Antrag: MINT-Fächer an Hochschulen – Potenziale ausschöpfen und Abbrecherquoten senken

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen   

Hannover, den 14.02.2012

Der Landtag stellt fest:

  • Durch den aktuell vorhandenen und zukünftig weiter ansteigenden Arbeitsmarktengpass für Arbeitnehmer mit MINT-Qualifikationen, wobei sich ca. 90 % der unbesetzten Stellen in akademischen Berufen finden, droht Deutschland an Entwicklungs- und Innovationspotenzial einzubüßen. Hiervon sind gerade auch Wachstumsbranchen wie Umwelttechnologie, Energie- und Ressourceneffizienz oder auch Elektromobilität betroffen. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft addiert sich zu dem jährlichen Expansionsbedarf von durchschnittlich 61.600 MINT-Akademikern in wenigen Jahren ein steigender demografiebedingter Ersatzbedarf von jährlich 53.300 MINT-Akademikern, der voraussichtlich nicht durch die jährlich zu erwartende Zahl an Hochschulabsolventen in den MINT-Fächern gedeckt werden kann. Steigt diese Zahl in den nächsten Jahren nicht an, werden laut Stifterverband für die deutsche Wissenschaft jedes Jahr etwa 20.000 MINT-Fachkräfte zu wenig ausgebildet.
  • Seit Jahren wird seitens Wirtschaft und Politik versucht das Interesse junger Menschen für die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) zu steigern, bisher konnten jedoch nur mäßige Erfolge verbucht werden. Neben der Steigerung der Studienanfängerquote und der Übergangsquote vom Abitur zum Studium, sind daher weitere Maßnahmen zu ergreifen, wobei der Grundstein für das Interesse an den Naturwissenschaften und deren fachlicher Grundlagen bereits in der Schulzeit gelegt werden muss.
  • Trotz hoher Nachfrage nach Studienplätzen bleiben in Niedersachsen immer wieder MINT-Studiengänge unausgelastet.
  • Die Abbrecherquote in den MINT-Studienfächern liegt bundesweit mit 28 % erheblich höher als der Durchschnitt (ca. 20%) und sämtliche Maßnahmen und Initiativen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels bleiben fruchtlos, wenn die Abbrecherquote nicht gesenkt wird. Empirische Untersuchungen und Modellprojekte bspw. an der RWTH Aachen bestätigen, dass spezielle Mentoring-Programme die Abbrecherquoten in den MINT-Fächern signifikant reduzieren können.
  • Trotz der Teilnahme Niedersachsens am bundesweiten Projekt "Komm mach MINT – Nationaler Pakt für Frauen in MINT-Berufen" und dessen Internetportal komm-mach-mint.de gibt es noch immer zu wenig Studienanfängerinnen in den MINT-Studienfächern in Niedersachsen.
  • Laut einer Studie der Hochschul Informations System GmbH HIS zum Informationsverhalten und zur Entscheidungsfindung bei der Studien- und Berufswahl stufte nur jeder fünfte Besucher einer Messe oder Fachtagung die dort gewonnenen Informationen als hilfreich ein – bei so genannten Techniktagen waren es sogar nur 6 % der Teilnehmer. Die alle zwei Jahre stattfindende Messe "Ideen-Expo" eignet sich demnach nur bedingt zur Rekrutierung der MINT-Fachkräfte von morgen. Heutzutage ist dagegen das Internet in qualitativer und quantitativer Hinsicht die Hauptinformationsquelle angehender Studienanfänger: 97 % der jungen Leute informieren sich dort über mögliche Studien- oder Berufsangebote und 82 % erachten diese Informationsbeschaffung als hilfreich. Um mehr junge Menschen für MINT-Studiengänge und MINT-Berufe zu begeistern, muss also dieser Kommunikationskanal stärker genutzt und ausgebaut werden.
  • Nur ca. ein Viertel der Studentinnen wählt ein MINT-Studienfach, während es bei den  männlichen Studierenden die Hälfte ist. Frauen sind in den MINT-Fächern somit deutlich unterrepräsentiert. Will man erreichen, dass 40 % der Studienabgänger einen MINT-Abschluss machen,  wie von Wirtschaftsinstituten zur Deckung des Bedarfs mindestens gefordert, muss also insbesondere das brachliegende Potenzial der jungen Frauen erschlossen werden. Der Frauenanteil unter den erwerbstätigen MINT-Akademikern liegt derzeit bei 19,5 %.
  • Der Frauenanteil an der Professorenschaft liegt in Niedersachsen aktuell mit 23,6 % zwar über dem Bundesdurchschnitt von 19,2 %, dennoch ist weiterer Handlungsbedarf gegeben. Besonders in den MINT-Fächern sind Frauen auf den Lehrstühlen deutlich unterrepräsentiert. Der Anteil an der Professorenschaft in der Fächergruppe Mathematik / Naturwissenschaften lag im Jahr 2010 bundesweit bei 12 % und in den Ingenieurwissenschaften bei nur 9 %. Für junge Studienanfängerinnen oder interessierte Schülerinnen fehlen somit positive Vorbildfiguren auch unter den Dozenten.
  • Das mangelnde Interesse junger Frauen an MINT-Fächern wird auch damit begründet, dass der naturwissenschaftliche und mathematische Unterricht an den Schulen bisher in Bezug auf die Lerngegenstände und Anwendungsfelder bspw. in Textaufgaben stark auf Jungen ausgerichtet und damit wenig geeignet ist, junge Mädchen für Mathematik und Physik zu begeistern.

