Antrag: Kommunalverfassungsrecht demokratisieren - Kommunalfinanzen reformieren

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Gegenwärtig plant die Landesregierung eine Reform des allgemeinen Kommunalverfassungsrechtes. Der Kabinettsentwurf dafür liegt vor. Hauptziel der Reform ist die Zusammenführung der NGO und der NLO. Daneben gibt es einige materiellrechtliche Änderungen, wie die Stärkung der Ratsautonomie. In dem Artikelgesetz soll auch das Kommunalwahlrecht geändert werden mit der Absicht zukünftig keine Stichwahlen mehr zuzulassen. Diese geplante Änderung bedeutet eine Schwächung von Bewerbern und Bewerberinnen kleinerer Parteien und Außenseiterkandidaten und -kandidatinnen, die im ersten Wahlgang so gut wie nie die meisten Stimmen erreichen. Daher lehnt der Landtag diese Neuregelung ab. Daneben unterlässt die Reform zwei wesentliche und kommunalpolitisch notwendige Ziele. Es gibt keinerlei Aufbruch für mehr direktdemokratische Elemente wie z.B. eine Reform des Bürgerentscheides und der Entwurf bleibt jede Antwort schuldig, wie die Kommunen aus ihrer derzeit desaströsen finanziellen Lage herauskommen sollen. Hier hat sich die Landesregierung auf eine Bundesarbeitsgruppe zur Reform der Kommunalfinanzen eingelassen, deren Ergebnisse auf sich warten lassen.

Der Landtag fordert im Zuge der Beratungen für ein einheitliches Kommunalverfassungsgesetz folgende Punkte zu berücksichtigen: 

  • Eine Dauer der Amtszeit des oder der Hauptverwaltungsbeamten und -beamtinnen von fünf Jahren für eine Wahlperiode;
  • Die Abschaffung der Mindestaltersgrenze von 23 Jahren für die Wählbarkeit zum Bürgermeister oder zur Bürgermeisterin. Die Wählbarkeit wird an die allgemeine Volljährigkeit gekoppelt; 
  • Die Wiedereinführung der hauptberuflichen Gleichstellungsbeauftragten für Gemeinden mit über 20.000 Einwohnerinnen;
  • Eine bürgerfreundliche Reform des Bürgerentscheides mit einer Ausweitung des Entscheidungskataloges, einer Absenkung der Beteiligungsquoren, gleichen Abstimmungsmodalitäten wie bei allgemeinen Wahlen und einer vorgeschriebenen Beratungspflicht der Gemeinde für die Antragsteller und Antragstellerinnen; 
  • Umfassendere Beteiligungsrechte für Kinder, Jugendliche und Seniorinnen und Senioren;
  • Eine Reform der wirtschaftlichen Beteiligungsrechtes ohne privaten Vorbehalt wie derzeit in § 108 NGO;
  • Beibehaltung der Stichwahl zum Hauptverwaltungsbeamten oder zur Hauptverwaltungsbeamtin im Kommunalwahlgesetz;
  • stärkere Kontrollrechte von Wahlbehörde und Wahlhelfern und Wahlhelferinnen bei hilfsbedürftigen Menschen in Einrichtungen zur Vermeidung von Manipulationen.

Der Landtag fordert darüber hinaus von der Landesregierung sich im Bundesrat und in der Bundesarbeitsgruppe "Reform der Kommunalfinanzen" für folgende Punkte einzusetzen:

  1. Die Gewerbesteuer als wichtigste kommunale Einnahmesteuer darf nicht abgeschafft, sondern muss ausgebaut und verstetigt werden. Notwendig ist eine breitere Bemessungsgrundlage.
  2. Weiteren Steuerreduzierungen eine klare Absage zu erteilen.

