Antrag: Raus aus der Kreditklemme: Mit neuen Förderinstrumenten die Kapitalschwäche niedersächsischer Mittelständler überwinden

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Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Hannover, den 16. Juni 2004

Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Der Landtag stellt fest:
Jedes vierte kleine oder mittlere Unternehmen (KMU) in Deutschland hat kein Eigenkapital oder ist überschuldet. Ein wesentlicher Grund dafür ist die im Vergleich zu den angelsächsischen Ländern geringe Eigenkapitalquote deutscher Unternehmen. Aber auch die verschärften Kreditvergabekriterien durch Basel II (Internationales Abkommen zur Neuregelung der Eigenmittelbestimmung für Kreditinstitute), der Rückzug der privaten Großbanken aus dem Mittelstandsgeschäft und die Vorsicht der Banken bei der Kreditvergabe nach Jahren des Verlustes führen zu Finanzierungsengpässen im Mittelstand. Die neue Landesregierung hat bislang keine Lösung für dieses Problem gefunden. Zwar nahm zu Beginn des Jahres die NBank als Bündelungsinstrument der Wirtschaftsförderung ihre Arbeit auf, doch hat sich auch nach fünf Monaten Tätigkeit der NBank und 15 Monaten Minister Hirche die Situation für Niedersachsens KMU nicht verbessert.
Der Landtag fordert deshalb die Landesregierung auf, ein breites Instrumentarium neuer Förderinstrumente, die die gesamte Bandbreite unterschiedlicher Kapitalbedürfnisse der Unternehmen abdecken, auf den Markt zu bringen. Zur Gegenfinanzierung erfolgt die generelle Umstellung der Wirtschaftsförderung von Zuschüssen auf revolvierende Förderfonds. Das bedeutet im Einzelnen:
1. Vom Land vergebene Bürgschaften sollen zukünftig - unter Beibehaltung der Bürgschaftsrichtlinie und der Schlussentscheidung von Seiten der Landesregierung - in einem Fonds bei der NBank gebündelt, dort zentral begutachtet, abgewickelt und evaluiert werden. Die dadurch erreichte größere Risikostreuung soll u.a. dazu beitragen, das Bürgschaftsvolumen zu erhöhen, um insbesondere kleine und mittlere Unternehmen verstärkt zu unterstützen.
2. Das Wirtschaftsministerium und die NBank sollen das Förderinstrument Nachrangdarlehen als eigenmittelähnliches Beteiligungskapitalinstrument für niedersächsische KMU entwickeln und umgehend anbieten. Die dafür notwendige Ausfallbürgschaft ist vom Land sicherzustellen.
3. Die NBank soll nicht nur Gelder der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) durchleiten, sondern auch mit eigenen Mitteln der Kreditklemme entgegenwirken - beispielsweise mit einem revolvierenden Kapitalbeteiligungsfonds.
4. Das für o.g. Maßnahmen zusätzlich erforderliche Kapital bei der NBank soll haushaltsneutral durch Umschichtung von Wirtschaftsfördermitteln in eine Einlage in die NBank erbracht werden.
5. Da Mittelständlern oftmals das Fachwissen fehlt, sich unabhängig von Banken und im Alleingang alternative Finanzierungswege zu suchen, muss die NBank hier die Lücke noch besser schließen und neben "Bonus" verstärkt Programme, Beratung und Finanzierungsbegleitung in Bezug auf folgende Kapitalinstrumente schnellstmöglich ausbauen: Nachrangdarlehen, Factoring, Anleihen und Private Equity.
6. Auch die Vergabe der EFRE-Mittel (Europäische Fonds für regionale Förderung) soll in Niedersachsen, wie auch in anderen Bundesländern, nicht mehr wie bisher als Zuschuss, sondern als revolvierende Förderung erfolgen. Darüber hinaus legt die Landesregierung dem Landtag bis Ende 2004 erste Planungen und Konzepte für ihre Förderpolitik nach dem Auslaufen der derzeitigen Ziel-2-Förderung in 2006 vor.
Begründung
