Antrag: Zum Schutz der Gesundheit des Menschen: Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

In der industriellen Tiermast in Niedersachsen werden vermehrt Antibiotika eingesetzt. Obwohl Antibiotika als Leistungsförderer seit 2006 EU-weit verboten sind, verabreichen nach einer Studie des Landwirtschaftsministeriums alle Kälbermastbetriebe, 92 Prozent der Putenmastbetriebe, 77 Pro-zehnt der Schweinemastbetriebe und 83 Prozent der Hähnchenmastbetriebe Antibiotika. Bei Hühnern werden in einer Mastperiode von 30 bis 35 Tagen bei fast einem Viertel der Betriebe sogar bis zu acht verschiedene Antibiotika eingesetzt. Dabei gibt es bei der besonders umstrittenen Hühnermast nach der Untersuchung zwischen Oktober und Dezember 2010 eine signifikante Korrelation zwischen Tierdichte und Anwendungshäufigkeit, dass heißt je enger die Tiere stehen desto mehr Antibiotika werden im Schnitt eingesetzt.

Das deckt sich mit einer ähnlichen Untersuchung in Nordrhein-Westfalen, die feststellte, dass bei kleineren Betrieben (unter 20.000 Tiere) und langsamerem Fleischwachstum (mehr als 45 Tage Mast) der Einsatz von Antibiotika unterdurchschnittlich war und insgesamt 17 Prozent der Mastdurchgänge sogar antibiotikafrei waren.

Die massenhafte und falsche Verabreichung antimikrobiell wirksamer Mittel birgt erhebliche Risiken für Menschen und Tiere: Es entstehen Antibiotika-Resistenzen, die unter anderem die Verbreitung des Methicillin resistenten Staphylococcus aureus, des MRSA-Keims zur Folge haben. Dadurch kann es in einer zunehmenden Zahl von Fällen zu lebensgefährlichen Infektionen kommen, die nicht mehr mit Antibiotika behandelt werden können.

Insbesondere im Geflügelbereich verdienen Bestandstierärzte häufig einen Großteil ihres Einkommens durch die Abgabe von Arzneimitteln. Daten aus Dänemark zeigen, dass Tierärzte erheblich weniger Antibiotika verschreiben, wenn sie nicht an deren Verkauf verdienen. Laut Angaben der dänischen Regierung hat die Entkopplung von Verschreibung und Verkauf vor 15 Jahren dazu geführt, dass schon ein Jahr danach der Antibiotika-Verbrauch um 40 Prozent gesunken war.

Nach Angaben der EU-Kommission sind jährlich 25.000 Todesfälle in der EU auf arzneimittelresistente Bakterien zurückzuführen. Die Kosten für das Gesundheitssystem sowie Unternehmen betragen rund 1,5 Mrd. Euro. EU-Kommissar Dalli fordert: "Wir müssen rasch und entschlossen handeln, wenn wir nicht die Möglichkeit verlieren wollen, bakterielle Infektionen bei Mensch und Tier mit Antibiotika zu behandeln", und übte deutliche Kritik am Antibiotika-Missbrauch in der Massentierhaltung. (Pressemitteilung der EU-Kommission  vom 17.11.2011).

Als Hochburg der Massentierhaltung und des bundesweiten Antibiotikaeinsatzes hat Niedersachsen daher eine besondere Verantwortung für die Reduzierung von Keimen und Antibiotika zum Schutz der Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger.

Die Landesregierung wird aufgefordert,

1.      feste Reduzierungsziele auf Bundes- und Landesebene beim Einsatz von anti-mikrobiellen Substanzen in der Tiermast einschließlich der Geflügelwirtschaft einzuführen; Ziel ist es als ersten Schritt die Menge in fünf Jahren um mindestens 50 % zu reduzieren.

