Antrag: Unsere Gewässer vor multiresistenten Keimen schützen!

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Viele Gewässer in Niedersachsen sind mit multiresistenten Keimen belastet, das zeigen Wasseruntersuchungen im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks (NDR). An allen zwölf Probestellen wurden multiresistente Keime nachgewiesen. Besonders kritisch sind fünf Funde von Keimen, die gegen Colistin resistent sind. Obwohl die Weltgesundheitsorganisation Colistin als eines der wichtigsten Reserveantibiotika für den Menschen eingestuft, wird es insbesondere in der Geflügelmast weiterhin eingesetzt.

Der grüne Umweltminister Stefan Wenzel hat bereits im Jahr 2015 Messungen zu Antibiotika im Grundwasser veranlasst. Insbesondere in viehstarken Regionen in Niedersachsen wurden Antibiotika-Rückstände festgestellt, das dokumentiert der aktuelle niedersächsische Grundwasserbericht. Die Untersuchungen des NLWKN zeigen, dass ein Großteil der in der Tiermedizin eingesetzten Antibiotika von den behandelten Tieren wieder ausgeschieden wird. Als Gülle oder Mist werden die Rückstände auf landwirtschaftliche Flächen ausgebracht, die Wirkstoffe gelangen mit dem Sickerwasser in Grundwasser bzw. in oberirdische Gewässer.

Eine Belastung von Böden und Gewässern mit Antibiotika befördert die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen. Insbesondere für Gewässer, die für die Trinkwassergewinnung genutzt werden, müssen die Prinzipien der Vorsorge und der Vorbeugung gelten. Dennoch gibt es bislang weder für Oberflächengewässer noch für Grund- oder Trinkwasser verbindliche Richtwerte, um den Eintrag von Arzneimittel-Rückständen zu regulieren.

Der Landtag begrüßt, dass der Einsatz von Antibiotika in der Tiermedizin mit der Antibiotika-Strategie der rot-grünen Landesregierung um mehr als die Hälfte gesenkt wurde. Die vom neuen Umweltminister Lies angekündigte einmalige Beprobung von 200 Gewässerstandorten in Reaktion auf die Rechercheergebnisse des NDR kann jedoch nur ein erster Schritt sein, um die Belastung von Gewässern mit multiresistenten Keimen aufzuklären. Insbesondere die Beprobung der Badegewässer muss beschleunigt durchgeführt werden. Die Landesregierung muss Quellen, Verbreitungswege und Gefährdungspotential antibiotikaresistenter Keime in Gewässern weiter wissenschaftlich untersuchen.

Der Landtag fordert die Landesregierung daher auf:

  • Offenzulegen, welche Gewässer auf multiresistente Keime untersucht werden sollen.
  • Eine regelmäßige Untersuchung aller Badegewässer auf antibiotikaresistente Keime zu veranlassen und die Ergebnisse der Untersuchungen bis zu Beginn der Badesaison 2018 der Öffentlichkeit vorzulegen und stetig zu aktualisieren
  • Unverzüglich ein flächendeckendes Monitoring von multiresistenten Keimen in Gewässern umzusetzen und dies entsprechend nationaler Standards weiterzuentwickeln, sobald diese vorliegen.
  • Die ressortübergreifende Antibiotika-Strategie fortzuführen und weiterzuentwickeln, um den Einsatz in der Humanmedizin und der Tierhaltung sowie den Eintrag von Medikamentenrückstände in Oberflächengewässer und Grundwasser weiter zu reduzieren.
  • Die Haltungsbedingungen in der Tierhaltung zu verbessern, um den Antibiotikabedarf zu minimieren.
  • Zu prüfen, ob insbesondere Kläranlagen an Risikostandorten wie Schlachthöfen oder Krankenhäusern mit einer vierten Reinigungsstufe nachgerüstet werden müssen, um Keime und Medikamentenrückstände aus dem Abwasser zu entfernen.
  • Zu prüfen, wie die Freisetzung von Antibiotika-Rückständen aus der Abluft großer Tierhaltungsstallanlagen sowie mit der Ausbringung von Gülle minimiert werden kann.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich im Bund dafür einzusetzen:

  • Den Einsatz von Reserveantibiotika wie Colistin in der Tierhaltung zu untersagen.
  • Einheitliche Standards für die Erfassung und Bewertung von antibiotikaresistenten Keimen in Gewässern zu entwickeln.
  • Grenzwerte für Antibiotika-Rückstände in Trinkwasser und Oberflächengewässern einzuführen.
  • ein verbindliches Zertifizierungsverfahren einzuführen, um weltweit sicherzustellen, dass Oberflächengewässern und Grundwasser bei der Herstellung von Antibiotika nicht beeinträchtigt werden.

