Antrag: „Zukunftsprogramm Diversifizierung“ Wege aus der Krise in der Schweinehaltung: Höfe erhalten – Neue Betriebszweige erschließen

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90 Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Seit Jahrzehnten ist Niedersachsen durch intensive Tierhaltung geprägt. Insbesondere im Westen Niedersachsens ist kontinuierlich eine regionale Konzentration der Intensivtierhaltung entstanden, die für die Branche und die gesamte Region die wirtschaftliche Grundlage für Wertschöpfung war, Synergieeffekte nutzte und im vor- und nachgelagerten Bereich Unternehmen und Arbeitsplätze entstehen ließen. Gerade für die meist flächenarmen Betriebe war und ist Tierhaltung somit ein wichtiges betriebliches Standbein.

Gleichzeitig kam die starke räumliche Konzentration schon seit längerem an ihre Grenzen und führt im Umweltbereich auch zu Problemen, was Emissionen oder die Verbringung der Gülle angeht. Dem Ausbruch der Corona-Pandemie und dem daraus folgenden Schlachtstau, dem Auftreten der Afrikanischen Schweinepest in Deutschland und Niedersachsen und den damit verbundenen Exporteinschränkungen sowie den im Zuge des Ukrainekrieges steigenden Futter- und Energiekosten kamen geballt Herausforderungen auf die Branche zu, die in dieser Massivität von niemanden zu erwarten gewesen sind. Hinzu kommen zusätzlich die sich ohnehin verändernden gesellschaftlichen Ansprüche an die Haltung von Tieren und die wachsende Bedeutung einer pflanzenbasierteren Ernährungsweise für viele Menschen in Niedersachsen.

Diese Entwicklung hat aktuell zu einer deutlichen Reduzierung der Schweinebestände in Niedersachsen geführt und es ist zu erwarten, dass dieser Trend weiter anhält. Dabei erlebt das Land zurzeit einen ungeordneten Strukturbruch, bei dem viele Höfe nicht nur die Haltung der Tiere aufgeben, sondern auch den ganzen Betrieb einstellen. Dies ist nicht nur ein Verlust für die niedersächsische Landwirtschaft, sondern oftmals auch mit menschlichen Tragödien verbunden, wie die damalige Landwirtschaftsministerin Otte-Kinast am 08. Oktober 2020 eindrücklich im Plenum des Landtages schilderte.

Der Landtag hält es für notwendig, dass der beschriebene, erfolgende Abbau der Produktionskapazitäten im Schweinebereich politisch begleitet werden muss, um ein weiteres, Höfesterben zu verhindern. Betriebe und Wertschöpfung im ländlichen Raum sollen weitestmöglich erhalten bleiben und der Einstieg in andere landwirtschaftliche, oder der Landwirtschaft vor- bzw. nachgelagerte, Bereiche erleichtert werden.

Bei der Begleitung dieses Wandels sollte sich am Selbstversorgungsgrad in Bezug auf die Verzehrgewohnheiten der Bevölkerung sowie an den Selbstversorgungsgrenzen auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette der Schweinehaltung orientiert werden.

Der Landtag fordert die Landesregierung daher auf ein „Zukunftsprogramm Diversifizierung“ zu erarbeiten und umzusetzen, um veränderungsbereiten schweinehaltenden Betrieben (Teil-)Umstiegsmöglichkeiten auf anderen Betriebszweige zu ermöglichen. Hierzu wird die Landesregierung darüber hinaus ebenfalls aufgefordert zu prüfen, ob zusätzliche Mittel des Bundes und der Europäischen Union zur Umsetzung des avisierten Programms nötig sind. Bei der Erarbeitung einer Förderrichtlinie sind insbesondere folgende Punkte zu berücksichtigen:

