Antrag: Rechtsreferendariat praxisnah und familienfreundlich gestalten

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der juristische Vorbereitungsdienst – das Rechtsreferendariat – ist eine entscheidende Größe in der Ausbildung angehender Juristinnen und Juristen. Durch die Ausbildung in verschiedenen Stationen (Gericht, Staatsanwaltschaft, Behörde, Rechtsanwaltskanzlei, Unternehmen, Gewerkschaften u.ä.) und die begleitenden Arbeitsgemeinschaften werden die im Studium erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten erweitert und vertieft. Darüber hinaus lernen die Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare, diese Kenntnisse und Fähigkeiten praktisch anzuwenden. An den zweijährigen Vorbereitungsdienst schließt sich die zweite Staatsprüfung an. Wer diese erfolgreich besteht, erlangt damit die Befähigung zum Richteramt, die auch Zulassungsvoraussetzung für die weiteren reglementierten juristischen Berufe ist und die Absolventinnen und Absolventen gleichermaßen zur Tätigkeit als Staatsanwältin oder Staatsanwalt, als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt, als Notarin oder Notar befähigt. Auch einige weitere nicht reglementierte juristische Berufe setzen die Befähigung zum Richteramt voraus.

Vor dem Hintergrund der daraus resultierenden Tragweite des juristischen Vorbereitungsdienstes ist es wichtig, deren Ausgestaltung einer fortwährenden Überprüfung zu unterziehen. 

Der Landtag stellt fest, dass die Niedersächsische Landesregierung in der jüngeren Vergangenheit bereits wichtige Schritte zur Anpassung des Rechtsreferendariats an die aktuellen Anforderungen unternommen hat.

Der Landtag begrüßt insbesondere:

  • den Kabinettsbeschluss zu einer gemeinsamen Bundesratsinitiative mit dem Land Brandenburg in Bezug auf eine Länderöffnungsklausel für ein Rechtsreferendariat in Teilzeit,
  • die Gewährung eines kostenlosen Zugangs zum E-Learning-Portal ELAN für alle Referendarinnen und Referendare,
  • die geplante Evaluierung der Referendarausbildung,
  • die bereits ergriffenen Maßnahmen zur Qualifizierung und Motivierung der Ausbilderinnen und Ausbilder am Arbeitsplatz, insbesondere die Zurverfügungstellung von Ausbildungsunterlagen
  • die erhebliche Erweiterung des bewährten Examensklausurenkurses, die Einführung eines Online-Klausurenkurses sowie die Abschaffung der Sommerpause des Examensklausurenkurses
  • die Einrichtung eines kostenfreien juris-Zugangs für alle niedersächsischen Referendarinnen und Referendare,
  • die gemeinsamen Informationsveranstaltungen des LJPA mit den Referendarabteilungen der Oberlandesgerichte an den juristischen Fakultäten der niedersächsischen Universitäten.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

  1. die angekündigte Bundesratsinitiative zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes mit dem Ziel einer Länderöffnungsklausel zur Einführung eines Teilzeitreferendariats zeitnah umzusetzen,
  2. zu prüfen, ob als Voraussetzung für die nochmalige Wiederholung der zweiten Staatsprüfung (§ 17 Abs. 2 NJAG) anstelle einer außergewöhnlicher Beeinträchtigung (§ 17 Abs. 2 NJAG) eine hinreichende Aussicht auf Erfolg maßgeblich sein sollte,
  3. bei der Erstellung der Ausbildungspläne auch die Vermittlung von berufsbezogenen Fähigkeiten außerhalb des reinen juristischen Fachwissens (sogenannte weiche Fähigkeiten oder auch Soft Skills) stärker als bisher in den Fokus zu nehmen.

Begründung

Zu 1.

