nicht hinreichend beschrieben.

Gerade in diesen Zeiten, da der europäische Zusammenhalt zu wünschen übriglässt und die Bedeutung der EU für den Frieden, die Sicherheit, das Funktionieren des politischen und sozialen Systems sowie für die Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten und auch der europäischen Regionen untereinander vielen nicht mehr bewusst ist oder als selbstverständlich angesehen wird, halten wir eine Klarstellung mit Verfassungsrang diesbezüglich für angezeigt.

Anschließend an den oben zitierten Satz in Artikel 1 der Verfassung soll deshalb der folgende Passus ergänzt werden:

„Niedersachsen trägt zur Verwirklichung und Entwicklung eines geeinten Europas bei, das demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen sowie dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist, die Eigenständigkeit der Regionen wahrt und deren Mitwirkung an europäischen Entscheidungen sichert. Das Land arbeitet mit anderen europäischen Regionen zusammen und unterstützt die grenzüberschreitende Kooperation.“

Sehr geehrte Damen und Herren,

damit würde unsere Landesverfassung endlich den Schritt nachvollziehen, den das Grundgesetz bereits 1992 gemacht hat, als in Artikel 23 die Länder in das europäische Mehrebenensystem eingeordnet wurden, indem ihre Mitwirkung in europäischen Angelegenheiten postuliert wurde.

Die niedersächsische Verfassung berücksichtigt bislang weder die Stellung unseres Landes als solchem in der europäischen Integration, noch seine Mitwirkung über den Bundesrat in Angelegenheiten der EU, noch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit oder die niedersächsische Rolle im Ausschuss der Regionen der Europäischen Union.

Niedersachsen steht damit hinter dem Großteil der Bundesländer zurück, die ein Bekenntnis zur europäischen Integration in ihre Landesverfassungen aufgenommen haben. Dabei profitiert Niedersachsen als Ost-West-Transitland und als Nachbar der Niederlande nicht nur vom europäischen Binnenmarkt und den europäischen Grundfreiheiten, sondern auch von den Chancen, die die offenen Grenzen und der wechselseitige Austausch jedem Einzelnen für seine persönliche Entwicklung bieten.

Unsere Ergänzung spiegelt die unterschiedlichen Dimensionen des geeinten Europa wider, die einerseits aus supranationalen und multilateralen Institutionen bestehen und andererseits aus bilateraler Kooperation auf staatlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene.

Dabei geht es gar nicht nur um die EU, sondern auch um weitere europäische Institutionen wie etwa den Europarat.
Wir sprechen deshalb vom „geeinten Europa“ statt nur von der EU.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir wollen, dass Niedersachsen eine aktive Rolle in Europa einnimmt und aktiv an der Verwirklichung und Entwicklung Europas mitwirkt.

Dabei meinen wir nicht nur eine ideelle Unterstützung, sondern einen tatsächlichen Beitrag zum Funktionieren Europas.

Dieser besteht in der Umsetzung europäischen Rechts sowie in der politischen Mitwirkung an Entscheidungen der Europäischen Union und anderer europäischer Institutionen. Hinzu kommt der Beitrag zur laufenden Anpassung der europäischen Integration an die jeweils aktuellen Bedürfnisse.

So halten wir Europa zukunftsfähig.

Für diese Zukunft gilt es auch, die grundlegenden europäischen Strukturprinzipien zu sichern: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, das Sozialstaatsprinzip, den Föderalismus, das Subsidiaritätsprinzip sowie die Eigenständigkeit der Regionen und deren Mitwirkung an europäischen Entscheidungen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

schließlich soll noch die bilaterale Seite der europäischen Integration betont werden (ich zitiere):

Das Land arbeitet mit anderen europäischen Regionen zusammen und unterstützt die grenzüberschreitende Kooperation.

Mit diesem Satz betonen wir insbesondere die Nachbarschaft zu den Niederlanden und die seit langem erfolgreiche Zusammenarbeit mit ihnen. Aber auch andere Staaten können davon erfasst sein, selbst wenn sie nicht zur EU gehören, beispielsweise Großbritannien.

Hier ist auch der Hinweis angebracht, dass es dabei nicht nur um die staatliche Seite geht, sondern auch um die kommunale Ebene, Stichwort EUREGIO. Und auch die zivilgesellschaftliche Kooperation ist gemeint, die der Staat unterstützen kann und ohne verfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht verhindern darf.

Wir würden uns freuen, wenn unsere Initiative in den Beratungen die Zustimmung ihrer Fraktionen fände und so ein Zeichen für die Stärkung Europas - und eine aktive Rolle Niedersachsens darin - gesetzt würde.

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