Begründung

Ende März 2010 hat das Innenministerium seinen Entwurf für das Niedersächsische Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG) – und weitere Gesetzesänderungen -, welches die bisher bestehende Gemeindeordnung, die Landkreisordnung und weitere Kommunalgesetze zu einem einheitlichen Gesetz zusammenfasst, zur Verbandsanhörung frei gegeben. Sinn und Zweck der Zusammenführung sind die Reduzierung von Vorschriften, Vermeidung von Doppelungen, Schaffung von Transparenz und mehr Verständlichkeit sowie die ehrenamtlichen Wirkungsmöglichkeiten zu erleichtern und verbessern. Daneben gibt es verschiedene weitere kleine materiellrechtliche Änderungen.

Es fehlen in dem Entwurf für ein einheitliches Kommunalverfassungsrecht echte Elemente für eine Revitalisierung der kommunalen Demokratie. Weder wird der Bürgerentscheid in Richtung mehr Entscheidungsbefugnisse reformiert noch werden die zu langen Wahlperioden der Hauptverwaltungsbeamten und -beamtinnen geändert. Der Antrag fordert daher eine bürgerfreundliche Reform des kommunalen Plebiszites in Niedersachsen und die Rückkehr zur fünfjährigen Amtszeit für die direkt gewählten Hauptverwaltungsbeamten und -beamtinnen. Es ist ein Gebot von Demokratie und Kontrolle, dass sich ein wichtiger Repräsentant oder eine wichtige Repräsentantin einer Gebietskörperschaft in sachgerechten zeitlichen Intervallen zur Wahl stellen muss. Die Bürger und Bürgerinnen müssen wiederum die Möglichkeit haben eine falsche Wahlentscheidung in angemessener Zeit zu revidieren. Daher ist die 8-jährige Wahlperiode von Hauptverwaltungsbeamten und -beamtinnen auf 5 Jahre zu verkürzen. Vor allen Dingen die unterschiedlichen Wahltermine von Kommunalparlamenten und Hauptverwaltungsbeamten und -beamtinnen durch unterschiedliche Länge der Perioden ist einer aktiven Beteiligung der Bürgerinnen und Bürgern abträglich.

Die Rückkehr zur hauptamtlichen Frauenbeauftragten in den Kommunen über 20.000 Einwohner ist eine verfassungspolitische Notwendigkeit, die sich aus Artikel 3 Abs. 2 ergibt. Die geforderte Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen ist weder in der Privatwirtschaft noch im Öffentlichen Dienst bisher erreicht. Nach wie vor sind vor allen Dingen in Leitungspositionen deutlich mehr Männer zu finden.

Die beabsichtigte Abschaffung einer Altersgrenze mit 68 Jahren muss die konsequente Abschaffung einer unteren Altersgrenze folgen. Es ist ein politischer und rechtlicher Wertungswiderspruch, wenn Minister und Ministerinnen und Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen keine gesetzlichen Altersvorgaben bis auf das allgemeine Volljährigkeitserfordernis kennen, aber die Wählbarkeit zum Bürgermeisteramt an bestimmte Altersgrenzen geknüpft wird.

Weiterhin muss das neue Kommunalverfassungsrecht die geltende restriktive Beteiligung von kommunaler Wirtschaftstätigkeit ändern. Der aktuell geltende privatwirtschaftliche Vorbehalt in § 108 NGO ist ein diskriminierender und unnötiger Beschränkungsparagraph für die Kommunen. Vielmehr ist in den letzten Jahren deutlich geworden, dass die Kommunalwirtschaft oftmals günstiger und professioneller ist als privatwirtschaftliche Unternehmen. Die derzeit stattfindende Rekommunalisierung von Stadtwerken ist dafür der beste Beweis. 

Die Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte von Jugendlichen und Seniorinnen und Senioren sollten im neuen Kommunalverfassungsrecht deutlich klarer erwähnt werden. Oftmals hängt z.B. die Einrichtung eines Seniorenbeirates nur vom guten Willen der Kommunalpolitiker und Kommunalpolitikerinnen ab.