Nach § 5b des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) dauert der juristische Vorbereitungsdienst zwei Jahre und gliedert sich in vier gesetzlich genau festgelegte Pflichtstationen und eine Wahlstation. Nach § 33 Abs. 1 der Verordnung zum Niedersächsischen Gesetz zur Ausbildung der Juristinnen und Juristen (NJAVO) hat die Referendarin oder der Referendar die Arbeitskraft voll der Ausbildung zu widmen. Das Rechtsreferendariat kommt damit einer Vollzeitberufstätigkeit gleich. Angesichts der tatsächlichen durchschnittlichen Belastung der Referendarinnen und Referendare in den Arbeitsgemeinschaften, an der jeweiligen Arbeitsstelle und im Zuge der Vorbereitung auf die zweite juristische Staatsprüfung ist dies auch realistisch.

Derzeit ist ein Absolvieren des juristischen Vorbereitungsdienstes in Teilzeit nicht möglich. Referendarinnen und Referendare, die minderjährige Kinder zu erziehen oder Angehörige zu pflegen haben, stellt dies mitunter vor erhebliche Probleme. In vielen Fällen treten die betroffenen Personen das Referendariat erst gar nicht an und brechen damit ihre weitere juristische Ausbildung ab, oder sie unterbrechen den Vorbereitungsdienst für mehrere Jahre. Hierdurch wird nicht nur die Lebensplanung der betroffenen Familien berührt; vielmehr gehen dem aus Arbeitgeber- und Landessicht ohnehin nicht reich genug bestückten Arbeitsmarkt wichtige hochqualifizierte Volljuristinnen und Volljuristen verloren. In anderen Fällen sind die Betroffenen aufgrund ihrer familiären Verpflichtungen nicht in der Lage, dasjenige zeitliche Pensum aufzubringen, das für das Erzielen guter Leistungen in den einzelnen Stationen und in der zweiten juristischen Staatsprüfung notwendig ist. Dies schmälert die späteren Berufsaussichten der Betroffenen erheblich.

Die die Regierung tragenden Fraktionen im Niedersächsischen Landtag stehen für Chancengleichheit und Familienfreundlichkeit. Im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Berufsausbildung strebt der Niedersächsische Landtag daher die Möglichkeit einer Absolvierung des juristischen Vorbereitungsdienstes in Teilzeit an.

Damit wird auch eine Gleichbehandlung von Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendaren mit den allgemeinen Angehörigen des öffentlichen Dienstes erreicht: Für diese besteht zum Zwecke der Betreuung minderjähriger Kinder oder zu pflegender Angehöriger ein Rechtsanspruch auf Teilzeit.

Darüber wird dadurch auch eine Gleichbehandlung mit den Lehramtsreferendarinnen und Lehramtsreferendaren erreicht. Für diese hat das Land Niedersachsen bereits eine Teilzeitregelung eingeführt.

Da eine Teilzeitregelung für den juristischen Vorbereitungsdienst nur dann sinnvoll sein kann, wenn die Dauer des Referendariats in diesen Fällen angemessen erhöht wird, ist eine Änderung des § 5b DRiG, der die Dauer des Vorbereitungsdienstes verbindlich auf zwei Jahre festsetzt, erforderlich. Zwar kann der Vorbereitungsdienst nach § 5b Abs. 4 S. 2 DRiG im Einzelfall aus zwingenden Gründen verlängert werden. Eine generelle Verlängerungsmöglichkeit aus familiären Gründen fällt jedoch nicht hierunter. Anzustreben ist daher eine Öffnungsklausel, die den Bundesländern gestattet, die Dauer des juristischen Vorbereitungsdienstes sowie die Einteilung der einzelnen Stationen und der zu besuchenden Lehrveranstaltungen in eigener Zuständigkeit gesetzlich festzulegen.

Bei der Inanspruchnahme von Teilzeit ist eine Besserstellung der betreffenden Personen gegenüber denjenigen Referendarinnen und Referendaren, die den juristischen Vorbereitungsdienst in der regulären Dauer von zwei Jahren absolvieren - und dementsprechend auch zum regulären Zeitpunkt an der zweiten juristischen Staatsprüfung teilnehmen müssen - zu vermeiden. Dementsprechend ist sicherzustellen, dass Teilzeit nur in solchen Fällen gewährt wird, in denen die betroffene Person tatsächlich im eigenen Haushalt lebende minderjährige Kinder betreut oder in einem erheblichen Umfang nah stehende Angehörige pflegt. Eine Verlängerung des Vorbereitungsdienstes zum Zwecke einer längeren Vorbereitung auf die zweite Staatsprüfung darf nicht ermöglicht werden.