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. die niedersächsischen Hochschulen aufzufordern, Mentoring-Programme für Studienanfänger in allen MINT-Fächern mit hohen Studienabbrecherquoten aufzulegen. Studierende der höheren Semester, wissenschaftliche MitarbeiterInnen, DozentInnen oder auch ProfessorInnen, können als Lernprozessbegleiter fungieren, Ängste nehmen und einem frühen Studienabbruch entgegenwirken,
  2. im Rahmen der "Offenen Hochschule" zielgruppengerechte Mentoring-Programme für Studienanfänger ohne klassische Hochschulzugangsberechtigung aufzulegen, welche auch verpflichtende Propädeutika einschließen, durch welche die Studierfähigkeit sichergestellt werden soll. Hierzu ist insbesondere die Kooperation mit den Einrichtungen der Erwachsenenbildung zu suchen,
  3. zur Unterstützung der Mentoring-Programme, z.B. für Qualifizierungsmaßnahmen der MentorInnnen, seitens des Landes ein eigenes Förderprogramm aufzulegen,
  4. Programme zur fachdidaktischen Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern in den MINT-Fächern aufzulegen, wobei Schwerpunkte auf den neuesten Ergebnissen der Geschlechter-Lehr-Lern-Forschung und auf einer verstärkten Praxisorientierung des Unterrichts liegen sollen,
  5. Programme zur fachdidaktischen Weiterbildung von Professorinnen und Professoren in den MINT-Fächern aufzulegen und über Zielvereinbarungen mit den Hochschulen zu erreichen, dass die Fachdidaktiken für MINT-Fächer an den Universitäten mit einschlägigen Lehramtsstudiengängen ausgebaut werden,
  6. die Lerninhalte im Fach Mathematik der Sekundarstufen I und II unter Beteiligung der Kammern und der Hochschulen auf Ihre Relevanz für eine anschließende Berufsausbildung oder ein anschließendes Studium zu überprüfen und ggf. unter Einbeziehung der Kultusministerkonferenz den Anforderungen entsprechend anzupassen, um die Chancen für ein erfolgreiches MINT-Studium zu erhöhen,
  7. aussagekräftiges Datenmaterial über die niedersachsenweite Studienabbruchquote zu erheben und dabei sicherzustellen, dass auch die Gründe des Studienabbruchs mit abgefragt werden,
  8. ein landesweites Internetportal für niedersächsische Schülerinnen und Schüler einzurichten, damit zukünftig gezielt auf die niedersächsischen MINT-Studiengänge, Projekte und Angebote aufmerksam gemacht wird. Das Portal soll alle relevanten Informationen zum MINT-Studium in Niedersachsen bündeln, Studiengänge ausführlich vorstellen, Online-Assessments zur Eignungseinschätzung anbieten und Termine und Aktionen wie z.B. Summerschools oder Kinder-Unis bekanntmachen. Außerdem soll über sämtliche Zugangsvoraussetzungen, auch ohne Abitur, und die Studienfinanzierung über das BAföG oder Stipendien informiert werden. Das Portal ist an allen niedersächsischen Schulen, Arbeitsämtern, Berufsinformationszentren und in Jugendzentren auf geeignete Weise zu bewerben. Bei der Gestaltung sind Gender-Aspekte zu berücksichtigen,
  9. die Kerncurricula, die Schulbücher und auch die didaktische Ausbildung der Fachlehrer in den MINT-Fächern anhand der neuesten Erkenntnisse der Geschlechter-Lehr-Lern-Forschung weiterzuentwickeln und diese zukünftig stärker als bisher auch speziell auf die Vorlieben und Neigungen von jungen Mädchen auszurichten,
  10. den Hochschulen für die zahlreichen niedersächsischen Projekte und Aktionen wie den Sommer- oder Kinder-Unis, die junge Schülerinnen und Schüler bereits in frühen Jahren für Naturwissenschaften begeistern sollen, eine Quotierung der Plätze zu empfehlen, damit die Schulen in der Verantwortung stehen, insbesondere Mädchen für die Teilnahme an den Projekten zu begeistern und zu qualifizieren. Ebenfalls sollten den Schülerinnen für die Dauer dieser Projekte an den Hochschulen MINT-Studentinnen als positive Vorbilder an die Seite gestellt werden,
  11. sich bei der Frauenförderung im Bund-Länder-Professorinnen-Programm und nach dessen Ablauf darüber hinaus verstärkt auf die Besetzung in MINT-Studienfächern zu konzentrieren, da Frauen in höheren akademischen Positionen positive Vorbildfunktionen für Studienanfängerinnen übernehmen können.

