Antrag: Sicherer Hafen Niedersachsen - Lokale Solidarität für in Seenot geratene Geflüchtete

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Weltweit werden Millionen Kinder, Frauen und Männer durch Kriege und bewaffnete Konflikte aus ihrer Heimat vertrieben oder müssen sie wegen Verfolgung und Ausgrenzung verlassen. Der überwiegende Anteil dieser Menschen sind Binnenvertriebene, die sich im eigenen Land auf der Flucht befinden. Viele andere finden Schutz in den Nachbarstaaten ihrer Herkunftsländer. Nur sehr wenige machen sich auf den Weg nach Europa. Viele Fluchtrouten über Land wurden in den letzten Jahren geschlossen. Die Mittelmeerroute ist deswegen für viele Flüchtende mittlerweile die einzige Option. Diese ist jedoch extrem gefährlich. Obwohl sich im vergangenen Jahr insgesamt weniger Menschen zur Flucht über das Mittelmeer entschlossen haben, ist die Zahl der dabei ums Leben gekommenen weiter angestiegen. Laut dem aktuellen UNHCR Bericht ertranken im Jahr 2018 mindestens 2.275 Menschen. Das sind durchschnittlich sechs Menschen am Tag. Das Mittelmeer ist eine der tödlichsten Fluchtrouten der Welt.

Die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten haben die staatliche Seenotrettungsmission „Mare Nostrum“ auslaufen lassen. Sie werden, unter anderem weil sich die EU-Mitgliedstaaten nicht auf einen Verteilschlüssel für die Aufnahme von Geflüchteten einigen können, ebenfalls keine Schiffe mehr im Rahmen der EU-Mission „EUNAVOR MED Sophia“ entsenden. Damit organisiert die Europäische Union keine eigene Seenotrettung mehr. Konflikte europäischer Mitgliedsstaaten werden so auf dem Rücken von in Seenot geratenen Menschen ausgetragen. Dabei ist die Rettung von Menschen in Seenot nach internationalem Recht eine Pflicht.

Niedersachsen hat eine Tradition humanitärer Verantwortung, denn bereits vor 40 Jahren nahm Niedersachsen unter Ministerpräsident Albrecht die vietnamesischen "Boat People" von der Cap Anamur auf. Der Landtag möchte diese Tradition pflegen und dazu konkrete Maßnahmen ergreifen.

Der Landtag Niedersachsen unterstützt deshalb die Initiative „Seebrücke“.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

  • Alle bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, um Kreise und kreisfreie Städte, die zur Aufnahme von Geflüchteten über das Maß des landesseitigen Verteilungsschlüssels hinaus bereit sind, in ihrem Anliegen zu unterstützen.
  • Niedersachsen zum „Sicheren Hafen“ im Sinne der Initiative Seebrücke zu erklären.
  • Ein Landesaufnahmeprogramm für aus Seenot gerettete Menschen auf den Weg zu bringen.
  • Parallel eine Bundesratsinitiative zur Änderung von § 23 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) einzubringen. Länder sollen, ohne Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern herstellen zu müssen, Menschen in Not zusätzlich zu dem ihnen zugewiesenen Anteil von bereits in Deutschland angekommenen Geflüchteten, aufnehmen können. Für eine humanitäre Aufnahme soll künftig die Benehmensherstellung mit dem Bundesministerium des Innern genügen.
  • Sich auf Ebene des Bundes unter anderem im Rahmen von Innenministerkonferenzen sowie auf Ebene der Europäischen Union für die Beseitigung von Fluchtursachen, legale Fluchtwege sowie für eine zeitnahe Lösung zur Rettung, Aufnahme und Verteilung in Seenot geratener Geflüchteter einzusetzen. Ein Aspekt muss sein, dass Schiffen mit in Not geratenen Menschen zukünftig nicht mehr die Einfahrt in sichere Häfen verwehrt wird. Ein weiterer Baustein sind staatliche Aufnahmeprogramme.
  • Sich auf Ebene des Bundes und der EU für die Wiederaufnahme staatlicher Seenotrettungsprogramme einzusetzen. 

