Antrag: Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken wiederaufnehmen - Ein neues Reaktivierungsprogramm starten

Fraktion SPD
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Das Land hat sich das Ziel gesetzt, die Fahrgastzahlen im Öffentlichen Personennahverkehr bis zum Jahr 2030 zu verdoppeln. Das sehr erfolgreiche 9-Euro-Ticket im Sommer 2022 hat gezeigt, dass viel mehr Menschen als bislang bereit sind, Bus und Bahn zu nutzen. Gleichzeitig hat das Aktionsticket die Schwächen im Nahverkehr deutlich gemacht, weil zusätzliche Kund*innen die unzureichende und über Jahrzehnte ausgedünnte Infrastruktur an ihre Grenzen brachten. Neben dem kundenfreundlichen und günstigen Nachfolgeticket, auf das sich Bund und Länder mit dem Deutschland-Ticket einigen konnten, muss es daher parallel auch darum gehen, das Angebot auszubauen und es alltagstauglich und verlässlich zu gestalten.

Als ein erfolgreiches Instrument der Kapazitätserweiterung hat sich der Reaktivierungsprozess für Bahnstrecken für den Personennahverkehr der rot-grünen Landesregierung im Jahr 2013 unter Federführung des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr bewährt. Im Rahmen eines Lenkungskreises waren daran Expertinnen und Experten aus Fachverbänden, Mitglieder des Landtags, Vertreterinnen und Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, die Aufgabenträger des Schienenpersonennahverkehrs, der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen sowie das Nahverkehrsbündnis beteiligt. Nach einem mehrstufigen Verfahren wurden schließlich drei Strecken zur Realisierung einer Reaktivierung ausgewählt: Bad Bentheim–Neuenhaus, Einbeck Salzderhelden–Einbeck Mitte und Salzgitter-Lebenstedt–Salzgitter-Fredenberg. Zwei der Strecken, Bad Bentheim–Neuenhaus und Einbeck-Salzderhelden–Einbeck-Mitte, konnten mittlerweile wieder in Betrieb genommen werden. Die Strecke von Salzgitter-Lebenstedt nach Salzgitter-Fredenberg wurde ebenfalls ausgewählt, konnte bisher allerdings nicht reaktiviert werden. Hier besteht aus der Region aber weiterhin das Interesse an einer Umsetzung. Der Landtag stellt fest:

  • Der Prozess zur Reaktivierung von Bahnstrecken in Niedersachsen unter Rot-Grün in der 17. Legislaturperiode war ein erster und wichtiger Schritt zur Verbesserung der Mobilität im Schienenpersonennahverkehr.
  • Der Reaktivierungsprozess von Bahnstrecken soll als unverzichtbarer Bestandteil der Verbesserung der Mobilität in Niedersachsen, gerade auch in ländlichen Regionen, schnellstmöglich wiederaufgenommen werden.
  • Das Land Niedersachsen hat das erklärte Ziel, bis zum Jahr 2030 die Fahrgastzahlen im Nahverkehr im Vergleich zu heute zu verdoppeln; die Reaktivierung von Schienenstrecken ist ein wichtiges Instrument, um die dafür notwendigen Kapazitäten im SPNV auszubauen und vorzuhalten.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. einen Lenkungskreis, welcher aus Mitgliedern des Landtags sowie dem Nahverkehrsbündnis und weiteren Fachexpert*innen besteht, für die Fortsetzung des Reaktivierungsprozesses zeitnah einzurichten bzw. wiederaufzunehmen;
  2. dem Lenkungskreis die Aufgabe zu übertragen, ein neues Reaktivierungsprogramm inhaltlich vorzubereiten.
  3. in Zusammenarbeit mit dem Lenkungskreis ein neues Reaktivierungsprogramm des Landes Niedersachsen zeitnah aufzulegen und zu begleiten. Ziel muss dabei auch sein, die Mittelzentren und touristisch relevanten Destinationen anzubinden und untereinander zu verbinden. Dazu soll eine landesweit gangbare Konzeption entwickelt werden, um zeitnah für eine Reaktivierung geeignete Strecken zu ermitteln und für eine Bundesförderung anzumelden;
  4. die Kommunen und andere Vorhabenträger bei der Erstellung von Machbarkeitsstudien zur Reaktivierung von Bahnstrecken zu unterstützen;
  5. die neuen und verbesserten Möglichkeiten durch das novellierte Bundes-GVFG und die neue Verfahrensanleitung der Standardisierten Bewertung des Bundesverkehrsministeriums optimal für den Infrastrukturausbau im SPNV in Niedersachsen zu nutzen;
  6. bei der Konzeption und Wirtschaftlichkeitsrechnung neben der bundeseigenen Infrastruktur auch auf die zahlreichen niedersächsischen nichtbundeseigenen Eisenbahnen, insbesondere die landeseigene SINoN und die EVB Elbe-Weser als Eisenbahninfrastrukturunternehmen, zu setzen.