2.      schärfere Kontrollen der Antibiotika-Anwendung in der niedersächsischen Tiermast durch das LAVES sowie vermehrte Plausibilitätsprüfungen von Tierbestand, Dauer der Verabreichung, verordneter sowie verabreichter Menge antimikrobieller Substanzen durch die zuständigen Behörden zu veranlassen;

3.      den Aufbau eines Registers für den Tierarzneimitteleinsatz in Angriff zu nehmen und Betriebe, die über dem Durchschnitt liegen nach dem holländischen Modell verstärkt zu kontrollieren und zu beraten

4.      die Einrichtung von Sonderdezernaten für Lebensmittelkriminalität bei den Staatsanwaltschaften zu prüfen und gegebenenfalls zu forcieren;

5.      nach dem dänischen Modell den Verkauf von Arzneimitteln und dessen Verschreibung wie in der Humanmedizin strikt zu trennen

6.      Anreize für LandwirtInnen zu schaffen, die Bestandsgrößen und Besatzdichten bei der Hähnchenmast zu verringern sowie die Mastdauer zu verlängern;

7.      den Tierschutz in den Ställen zu verbessern und die Zucht auf weniger krankheitsanfällige Tiere zu fördern

8.      Transparenz und Rückverfolgbarkeit beim Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung sicherzustellen, indem auf Bundesebene das Arzneimittelgesetz (AMG) und die DIMDI-Arzneimittelverordnung dahingehend geändert werden, dass alle Daten der Arzneimittelanwendungen in der Tierhaltung bis hinunter zum einzelnen Bestandstierarzt zentral erfasst werden und den zuständigen Kontrollbehörden zur Verfügung gestellt werden;

9.      rechtlich-verbindliche  Leitlinien, mit denen der Stand der veterinärmedizinischen Wissenschaft beschrieben wird, in der tierärztlichen Hausapothekenverordnung zu verankern;

10.    durch eine Abgabe auf Antibiotika im Veterinärbereich den unbedarften Einsatz zu reduzieren. Mit den Einnahmen sollen Anreize für eine antibiotikafreie Mast geschaffen werden, etwa für Landwirte die zur artgerechten Haltung umsteigen wollen;

11.    eine Lebensmittelkennzeichnung "Mit/Ohne Antibiotika-Behandlung" als Wettbewerbsvorteil und Qualitätsmerkmal auf alle gehaltenen Tiere, die mit/ohne Antibiotika-Einsatz gemästet wurden, durchzusetzen;

12.    Untersuchungen zu veranlassen, in welchem Umfang von Geflügelmastanlagen multiresistente Keime in die Umgebung emittiert werden;

13.    Keim- und Geruchsfilter für alle Massentierhaltungsanlagen vorzuschreiben;

14.    dem Landtag einen jährlichen Bericht über die Entwicklung des Einsatzes von Antibiotika in der Tiermast und die Keimbelastung in Krankenhäusern vorzulegen.

Zum Schutz der menschlichen Gesundheit ist auch in der Humanmedizin eine Überprüfung und Reduzierung des Antibiotika-Einsatzes anzustreben. Dazu soll die Landesregierung eine Hygieneverordnung vorlegen, die strenge Anforderungen an die Ausstattung mit  Hygienebeauftragten in den Krankenhäusern stellt und für größere Einrichtungen auch hauptamtliche Hygienebeauftragte vorschreibt.

Außerdem sollen nach dem holländischen Modell Risikogruppen wie Personen mit Kontakt zur Tierhaltung bei der Aufnahme in eine stationäre Einrichtung des Gesundheitswesen konsequent erfasst, gezielt auf multiresistente Erreger getestet und behandelt werden sowie im Falle eines positiven Befundes so lange wie nötig isoliert werden.

Begründung

Die Antibiotika-Studie des Agrarministeriums nennt erschreckende Zahlen. Danach erfolgt der Verbrauch von Antibiotika in  der Massentierhaltung flächendeckend und gehäuft. Die Folge ist ein vermehrtes Auftreten antibiotikaresistenter hochaggressiver Keime, denen in Deutschland immer mehr Menschen zum Opfer fallen.