Rund drei Millionen Unternehmen in Deutschland leiden zunehmend unter einer Kapitalschwäche mit dramatischen Konsequenzen. Obwohl ihre Auftragsbücher voll sind, könnten die Unternehmen wegen fehlender Finanzierung ihre Eingänge nicht abarbeiten, beklagte Anfang April 2004 Hans Reich, Chef der KfW-Bankengruppe. Laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelstages unter 21.000 Unternehmen sind bei einem Drittel der kleinen und mittleren Unternehmen die Kreditsorgen gestiegen. Auch die Studie der KfW Anfang dieses Jahres ergab, dass es für fast die Hälfte der rund 4600 befragten Unternehmen im Jahr 2003 schwieriger geworden sei, Bankkredite zu erhalten als noch im Vorjahr. Zwölf Prozent gaben an, dass sogar ihre Anträge für Investitionen abgelehnt worden seien, im Handwerk war das bei jedem fünften Betrieb der Fall.
Die Kapitalschwäche resultiert zum einen aus der vergleichsweise niedrigen Eigenkapitalquote deutscher Unternehmen. Während sich die Quote bei Unternehmen in den USA auf 45 Prozent beläuft, sind es in Deutschland nur 20 Prozent. Aber nicht nur wegen der relativ niedrigen Sicherheiten der Unternehmer lehnen Banken Kreditanfragen ab. Auch Basel II hat die Kreditvergabekriterien verschärft. Außerdem sind die Banken nach Jahren des Verlustes vorsichtiger geworden: Allein 2003 verloren fünf der sieben größten Banken in Deutschland rund zehn Milliarden Euro. Die Folge: Erstmals in der Geschichte der Republik ist das Volumen der an Unternehmen vergebenen Darlehen geschrumpft – im übrigen Europa wächst es hingegen weiter jährlich um fünf Prozent. Erschwerend kommt für kleine und mittlere Unternehmen hinzu, dass die privaten Großbanken in den vergangenen fünf Jahren ein Viertel ihres Mittelstandsgeschäftes aufgegeben haben.
Die traditionelle Kreditvergabe und herkömmliche Investitionsbezuschussung der Landeswirtschaftsförderpolitik allein genügen nicht mehr, um den neuen Herausforderungen angemessen zu begegnen. Während andere Bundesländer bereits mit neuen innovativen Förderprodukten reagieren, setzt die niedersächsische Landesregierung mit der NBank bisher noch vorwiegend auf die althergebrachten Förderprodukte. Die Finanzierungssäule Fremdkapital, vergeben durch die Hausbanken, reicht bei den aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Mittelstand aber nicht mehr aus. Zugunsten von Darlehens- und Beteiligungsprogrammen muss die bisherige Bezuschussung von Investitionen durch das Land abgebaut werden.
Lange vor dem Auslaufen der Ziel-2-Förderungen aus Brüssel Ende 2006 muss das Land beginnen, die Förderpolitik komplett umzustellen. Um die Selbstständigenquote zu erhöhen und um die Unternehmen am Markt zu stärken, müssen dringend andere alternative Finanzierungsquellen unabhängig von den traditionellen Kreditgebern erschlossen werden. Statt sich weiter auf die Bezuschussung von Investitionen zu konzentrieren, muss das Land mehr Angebote von Risikoübernahmen ausarbeiten und anbieten. Dringend erforderlich für die Förderumstellung in Niedersachsen ist, dass alle Beteiligten mit am Tisch sitzen – gerade auch die Vertreter der betroffenen Branchen.
Andere Bundesländer gehen bereits erfolgreich neue Wege: Sie haben ihre Förderpolitik umgestellt, dort wird bereits EFRE-Geld nicht mehr als Zuschuss vergeben, sondern als revolvierendes Mittel eingesetzt. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise erhöhte sich die Zahl der Nachrangdarlehen von 87 Fällen im Jahr 2002 auf 141 im vergangenen Jahr. Das Volumen der Landesbürgschaften stieg im selben Zeitraum von 420 Millionen Euro auf 567 Millionen Euro. Außerdem gewährt NRW Haftungsfreistellungen und vergibt Garantien für Beteiligungskapital privater institutioneller Investoren. NRW hat außerdem gerade einen revolvierenden Kapitalbeteiligungsfonds über 75 Millionen Euro eingerichtet.
Hinausgehend über "Bonus" muss die Eigenkapital-Ersatzmittel-Beratung ausgeweitet werden, weil auf der Suche nach alternativen Finanzierungsquellen viele Mittelständler auf externes Fachwissen angewiesen sind. Diese Lücke muss auch die NBank schließen. Langjährige Unternehmensführer beharren auf Mehrheitsbeteiligungen, weil sie eine Entmachtung fürchten. Hier ist eine umfangreiche Wissensvermittlung notwendig, um Hürden abzubauen.

Fraktionsvorsitzender

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