Antrag: Mehr Tierschutz in der Putenhaltung – eine Herausforderung für die Landesregierung des geflügelreichsten Bundeslandes Niedersachsen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest, die vorfindbaren, tierschutzrelevanten Beeinträchtigungen des Putengeflügels in industriellen Haltungen sind vor dem Hintergrund der Umsetzung des Verfassungsauftrages Tierschutz (Art. 6b der Landesverfassung) nicht mehr tolerierbar.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf

  1. als wichtigstes Putenfleischerzeugerland neue tierschutzorientierte Mindeststandards für das Halten von Puten durchzusetzen und sich für deren Einführung auch auf bundes- und europäischer Ebene einzusetzen.
    Die neuen Mindeststandards sollen die folgenden Kriterien berücksichtigen:
  • die deutliche Senkung der Besatzdichte auf maximal 21 kg pro m² und ausreichende Spiel- und Beschäftigungselemente in strukturierten Ställen als Voraussetzungen für das Halten von Putenherden;

  • eine Bestandsobergrenze von maximal 5000 Tieren pro Stall einzuführen;

  • die routinemäßige Kürzung der Schnäbel gerade geschlüpfter Putenküken einzustellen;

  • die systematische Antibiotikaverfütterung an die ganze Herde bei notwendiger Therapie einzelner, kranker Tiere zu unterbinden;

  • Verzicht auf Einsatz von Zusatzstoffen zur Wachstums- und Leistungssteigerung und Ausschluss genmanipulierten Futters; Auflistung der zugelassenen Futtermittelzusatzstoffe in einer Positivliste;

  • Einfall von natürlichem Tageslicht und der Möglichkeit eines Auslaufs ins Freie (einschließlich Schlechtwetterauslauf);

  • Verbot von Qualzuchten wie z.B. "BUT Big 6", die auf extrem schnelles Wachstum und hohes Gewicht ausgerichtet sind.

  1. die Forschung auf den Tierschutz und die Zucht von gesundheitlich robusten Rassen mit hoher Sozialverträglichkeit und Vitalität zu konzentrieren
  2. tiergerecht erzeugtes Putenfleisch z.B. nach NEULAND- oder BIOLAND- Richtlinien zu fördern und offiziell zu befürworten
  3. verstärkte, unangemeldete Kontrollen mindestens einmal pro Durchgang auch während der Mast und nicht nur am Mastende durchzuführen
  4. die Bußgelder für Verletzungen des Tierschutzes heraufzusetzen, wirtschaftliche Vorteile von Verstößen abzuschöpfen sowie Beanstandungen und Mängel zu veröffentlichen
  5. sich auf allen politischen Ebenen für eine umfassende Kennzeichnungspflicht herkömmlich industriell produzierten Putenfleischs und der Art seiner Erzeugung einzusetzen
  6. sich dafür einzusetzen, dass keine Subventionen in die industrielle Putenhaltung sowie deren Infrastruktur fließen

Begründung

In Niedersachsen wurden im Jahr der letzten Landwirtschaftszählung 2008 5,3 Millionen Puten von ca. 480 Mästern gemästet. Das sind fast 50% der bundesweit gehaltenen Puten. Der sowohl regional als auch betrieblich hohe Konzentrationsgrad in der Putenhaltung geht einher mit einer industrialisierten Haltungsform. Laut Auskunft der Bundesregierung lebten 2007 nur 1,7% der Puten in ökologischer Tierhaltung. Es herrscht ein reger Im- und Export mit lebendigen Tieren und Fleisch in allen denkbaren Formen. Der Export lebendiger Tiere hatte 2008 von der Größenordnung her einen größeren Umfang als die in Niedersachsen gehaltenen Tiere, nämlich 7,4 Millionen Tiere, während der Import 4,1 Millionen Tiere betrug. Der Konsum von Putenfleisch stagniert seit einigen Jahren und beträgt 6,5 kg pro Kopf der Bevölkerung.

Die industrielle Putenmassentierhaltung steht immer wieder in der Kritik. Die Debatte um den Tierschutz in diesen industriellen Putenhaltungen wird nicht nur von Tierschutzorganisationen geführt, sondern auch in Wissenschaftlerkreisen. Dr. Jörg Hartung, Direktor eines TIHO- Instituts für Tierhygiene, Tierschutz und Nutztierethologie in Hannover stellt etwa die Frage, wie diese Hochleistungstiere noch artgemäß und tierschutzgerecht gehalten werden können. Er stellt fest, dass die meisten Tierschutz-Probleme in diesen Haltungen mit dem zu schnellen Wachstum der Tiere zusammen hängen, was zu Skelettdeformationen führt, die Schmerzen bei den Tieren hervorrufen und plädiert für andere Zuchtziele wie Verbesserung der Tiergesundheit und höhere Widerstandsfähigkeit (siehe dpa, 8.9.2010).

Die zuchtbedingt besonders ausgeprägte Brustmuskulatur der Tiere, die bis zu 40% ihres Körpergewichts ausmacht, verursacht Gleichgewichtsstörungen, schwere Schäden am Skelett-, Gelenk- und Bandapparat und verursacht dadurch mit Schmerzen verbundene Fehlstellungen der Gliedmaßen. Daher ist vielfach keine eigenständige Reproduktion mehr möglich, so dass in Elterntierherden überwiegend künstliche Besamung stattfindet (siehe Petermann, S., Geflügelhaltung, in: Richter, Hrsg. Krankheitsursache Haltung). Allgemein werden oben geschilderte Tatsachen als Qualzucht bezeichnet.