Begründung

Die Reaktivierung von Bahnstrecken ist ein wichtiger Baustein für die Verbesserung einer bedarfs-
gerechten und nachhaltigen Mobilität in Niedersachsen. Insbesondere kann die Mobilität der Menschen in ländlichen Räumen durch die weitere Reaktivierung von Bahnstrecken für den Personennahverkehr angebotsorientiert deutlich verbessert werden.

Mit der Novelle des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes des Bundes, die Anfang 2020 in Kraft trat, und der Veröffentlichung der neuen Verfahrensanleitung der standardisierten Bewertung am 1. Juli 2022 durch das Bundesverkehrsministerium haben sich die Möglichkeiten, Schienenstrecken für den Nahverkehr in den Ländern zu reaktivieren, deutlich verbessert. Es wurden neue Fördertatbestände geschaffen und Mindestvorhabengrößen gesenkt. Die Novellierung des Bundes-GVFG hat erstmals die Möglichkeit eröffnet, auch die Wiederinbetriebnahme von Bahnstrecken zu fördern. Zudem sind die Fördersätze erhöht worden, so dass der Bund bis zu 90 Prozent der Baukosten finanziert. Außerdem hat der Bund die Mittel massiv aufgestockt: Aktuell stehen 1 Milliarde Euro jährlich zur Verfügung, von 2025 an sogar 2 Milliarden Euro pro Jahr. Die Standardisierte Bewertung berechnet die Wirtschaftlichkeit von Infrastrukturprojekten im Nahverkehr. Die Verfahrensanleitung hat eine hohe Bedeutung für alle Bundesländer, da nur mit einer nachgewiesenen Wirtschaftlichkeit ein Projekt mit Bundes-GVFG-Mitteln gefördert werden darf. Hier hat der Bund andere Kriterien aufgenommen bzw. Schwerpunkte verlagert. So kann sich beispielsweise der Nutzen für den Schienenpersonenfernverkehr und den Güterverkehr positiv auf ein SPNV-Projekt auswirken. Auch Treibhausgasemissionen, der Flächenverbrauch oder die Anbindung von zentralen Orten werden bei der Gesamtrechnung künftig berücksichtigt. Diese neuen Regelungen und Möglichkeiten sollte Niedersachsen für seine Mobilitätswende und den Ausbau der Infrastruktur aktiv nutzen.

Damit Niedersachsen die neuen Möglichkeiten der Bundesförderung gut für den Ausbau des SPNV nutzen kann, ist nun schnellstmöglich der Reaktivierungsprozess auch hierzulande wiederaufzunehmen. Dabei kann Niedersachsen auf die Liste potenziell reaktivierbarer Bahnstrecken aus den Jahren 2013 bis 2015 zurückgreifen. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass die Entwicklung, hier insbesondere auch die Entwicklung von Siedlungsstrukturen, der ländliche Raum noch stärker in den Blick gerät und den Gebietskörperschaften der Wert ihrer Bahnstrecken für ihre Zukunft am Beispiel der bisher erfolgten Reaktivierungen in Niedersachsen bewusst wird. Die Machbarkeitsstudien können dann unter Berücksichtigung geänderter Vorgaben in die neue Standardisierte Bewertung überführt werden. Im Rahmen dieses Prozesses ist es sinnvoll, dass das Land die Gebietskörperschaften bei der Erstellung bzw. Aktualisierung von Machbarkeitsstudien finanziell unterstützt.

Die nichtbundeseigenen Eisenbahnen haben in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, dass sie in der Lage sind, beim Bau und der Betriebsführung ihrer Strecken deutlich schneller in der Umsetzung, kostengünstiger und wirtschaftlicher zu sein.

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