Begründung

Um die Zahl der MINT-Absolventen an den niedersächsischen Hochschulen zu erhöhen, ist es unabdingbar, das Interesse und die Begeisterung für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik bei Jungen und Mädchen bereits in den frühesten Bildungsstufen in Kita und Schule zu wecken und aufrechtzuerhalten, Informationen leicht erschließbar darzubieten und auch später im Studium Hilfen anzubieten. Dazu müssen nicht nur ErzieherInnen, LehrerInnen und ProfessorInnen didaktisch weitergebildet werden, sondern auch umfassend informierende Internetportale eingerichtet und Mentoring-Programme an den Hochschulen aufgelegt werden, um die Studienabbrecherquoten zu senken. Darüber hinaus gilt auch für den MINT-Bereich, dass ein Instrument zur Vermeidung des Fachkräftemangels die Bewerbung der Zuwanderung ausländischer Absolventen ist. In diesem Zusammenhang sollten auch die derzeitigen niedersächsischen Einreise- und Bleibebedingungen ausländischer Studierender und Akademiker überdacht werden und die Anerkennungspraxis von im Ausland erworbenen Abschlüssen liberalisiert werden. 

Wenn mehr junge Menschen zu einem Studium in den MINT-Fächern animiert werden sollen, müssen besonders junge Frauen in den Fokus gerückt werden, da nur ungefähr ein Viertel von ihnen ein MINT-Fach als Studienfach wählt. Dieses Potenzial gilt es daher zukünftig verstärkt zu erschließen, weshalb jede Offensive zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in den MINT-Berufen einen Schwerpunkt auf die Erhöhung des Frauenanteils in MINT-Studiengängen legen sollte.

Der geringe Anteil von Frauen im Berufsfeld der MINT-Fächer ist ein spezifisch deutsches Problem und in anderen europäischen Ländern bei weitem nicht so stark ausgeprägt. Spätestens hier wird deutlich, dass es sich bei der mangelnden Vorliebe junger Frauen für MINT-Fächer nicht um eine Naturgegebenheit, sondern um ein strukturelles Problem handelt, dessen Ursachen bereits auf den untersten Bildungsstufen liegen. Diese Schieflage kann mit den oben genannten Initiativen und Maßnahmen in der Schule, bei der Studienwahl und im Studium zumindest abgeschwächt werden.

Gabriele Heinen-Kljajic

Parlamentarische Geschäftsführerin

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