Antrag: Kommunales Wahlrecht für Drittstaatsangehörige einführen

Fraktion der SPD                                                                                                
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

Ende des Jahres 2013 lebten rund 525.000 Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Niedersachsen, davon etwa 280.000 aus Nicht-EU-Staaten, also so genannte Drittstaatsangehörige. Das 18. Lebensjahr hatten davon wiederum ca. 200.000 Drittstaatsangehörige vollendet.

Anders als Unionsbürgerinnen und Unionsbürger ist es Drittstaatsangehörigen auch nach jahrelangem Aufenthalt in Deutschland verwehrt, das Zusammenleben politisch mitzugestalten, da sie nicht einmal auf kommunaler Ebene an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen dürfen. Dieser Teil unserer Bevölkerung ist von der politischen Teilhabe ausgeschlossen. Dabei sollen alle Menschen in Niedersachsen die Chance erhalten, sich aktiv an der Gestaltung ihres Wohn- und Lebensumfeldes zu beteiligen.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1.  sich auf Bundesebene für ein kommunales Wahlrecht für alle dauerhaft hier lebenden Menschen einzusetzen und zu diesem Zweck eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Artikels 28 Absatz 1 des Grundgesetzes mit dem Ziel, den Ländern die Ausweitung des kommunalen Wahlrechts zu ermöglichen, zu unternehmen.
  2. in einem zweiten Schritt nach Änderung des Grundgesetzes im oben genannten Sinne ei-ne Änderung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (NKomVG) anzustoßen.

Begründung

Der Vertrag von Maastricht vom 7. Februar 1992 hat allen Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern das aktive und passive Kommunalwahlrecht in dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem sie ihren Wohnsitz haben, eingeräumt. In Deutschland wurde diese Vorgabe noch vor Inkrafttreten des Vertrages durch die Einführung von Artikel 28 Abs. 1 S. 3 des Grundgesetzes umgesetzt. Drittstaatsangehörige hingegen sind weiterhin auch auf kommunaler Ebene von der Teilnahme von Wahlen und Abstimmungen ausgeschlossen. Wie es das Urteil des Staatsgerichtshofs Bremen vom 24. März 2014 belegt, ist es den Ländern nach überwiegender Auffassung verwehrt, eine eigenständige Regelung zu treffen. Hintergrund ist der Wortlaut des Artikels 28 Absatz 1 GG und der Umstand, dass laut Artikel 20 GG (Demokratieprinzip) alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Die gerichtlich vorgenommene Definition des Volksbegriffes hat nun ergeben, dass nach dem derzeitigen Wortlaut des Grundgesetzes das Volk keine Drittstaatsangehörigen umfasst. Durch Änderung von Artikel 28 Absatz 1 des Grundgesetzes sollen diejenigen hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzen, nach Maßgabe von Landesrecht bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden wahlberechtigt und wählbar sein. Zudem soll ausdrücklich klargestellt werden, dass die Einräumung des Wahlrechtes ebenfalls das Abstimmungsrecht auf kommunaler Ebene beinhaltet.

Somit bedarf es zur Einführung des Kommunalwahlrechts für Drittstaatsangehörige zunächst einer Grundgesetzänderung, bevor auf Landesebene entsprechende Regelungen im NKomVG eingeführt werden können. Einer Änderung der Niedersächsischen Landesverfassung bedarf es nicht, da diese lediglich das Wahlrecht zum Landtag, nicht aber das Kommunalwahlrecht regelt.

Wenn Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die seit drei Monaten in Deutschland gemeldet sind, bei Kommunalwahlen wählen dürfen, nicht aber Drittstaatsangehörige, die seit vierzig Jahren in Deutschland leben, widerspricht dies dem Rechtsempfinden eines Großteils der Bevölkerung.

Darüber hinaus steht die fehlende Möglichkeit der politischen Partizipation von Drittstaatsangehörigen in einem unauflösbaren Widerspruch zu dem überparteilichen integrationspolitischen Konsens. Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu wahren, zu stärken und zu gestalten, müssen Integration und Partizipation Hand in Hand gehen. Die Erweiterung des Kommunalwahlrechts auf Drittstaatsangehörige würde die Integrationsbemühungen von Drittstaatsangehörigen unterstützen und damit im Interesse der gesamten Gesellschaft liegen.

Die Erweiterung des Kommunalwahlrechts auf Drittstaatsangehörige findet zahlreiche Unterstützerinnen und Unterstützer in der Zivilgesellschaft. In anderen Staaten ist das Kommunalwahlrecht für Drittstaatsangehörige bereits Realität. Dazu gehören 16 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Teilweise ist das Kommunalwahlrecht für Drittstaatsangehörige von einer gewissen Aufenthaltsdauer abhängig, teilweise wird es aufgrund bilateraler Verträge gewährt, wenn beide Vertragsstaaten den jeweiligen Staatsangehörigen das Kommunalwahlrecht einräumen. In Island und Norwegen bestehen ähnliche Regelungen, ebenso in manchen Kantonen der Schweiz. Gleiches gilt für etliche Staaten außerhalb Europas, etwa Chile, Neuseeland und Uruguay.

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