Anders als in der Hühnermast, wo Niedersachsen schlechtes und unzureichendes Vorbild für tierschutzrelevante Regelungen auf Bundes- und Europaebene war, gibt es für die Putenmast keine verbindlichen Regelungen. In Niedersachsen gibt es lediglich die freiwillige niedersächsische Putenvereinbarung zwischen Geflügelwirtschaft und Landesregierung. Die Besatzdichte beträgt laut dieser nds. Putenvereinbarung 45kg/50 kg pro m² bzw. 52kg/58kg pro m² unter Einhaltung leicht zu erfüllender, sogenannter Management Auflagen, wie z.B. das Einstreuen von Stroh. Die in Niedersachsen am häufigsten anzutreffende Besatzdichte dürfte 52 kg/ 58kg sein. Da sie neben der Stallstrukturierung eine zentrale Bedeutung zur Eindämmung des Kannibalismus unter den Tieren hat, muss sie deutlich abgesenkt werden.

Als eines der größten Putenmaststandorte in Europa hätte eine verbindliche Verbesserung der Regeln Vorbildcharakter für die Bundes- und Europaebene.

In der Intensivmast gehaltenen Puten werden bereits als Küken, laut Landesregierung, in der Brüterei die empfindlichen Oberschnäbel gekürzt. Dadurch sollen Federpicken und Kannibalismus verhindert werden, was auch durch veränderte Haltungsbedingungen wie mehr Platz pro Tier und strukturierte Ställe mit Beschäftigungsmaterial zu vermeiden wäre. Das Schnabelkürzen ist als Amputation gemäß Tierschutzgesetz sehr restriktiven Bedingungen unterlegen, wird aber in der industriellen Putenmast zu fast 100 % durchgeführt. In Niedersachsen in sechs Brütereien bis zu 56 Millionen Mal im Jahr! Nach Angaben des LAVES ist "dies ein sehr schmerzhafter Eingriff, vergleichbar mit einer Kieferamputation" (NDR vom 19.2.2009). Das LAVES geht davon aus, dass in der konventionellen Putenhaltung 100 Prozent der Küken gekürzte Schnäbel haben, denn nur dann können sie weiterverkauft werden.

Seit 2006 ist das Verfüttern von Antibiotika als Leistungsförderer in der Tiermast verboten. Trotzdem kommt es in der Intensivtierhaltung – auch in der Putenmast – zur systematischen Antibiotikafütterung der gesamten Tierherde, wenn einzelne kranke Tiere zu therapieren sind (Vgl. NDR vom 19.2.2009) Ein Kontrollschwerpunkt der Amtsveterinäre auf diesen Umstand ist erforderlich.

Subventionen für die Massentierhaltung stehen den Umwelt-, Tierschutz und Verbraucherschutzzielen des Landes massiv entgegen. Förderungen für Großschlachthöfe, wie die 6,5 Mio. € Landesgelder für den Geflügelschlachthof in Wietze, sind daher einzustellen.

Stattdessen sind tierschutzgerechte Haltungsformen von Puten verstärkt zu fördern und zu bewerben. Dazu gehören etwa das vom Deutschen Tierschutzbund unterstütze NEULAND- Programm oder die diversen Tierprogramme des Ökologischen Landbaus.

Die Strafen für Verstöße gegen den Tierschutz sind viel zu gering. So wurde laut Hannoverscher Allgemeiner Zeitung vom 21.8.2010 ein Putenmäster aus dem Kreis Cloppenburg, bei dem 3345 von 14935 Tieren umgekommen waren, lediglich zu einer Geldstrafe von 1500 Euro, also weniger als 50 Cent pro Pute verurteilt. Dabei wurde aufgrund des Urteils des Amtsgerichts festgestellt, dass den Puten "länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zugefügt" wurden. Andere Tiere waren "aufgrund schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigungen laufunfähig" und konnten laut Strafbefehl nicht mehr essen und trinken. Andere hatten Pickverletzungen oder konnten sich wegen extrem verdrehter Beingelenke nicht mehr bewegen. Der Fall wurde bereits vor drei Jahren durch ein ARD Magazin mit Hilfe von Bildern der Tierschutzorganisation PETA enthüllt. Ein Grund für die Verurteilung war auch die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung des Landwirts, dass die Fernsehbilder nicht aus seinen Ställen stammten.

Die von der ARD am 22.09.2010 gezeigten grausamen Aufnahmen aus Putenmastställen in Niedersachsen zeigen eindrücklich, dass die Tierqual in der Massentierhaltung von Puten weiterhin eher die Regel als die Ausnahme darstellt.

Im Sinne des Verfassungsauftrages Tierschutz (Art. 6b der Landesverfassung) und des Wunsches vieler Wählerinnen und Wähler, ist daher eine Neuregelung der Mindeststandards für die Putenhaltung überfällig.

Gabriele Heinen-Kljajic

Parlamentarische Geschäftsführerin

 

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