Begründung

Dank Antibiotika können zahlreiche Krankheiten behandelt werden. Bakterien entwickeln jedoch zunehmend Resistenzen gegen die Wirkung von Antibiotika. Die Folgen sind bedrohlich. Hunderttausende Menschen sterben jedes Jahr an resistenten Erregern. Die Vereinten Nationen haben auf ihrer Generalversammlung im September 2016 Resistenzen als die "größte und dringendste globale Gefahr" benannt.

Besonders besorgniserregend sind Resistenzen gegen sog. Reserveantibiotika. So wird das Reserveantibiotikum Colistin beispielsweise bei bakteriell verursachten Lungenentzündungen, Blutvergiftung, Wund- oder Harnwegsinfektionen eingesetzt, wenn andere Antibiotika nicht mehr wirken. Colistin-resistente Erreger können somit ernsthafte Erkrankungen hervorrufen, die nicht mehr behandelbar sind.

Der NLWKN hat 303 Grundwassermessstellen auf Antibiotika-Wirkstoffe untersucht. An 15 Prozent der Messstellen wurden Antibiotika-Wirkstoffe oder ihre Abbauprodukte festgestellt. In viehstarken Gebieten wiesen 20 Prozent der 159 Messstellen Funde auf. An vier Messstellen wurde sogar der vom UBA vorgeschlagene Grenzwert von 100 ng/l überschritten.

Arzneimittel-Wirkstoffe sind schwer abbaubar und mit der konventionellen Abwasserreinigung nicht zu entfernen. Das Umweltbundesamt schlägt einen Grenzwert von 100 Nanogramm pro Liter im Grundwasser für Medikamente aus Humanmedizin und Tierhaltung vor und fordert die Einführung einer vierten Klärstufe für Kläranlagen. Erfordert die Belastung der Abwässer die Nachrüstung von Kläranlagen, werden erhebliche Investitionen nötig. Das Umweltbundesamt rechnet bundesweit mit jährlichen Zusatzkosten von 1,3 Milliarden, die von den Verbraucherinnen und Verbraucher mit der Wasserrechnung bezahlt werden müssten.

Bundestag und Bundesrat haben eine neue Verordnung beschlossen („Zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung über tierärztliche Hausapotheken), die den Einsatz von für den Menschen besonders wichtigen Antibiotikaklassen in der Tierhaltung beschränkt werden soll. Diese umfasst aber nur einen Teil der Wirkstofftypen, die laut Weltgesundheitsorganisation WHO höchste Priorität für die Humanmedizin haben. Der Bund muss nun der Forderung des Bundesrats nachkommen, Reserveantibiotika zu identifizieren und diese für die Behandlung des Menschen vorzubehalten.

Die Herstellung der in Deutschland verabreichten Antibiotika findet zu großen Teilen im Ausland statt. Schätzungen zufolge werden 80 bis 90 Prozent aller Antibiotika in China und Indien hergestellt. Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung in der indischen Millionenmetropole Hyderabad haben gezeigt, dass dort Abwässer aus der Arzneimittelherstellung offensichtlich in den Fluss Mursi eingeleitet werden, Wasserproben belegen Rückstände von Antibiotika und Pilzmedikamenten. Werden bei der Herstellung von Antibiotika Umweltstandards umgangen, verursacht die unkontrollierte Abgabe von Wirkstoffen an die Umwelt die Verbreitung von Resistenzen. Initiativen von Pharma-Unternehmen, die Herstellungsketten von Arzneimitteln besser zu kontrollieren, sind zu unterstützen. 

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