Die Stichwahl im niedersächsischen Kommunalwahlgesetz muss beibehalten werden. Die Stichwahl stärkt die Legitimation, statt sie zu senken. Bei einer durchaus üblich hohen Bewerberinnenanzahl, könnte sonst ein Kandidat oder eine Kandidatin mit 20% der Stimmen gewählt werden kann. Damit wäre ein Kandidat oder eine Kandidatin gewählt gegen den sich bis zu 80% der Wähler und Wählerinnen entschieden hätten. Der  Vorschlag kann zu weiterer Politikverdrossenheit führen und würde eine Schwächung von Außenseiterkandidaten und -kandidatinnen und kleineren Parteien oder freien Wählerinnengemeinschaften bedeuten, da diese deutlich bessere Chancen in einem zweiten Wahlgang haben.

Bei der letzten Kommunalwahl wurden massive Manipulationen in einem Seniorenheim in Wietze/Landkreis Celle festgestellt. Der Fall erregte bundesweite Aufmerksamkeit. Solchen Manipulationsversuchen könnte zum Beispiel durch mobile Wahlvorstände vorgebeugt werden.

Das wesentliche und drängende Problem der niedersächsischen Kommunen ist die dramatische Finanzkrise. Darauf hat das Gesetzesvorhaben  keinerlei Einfluss und gibt keine Antwort wie dieses existenzielle Problem gelöst werden soll. Die Gemeinden stecken in einer dramatischen Situation und brauchen jetzt zügig finanzielle Hilfen. Die Bundesarbeitsgruppe zur Reform der Kommunalfinanzen wird frühestens in 2 Jahren Ergebnisse bringen. Das ist für die Kommunen zu spät, weil sich vor allem in den nächsten 1-2 Jahren die Kredite noch einmal stark erhöhen werden. Definitiv falsch sind alle Forderungen nach Abschaffung der  Gewerbesteuer. Die Gewerbesteuer muss vielmehr revitalisiert werden, so wie es auch die Städte und Gemeinden selbst fordern. Dafür muss die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer verbreitert werden. Zukünftig müssen auch die freien Berufe gewerbesteuerpflichtig werden. Es ist steuerpolitisch widersinnig, wenn Handwerksbetriebe und Einzelhändler gewerbesteuerpflichtig sind, aber große Anwalts- oder Wirtschaftsprüfungskanzleien mit zweistelligen Angestelltenzahlen und hohen Umsätzen und Gewinnen ausschließlich einkommenssteuerpflichtig sind. Belastbare und gerechte Alternativen für die Gewerbesteuer gibt es derzeit nicht. Eine höhere Umsatzsteuer und ein entsprechender kommunaler Anteil daran würde eine weitere Verlagerung von Unternehmenssteuern auf die allgemeine Bevölkerung bedeuten. Ein kommunales Hebesatzrecht auf die Einkommenssteuer würde die Stadt-Umland Konflikte massiv befördern, und ist daher demographisch, verkehrspolitisch und raumplanerisch kontraproduktiv. Daher fordert der Landtag die Landesregierung auf sich in den weiteren Beratungen für eine Reform der Kommunalfinanzen für die Beibehaltung und Ausweitung der Gewerbesteuer einzusetzen. Im Übrigen sind jedweden weiteren steuerpolitischen Entlastungsplanungen  klare Absagen zu erteilen. Bund, Länder und Kommunen befinden sich in einem gefährlichen Schuldensumpf. Es besteht daher keinerlei steuerpolitischer Entlastungsspielraum, wie auch die Wirtschaftsweisen festgestellt haben. Wer jetzt noch weitere steuerpolitische Entlastungen von Unternehmen und Bürgerinnen und Bürgern fordert oder solchen zustimmt, macht sich mitschuldig an einer gigantischen Überschuldung des Gemeinwesens.

Miriam Staudte

stellvertretende Fraktionsvorsitzende

Zurück zum Pressearchiv