Die Angaben zu den Folgen für die menschliche Gesundheit schwanken: Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene beziffert die Zahl der Toten in Folge einer Infektion mit sogenannten Krankenhauskeimen auf 30.000 im Jahr. Die Bundesregierung geht von jährlich 7.500 bis 15.000 Toten durch Krankenhauskeime aus. Laut einer Untersuchung des Landesgesundheitsamtes in 34 niedersächsischen Krankenhäusern stammten im Mai 22 Prozent der gefährlichen Keime aus der Massentierhaltung. Bundesweit sind nach Angaben des Robert-Koch-Instituts lediglich 10 Prozent der Keime der Landwirtschaft zuzurechnen.

Der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast, der nicht auf die Bekämpfung ausgebrochener bakterieller Infektionen in Tierbeständen abzielt, sowie die Unmöglichkeit der Einzeltierbehandlung in der Massentierhaltung, ist zwar nur eine Ursache des Entstehens multiresistenter Keime, macht aber nach Angaben der Ministerin für Soziales 22% in Niedersachsen aus (Bundesdurchschnitt: 10%). Tendenz steigend.

In den Niederlanden werden hingegen sowohl die Ursachen in der Tiermast als auch die Risikovorsorge in Krankenhäusern deutlich verbessert, so dass dort deutlich weniger Todesfälle auf hochaggressive Keime zurückgeführt werden. Nach Angaben des niederländischen Agrarministeriums ist für 2011 eine Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung um 32 Prozent gegenüber 2009 zu erwarten. Bis 2013 sollen insgesamt 50 Prozent weniger Antibiotika eingesetzt werden als 2009. In vier Jahren hätten die Niederlande, dann den Antbiotikaeinsatz halbiert.  Gleichzeitig werden nach dem Prinzip "Search and destroy" gezielt Risikogruppen wie Tiermäster einem MRSA-Screening und Behandlung unterzogen.

Dass es auch ohne Antibiotika geht – 17% der untersuchten niedersächsischen Betriebe hatten keine Anwendung solcher Medikamente in ihrer Tiermast – gibt es gute Argumente für eine zügige Erarbeitung und Umsetzung eines Reduktionsziels des Antibiotika-Einsatzes.

Diese Tatsachen zeigen, dass es sehr wohl möglich ist, Masthühner auch ohne den Einsatz von Antibiotika zu halten. Über ein Landesreduktionsziel hinaus ist es aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit erforderlich, einen nationalen Antibiotika-Reduktionsplan zu haben. Die niedersächsische Forderung danach hätte Signalwirkung für viele Bundesländer, da Niedersachsen das viehreichste Bundesland ist.

Nur wenn das Arzneimittelgesetz und die entsprechende DIMDI-Arzneimittel-VO geändert sind, können Daten über Abgabe von Antibiotika und anderen Stoffen mit pharmakologischer Wirkung durch die Arzneimittelhersteller und Großhändler an die einzelnen Tierarztpraxen transparent gemacht werden. Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit der Bundesländer auf diesem Gebiet ist, dass den Ländern diese Daten zur Verfügung stehen.

Die Rechtsklarheit bezüglich der Verabreichung von Antibiotika muss hergestellt werden. Daher  muss die Bundesregierung aufgefordert werden,  in der tierärztlichen Hausapothekenverordnung die Leitlinien  zur  Verabreichung von Antibiotika, die den Stand der veterinärmedizinischen Wissenschaft wiedergeben, rechtlich zu verankern und dadurch die rechtlich eindeutige Verbindlichkeit herstellen. Damit wäre der  Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung in einer Rechtsverordnung auf Bundesebene geregelt.

