Antrag: Schule muss der Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten gerecht werden - Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen fördern – Diskriminierung vorbeugen

Fraktion der SPD

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Hannover, den 18.03.2014

 

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Die Schule hat den Auftrag, alle Kinder und Jugendlichen in ihrer Individualität anzunehmen und bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu unterstützen. Das gilt auch hinsichtlich der Vielfalt sexueller  und geschlechtlicher Identitäten und gleichgeschlechtlicher Lebensweisen.

Homo-, Bi-, Trans- und Intersexualität müssen an der Schule verbindlich thematisiert werden, um alle Kinder und Jugendlichen bei der Entwicklung ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität zu unterstützen, gegenseitiges Verständnis zu fördern und Diskriminierung durch Ausgrenzung und Mobbing vorzubeugen.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung:

  1. In die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte werden qualifizierte Angebote aufgenommen, durch die die Lehrkräfte für die Diversität der sexuellen und geschlechtlichen Identitäten sensibilisiert und für den Umgang mit der Vielfalt qualifiziert werden.
  2. Die angemessene  Berücksichtigung der Vielfalt sexueller Identitäten wird auch zum Kriterium für die Genehmigung von Schulbüchern. Die Schulbuchverlage sind gefordert, in den Schulbüchern und Materialien für den Sexualkundeunterricht, sowie alle anderen Fächer die Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten  zu berücksichtigen, angemessen zu behandeln und abzubilden.
  3. Die Kerncurricula aller Klassenstufen sind dahingehend zu überprüfen und gegebenenfalls zu ergänzen, dass die Thematisierung der Existenz und Lebenswirklichkeit von Menschen verschiedener sexueller Identitäten hinreichend Berücksichtigung und angemessene Behandlung finden.
  4. Die Schulen werden dabei unterstützt, mit Initiativen wie SchLAu Niedersachsen Schulaufklärungsprojekte durchzuführen, die eine Begegnung mit Menschen unterschiedlicher sexueller und geschlechtlicher Identität ermöglichen.
    Die Netzwerkarbeit von SchLAu Niedersachsen wird vom Land unterstützt.
  5. Die Schulen werden aufgefordert, sich im Rahmen ihrer  Schulprogramme auch mit der Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten auseinanderzusetzen.
  6. Die Schulen werden aufgefordert, im Rahmen von Anti-Mobbing-Konzepten auch Konzepte gegen Abwertung und Ausgrenzung gleichgeschlechtlich orientierter, transidentischer oder intersexueller Menschen zu entwickeln.
    Die Schulen werden dabei unterstützt, sich nach dem Vorbild nordrhein-westfälischer Schulen zu Projektschulen „Schule der Vielfalt – Schule ohne Homophobie“ zu entwickeln.

Begründung

Nach wissenschaftlichen Schätzungen sind fünf bis zehn Prozent aller Menschen lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell oder intersexuell. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sich in den meisten Schulklassen ein oder mehrere Kinder befinden, die homo-, bi-, inter- oder transsexuell sind oder in ihrem Leben eine homo-, bi-, inter- oder transsexuelle Identität ausbilden werden (zur Begriffsdefinition vgl. z.B. die Internetseite www.schule-der-vielfalt.de). In der Schule werden jedoch noch immer Homo-, Bi-, Inter- und Transsexualität mit ihren besonderen Fragestellungen zu wenig thematisiert.

Die unzureichende Thematisierung von Homo-, Bi-, Trans- und Inter- und Asexualität in Schulbüchern und im Schulunterricht führt dazu, dass homo-, bi-, inter- und trans- und asexuelle Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu wenig unterstützt werden und sich selbst als abweichend von der Norm erleben. Das macht es ihnen schwer, ein positives Selbstbild zu entwickeln.

Zugleich bleiben heterosexuellen Kinder und Jugendliche andere sexuelle und geschlechtliche Identitäten fremd, was zu Unsicherheit und Ablehnung beiträgt. Eine Studie des Münchener Meinungsforschungsinstitutes IconKids & youth von 2002 ergab, dass 50 % der Mädchen und 70% der Jungen in Deutschland Lesben und Schwule nicht oder überhaupt nicht gut finden. Dieser Anteil hat gegenüber 1998 sogar deutlich zugenommen.

Dies trägt zu einem ausgeprägt homophoben Klima in den Schulen bei. In der Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes „Diskriminierung im vorschulischen und schulischen Bereich“ von 2013 wird beschrieben, dass schon in Kindertagesstätten Kinder aus Regenbogenfamilien Diskriminierungserfahrungen machen. An Schulen gehören „Schwuchtel“, „du Schwuler“ und „Lesbe“ zu den häufigsten von Kinder und Jugendliche gebrauchten Schimpfworten. In der Studie „Diskriminierung im Bildungsbereich und im Arbeitsleben“ der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, ebenfalls von 2013, gaben 39,1% der Befragten an, aufgrund ihrer lesbischen oder bisexuellen Lebensweise schon von anderen Kinder und Jugendliche gemobbt worden zu sein. In einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung berichten 7 % der Befragten sogar von körperlicher Gewalt.

Der Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zufolge intervenieren zu wenige Lehrkräfte, wenn homophobe Schimpfwörter gebraucht werden. Nach Angaben der Kinder und Jugendlichen machen sich viele Lehrkräfte selbst über nicht geschlechtskonformes Verhalten lustig.

Dieses homophobe Klima an vielen Schulen trägt dazu bei, dass sich nur wenige lesbische, schwule, bi-, inter- oder transsexuelle Lehrkräfte outen.

Deshalb ist es zunächst wichtig, die Lehrkräfte stärker für das Thema Vielfalt der sexuellen und geschlechtlichen Identitäten zu sensibilisieren und sie für den Umgang damit zu qualifizieren.

Schulbücher und Curricula müssen weiterentwickelt werden, um der Vielfalt der sexuellen und geschlechtlichen Identitäten der Kinder und Jugendliche besser gerecht werden zu können.

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