  1. Gefördert werden sollen Investitionen in räumlicher Nähe des bisherigen Standortes, um Betriebsverlagerungen in andere (Bundes-)Länder zu vermeiden,
  2. regionale Gegebenheiten sowie die örtlich vorherrschende Tierdichte sind als Kriterium der Förderwürdigkeit zu berücksichtigen,
  3. Investitionen zum Einstieg oder Ausbau in die Haltung anderer Tierarten, bspw. Puten, dürfen nicht zu einer gesamtbetrieblichen Erhöhung des Viehbesatzes (GV/ha) führen. Grundsätzlich ist Tierhaltung nur bis zur Grenze von 2 GV/ha als förderfähig einzuschätzen,
  4. eine Förderung von Vorhaben sollte bis zu 80% der Investitionssumme möglich sein, wobei mindestens die Hälfte der vom Land bereitgestellten Summe als nicht rückzahlbarer Zuschuss gezahlt werden sollte,
  5. in Abhängigkeit des Haushaltsansatzes ist pro Betrieb eine Deckelung auf ein maximal förderfähiges Investitionsvolumen vorzunehmen, um möglichst vielen Betrieben eine Teilnahme am Diversifizierungsprogramm zu ermöglichen.

Begründung

Die Nachfrage nach Fleisch geht in Deutschland seit Jahren kontinuierlich zurück, wobei der Rückgang beim für Niedersachsen besonders wichtigen Schweinefleisch überproportional groß ist. So ist der Pro-Kopf-Verbrauch in diesem Segment in den letzten zehn Jahren um rund 26 % gesunken (von 38,7 kg auf 28,6 kg, Quelle AMI 2022). Da der Schweinebestand im gleichen Zeitraum deutschlandweit „nur“ um rund 20 % zurückgegangen ist (Quelle AMI 2022), lässt sich feststellen, dass sich der Selbstversorgung weiter erhöht hat (von 2019 zu 2020 von 122% auf 125%). Bei gleichzeitigen Exportbeschränkungen und steigenden Betriebskosten führt dies zu einer wachsenden Unrentabilität bestimmter Haltungsformen. Da das Kapital der Betriebe jedoch durch langfristige Investitionen gebunden ist, verfügen sie selten über die nötigen freien Mittel, um Alternativen aufzubauen und den teilweise ruinösen Kreislauf zu verlassen.

Unabhängig von den aktuellen, die Situation erheblich verschärfenden, Krisen, besteht die dringende Notwendigkeit eines sektoralen Transformationsprozesses. Aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung, ist der Staat gefordert, diesen Prozess zu begleiten; politisch, wie finanziell.

Der Bund plant seit langem die nationale Förderung des tiergerechten Stallumbaus, insbesondere in der Schweinehaltung. Zu diesem Zweck sind kurzfristig 150 Millionen Euro für das Jahr 2023 im Bundeshaushalt vorgesehen und mittelfristig ein Milliardenbetrag geplant. Bereits in den Jahren 2020/21 waren mit dem Bundesprogramm Stallumbau Haushaltsmittel in Höhe von insgesamt 300 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden, welche insbesondere den tiergerechten Umbau bestehender Kastenstände in der Sauenhaltung zum Ziel hatte. Die Zielsetzung der Bundesförderung lag und liegt damit jeweils auf der Verbesserung der Haltungsbedingen, was inhaltlich grundsätzlich zu begrüßen ist. Gleichwohl sind und waren diese Förderinstrumente immer an eine Weiterführung der Tierhaltung geknüpft; im Falle des Bundesprogramms Stallumbau betrug die Zweckbindungsfrist beispielsweise zwölf Jahre. Die Förderung von ergänzenden betrieblichen Standbeinen, wie Investitionen in Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, waren ausgeschlossen.

Diese Lücke soll das niedersächsische „Zukunftsprogramm Diversifizierung“ schließen. Es soll Betrieben, die nicht ihre ganzen Bestände tierwohlgerecht umbauen wollen oder können, gleichzeitig aber einen landwirtschaftlichen Betrieb erhalten möchten, die Möglichkeit bieten, ergänzende bzw. alternative Einkommensquellen zu erschließen und dafür Strukturen aufzubauen.

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