Begründung

Weltweit sind Millionen Menschen vor Krieg, Terror, politischer Verfolgung sowie den Folgen der Klimakrise und Armut auf der Flucht. Die beste Möglichkeit, um die Menschen vor der oft gefährlichen Flucht aus ihrer Heimat und allen damit auf die Lebensführung der Betroffenen assoziierten negativen Folgen zu schützen, ist eine Bekämpfung von Fluchtursachen. Diese erfolgt bisher aufgrund fehlender internationaler Solidarität nicht. In der Folge sucht ein Großteil der Flüchtenden Schutz in den zumeist ebenfalls instabilen Nachbarregionen ihrer Herkunftsländer. So ist beispielsweise die Situation in libyschen Lagern verheerend. Folter und sexualisierte Gewalt sind dort an der Tagesordnung. Es verwundert nicht, dass angesichts solcher Bedingungen die Verzweiflung der Geflüchteten dazu führt, sich zur Flucht über die lebensgefährliche Seeroute zu entscheiden.

Die Tatenlosigkeit der EU-Mitgliedsstaaten bei der Rettung in Seenot geratener Flüchtlinge ist inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen. Die Regierungen, auch die Bundesregierung, tragen die politische Verantwortung für die humanitäre Katastrophe im Mittelmeer. Die Landesregierung darf nicht wegsehen, wenn durch staatliches Versagen Leben und Sicherheit so vieler Menschen gefährdet wird. Im Kontrast dazu stehen zivilgesellschaftliche Initiativen zur Seenotrettung sowie die zahlreichen Menschen, die sich ehrenamtlich um die soziale Integration der Geflüchteten vor Ort, in den Kommunen, bemühen. Sie retten Menschenleben, wo Staaten es unterlassen.

Dieses Engagement spiegelt sich unter anderem auch in der kommunalen Teilnahme an der internationalen Bewegung „Seebrücke“ wider. Deutschlandweit setzen so bereits 86 Städte und Gemeinden ein Zeichen für die Entkriminalisierung der Seenotrettung, in Niedersachsen sind bereits 16 Kommunen beteiligt, und ihre Anzahl wächst. Ein wichtiger Aspekt der Teilnahme an der Initiative „Seebrücke“ ist die Erklärung der Kommunen, gerettete Geflüchtete vor Ort aufzunehmen. Zivilgesellschaftliches Engagement ernst zu nehmen bedeutet, diese kommunale Bereitschaft landesseitig effektiv zu unterstützen.

Die Landesregierung kann Verantwortung übernehmen, indem sie ein Landesaufnahmeprogramm gemäß § 23 Aufenthaltsgesetz einrichtet. Zeitgleich soll sie über den Bundesrat oder über die Innenministerkonferenz auf eine grundsätzliche Änderung von § 23 Aufenthaltsgesetz hinwirken. Bisher sind Entscheidungen über Landesaufnahmeprogramme oberster Landesbehörden vom Einvernehmen des Bundesministeriums des Innern abhängig. Eine Änderung, die dazu führt, dass die obersten Landesbehörden selbst Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen können, korrespondiert direkt mit besseren Fördermöglichkeiten kommunaler Hilfsbereitschaft. Konkret kann durch eine Überführung der bestehenden Einvernehmensregelung in eine Regelung der Benehmensherstellung die Einrichtung humanitärer Aufnahmeprogramme flexibilisiert, erleichtert und beschleunigt werden.

Durch diese Maßnahmen können das Land Niedersachsen und seine Kommunen einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass Mittelmeeranrainerstaaten wie Italien oder Malta ihre Häfen für Seenotrettende wieder öffnen. Diese Länder knüpfen die Öffnung ihrer Häfen derzeit an die Zusage, dass die Aufnahme durch andere europäische Staaten gesichert ist. Wochenlange unmenschliche Wartepartien von Rettungsschiffen vor Europas Küsten würden damit verhindert, die humanitäre Katastrophe gelindert. Anlässlich einer Umfrage des NDR unter niedersächsischen Landespolitiker*innen im Juli 2018 erklärte eine parteiübergreifende breite Mehrheit, dass sie die private Seenotrettung von Geflüchteten im Mittelmeer unterstützt. Mit dieser Entschließung bekräftigt der Landtag diese Haltung und veranlasst konsequent die erforderlichen Maßnahmen zur Aufnahme der Geretteten.

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