Risikoorientierte Überwachung und schärfere Kontrollen sind Maßnahmen, die  das Land Niedersachsen selbst ergreifen muss. Das zuständige Landwirtschaftsministerium muss die Antibiotikaanwendung im Rahmen der Ausstellung der Gesundheitsbescheinigung regelmäßig von den Amtstierärzten in den Kreisen und kreisfreien Städten überprüfen lassen, bei Verstößen sowie de-ren strafrechtlicher Relevanz müssen Bußgeldverfahren eingeleitet bzw. die Vorgänge der Staats-anwaltschaft übergeben werden. Ein besonderer Augenmerk muss auf der Einhaltung der vorge-schriebenen Anwendungszeiträume bei Antibiotika liegen, da eine missbräuchlichen Anwendung als Leistungsförderer verboten ist. Die niedersächsische Erhebung weist für die Hühnermast aus, dass 37% der Behandlungen ein und zwei Tage dauern, d.h. eine missbräuchliche Anwendung wahrscheinlich ist, da es kein Antibiotikum mit einer Therapiedauer unter drei Tagen gibt.

Plausibilitätskontrollen erleichtern im Rahmen einer risikoorientierten Überwachung das Auffinden von Problemfällen.

Ein Tier-Arzneimittelregister hat die Aufgabe, Transparenz in Niedersachsen zu schaffen und sowohl risikoorientierte Überwachung als auch schärfere Kontrollen  zu ermöglichen.

Neben den arzneimittelrechtlichen Maßnahmen muss auch die Begleitung dieser Maßnahmen durch angemessene, tiergerechte Bedingungen in den Ställen und des Umgangs mit den Tieren (keine Eingriffe am Tier) Berücksichtigung finden, ist doch  ein Antibiotikaeinsatz häufig auf die Beeinträchtigungen zurückzuführen, die das Tier durch die Anpassung an miserable Haltungsbedingungen erfährt.

Der auffällig hohe Antibiotikaeinsatz in der industriellen Geflügelmast muss zu einer Veränderung der Vorgaben für die Tieranzahl pro Quadratmeter und die gängigen Produktionszyklen (Mastdauer von 28 bis 35 Tage) in der Mast von Hühnern führen. Die viel zu schnelle Gewichtszunahme der üblichen Zuchtlinien ist unter Tierschutz- und Gesundheitsaspekten mehr als problematisch.

Die zügige Umsetzung des niedersächsischen Tierschutzplans, besonders in seinen Punkten Abschaffung des Schnabelkürzens des Kupierens der Schwänze sowie des betäubungslosen Entfernens der Hoden (Eingriffe am Tier) spielt in diesem Zusammenhang eine erhebliche Rolle.

Eine Lebensmittelkennzeichnung "mit/ohne Antibiotikabehandlung gemästet" wäre ein Signal an die Verbraucherinnen und Verbraucher und stünde damit  in enger Verbindung mit der Absetzbarkeit des Produkts. Gleichzeitig stellte sie einen Anreiz für den Erzeuger dar, Bedingungen zu schaffen die den Antibiotikaeinsatz im Tierbestand minimieren würde. Dabei könnte sich breiter die Erkenntnis durchsetzen, dass das "Tierwohl" in einem Bestand nur beachtet werden kann, wenn die Stallverhältnisse ( Licht, Luft, Raumanspruch ) den Bedürfnissen der Tiere entsprechen und die ausreichende und kompetente Betreuung der gehaltenen Tieren sichergestellt ist.

Die Landesregierung ist aufgefordert, dies von dafür ausgewiesenen Institutionen überprüfen zu lassen.

Zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt soll die Niedersächsische Landesregierung Untersuchungen veranlassen, die Antwort darauf geben,  in welchem Umfang von Mastgeflügelanlagen multiresistente Keime in die Umgebung emittiert werden. Es steht fest, dass Geflügelmastanlagen Bioaerosole (d.h. Bakterien, Viren, Pilze etc.) emittieren, aber dieser Sachverhalt fängt jetzt erst an, in Baugenehmigungsverfahren von Tierhaltungsanlagen eine größere Rolle zu spielen.  Eine Filterpflicht ist daher erforderlich.

Fraktionsvorsitzender

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