Darüber hinaus scheint eine Reduzierung der Arbeitszeit auf mehr als die Hälfte und somit die Verlängerung des Vorbereitungsdienstes auf mehr als das Doppelte sowohl unter dem Gesichtspunkt einer stringenten Ausbildung als auch aus Gerechtigkeitsgründen nicht angezeigt.

Zu 2.

Nach § 17 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausbildung von Juristinnen und Juristen (NJAG) dürfen die juristischen Staatsprüfungen bei Nichtbestehen einmal wiederholt werden (Abs. 1). Eine nochmalige Wiederholung der zweiten Staatsprüfung kann das Justizministerium gestatten, wenn die erfolglosen Prüfungen bei dem niedersächsischen Justizprüfungsamt abgelegt worden sind und eine außergewöhnliche Beeinträchtigung der Referendarin oder des Referendars in dem zweiten Prüfungsverfahren vorgelegen hat (Abs. 2 S. 1).

Diese zweite Wiederholung des Staatsexamens aufgrund eines Härtefallantrages - auch „Gnadenversuch“ genannt - wird in den Bundesländern sehr unterschiedlich gehandhabt. Dabei hat die vorgenannte niedersächsische Regelung nach § 17 NJAG im Ländervergleich einen sehr engen Anwendungsbereich und bezieht sich ausschließlich auf in der Vergangenheit liegende Umstände.

Im Hinblick auf den Sinn und Zweck der nochmaligen Prüfungswiederholung - nämlich das Bestehen des zweiten juristischen Staatsexamens - erscheint dies nur bedingt zielführend. In der Vergangenheit liegende Umstände, die zum Prüfungsmisserfolg geführt haben, lassen kaum Prognosen im Hinblick auf eine in der Zukunft liegende weitere Prüfung zu.

So stellen die entsprechenden Regelungen der meisten übrigen Bundesländer u.a. darauf ab, dass eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht. Es ist daher zu überprüfen, ob eine entsprechende Regelung in das Niedersächsische JAG übernommen werden soll. Die damit verbundene mutmaßliche Verbreiterung des Anwendungsbereiches kann entweder in Kauf genommen oder durch das Erfordernis einer bestimmten Mindestpunktzahl in einem der beiden vorangegangenen Prüfungsversuche als Nachweis der Erfolgsaussichten abgefedert werden.

Zu 3.

Traditionell sind bei der Einstellung von Juristinnen und Juristen die Noten der beiden Staatsexamina das ausschlaggebende Kriterium. Das dadurch dokumentierte juristische Fachwissen ist die Basis für den Erfolg inhaltlicher juristischer Tätigkeit.

In nahezu allen juristischen Bereichen wird jedoch daneben auch zunehmend Wert auf sogenannte weiche Faktoren gelegt. Aus guten Gründen: Die Mehrzahl der Juristinnen und Juristen hat in ihrer Tätigkeit unmittelbaren Kontakt zu Menschen. Gefragt sind dort je nach Berufssparte Menschenkenntnis, Überzeugungskraft, rhetorische Fähigkeiten, Empathie, Verhandlungsgeschick, Teamfähigkeit, gutes Ausdrucksvermögen, Selbstsicherheit, interkulturelle Kompetenz, die Fähigkeit zur Selbstkritik, Entscheidungsfreude, Stresstoleranz und dergleichen mehr.

So kann es zur Tätigkeit als Richterin oder Richter gehören, mit Kolleginnen und Kollegen in einer Kammer zu beraten, einen Sachverhalt und eine rechtliche Bewertung klar strukturiert und nachvollziehbar darzustellen, die eigene Meinung sicher zu vertreten und gleichzeitig offen für die Argumente anderer zu sein. Als Zivilrichterin oder Zivilrichter gehört es beispielsweise dazu, die Rechtsauffassung des Gerichts in der mündlichen Verhandlung auch für Laien verständlich klarzumachen und Vergleichsverhandlungen zu führen. Als richterliche Mediatorin oder Mediator ist Empathie erforderlich. Auch in Betreuungssachen und in Familiensachen bedarf es eines hohen Einfühlungsvermögens. In Strafsachen muss die Richterin oder der Richter in der Lage sein, nach oft relativ kurzer Bedenkzeit ein Urteil zu fällen, zu verkünden und direkt mündlich zu begründen. In jedem Bereich brauchen Richterinnen und Richter darüber hinaus neben vielen weiteren Fähigkeiten eine gute Menschenkenntnis, ein gutes Ausdrucksvermögen, Entscheidungsfreude und die Fähigkeit, sich als Person abzugrenzen und die richterliche Unabhängigkeit zu bewahren.

Auch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte beschäftigen sich in den meisten Fällen (insbesondere außerhalb von Großkanzleien) nicht allein mit der reinen Juristerei. Die meisten von ihnen haben täglich Kontakt zu Mandantinnen und Mandaten unterschiedlichster Herkünfte und Hintergründe. Gute kommunikative Fähigkeiten sind daher nicht nur deshalb erforderlich, um Mandantenakquise zu betreiben und die Mandantschaft dauerhaft an sich zu binden. Vielmehr geht es auch darum, zum einen herauszufiltern, welche Punkte eines laienhaft vorgetragenen Sachverhaltes juristisch relevant sind - und zum andern auch umgekehrt juristisch komplexe Themen der Mandantschaft anschaulich zu erklären. Hierbei sind häufig auch interkulturelle Kompetenzen von hohem Nutzen. Sowohl bei außergerichtlichen Verhandlungen als auch vor Gericht können Verhandlungsgeschick, Überzeugungskraft, sicheres Auftreten und eine gute Ausdrucksfähigkeit erforderlich sein. Darüber hinaus gewinnt für selbstständige Anwältinnen und Anwälte auch die Fähigkeit, Markttrends aufzunehmen und entsprechend zu reagieren, zunehmend an Bedeutung. Und schlussendlich benötigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der Regel auch Führungsqualitäten im Umgang mit Rechtsanwaltsfachangestellten und anderen Mitarbeitenden.

Für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind unter anderem ein sicheres Auftreten, eine hohe Stresstoleranz, gute Kommunikationsfähigkeiten und ein gute Verständnis für soziale und wirtschaftliche Belange unabdingbar. Sie sollten zudem über die Fähigkeit verfügen, engagiert zu ermitteln und dabei gleichzeitig objektiv zu bleiben.

Vergleichbare und andere weiche Faktoren lassen sich für alle juristischen Berufe anführen.

Nach § 5a Abs. 3 Satz 1 DRiG müssen bereits die Inhalte des Studiums die erforderlichen Schlüsselqualifikationen wie Verhandlungsmanagement, Gesprächsführung, Rhetorik, Streitschlichtung, Mediation, Vernehmungslehre und Kommunikationsfähigkeit berücksichtigen. Primär ist die Vermittlung der Soft Skills damit Aufgabe des Studiums. Der juristische Vorbereitungsdienst kann insoweit zwar nur eine ergänzende Funktion haben. Letztendlich können während des juristischen Vorbereitungsdienstes nur bereits während des Studiums vermittelte Soft Skills vertieft werden.

Mit dem Einüben des sogenannten Aktenvortrages (Kurzvortrag) wird zwar geübt, einen Sachverhalt und eine entsprechende juristische Lösung stringent und verständlich vorzutragen. Ein Erlernen der oben genannten weiteren weichen Faktoren findet jedoch im begrenzten Maße statt. Sie sind jedoch erlernbar. Sie sollen daher zukünftig einen noch wesentlich stärkeren Eingang in die Ausbildung im juristischen Vorbereitungsdienst finden. Dies ist bei der Erstellung zukünftiger Ausbildungspläne zu berücksichtigen.

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