Antrag: „Herdprämie“ stoppen - Geld in den Krippenausbau investieren - Bundesratsinitiative zur Verhinderung des Betreuungsgeldes

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der niedersächsische Landtag stellt fest:

Investitionen in die frühkindliche Bildung sind die Basis aller weiteren bildungspolitischen Maßnahmen.

Einsparungen beim Krippenausbau und Anreize für Familien, ihre Kinder nicht in einer Krippe betreuen zu lassen, stehen dem Ziel einer guten Bildung für alle und dem Gedanken des  sozialen Ausgleichs entgegen.

Das von der Bundesregierung geplante Betreuungsgeld in Höhe von 150 € pro Kind für Familien, die ihre Kinder im Alter von unter drei Jahren zu Hause betreuen, würde deshalb einen Fehlanreiz darstellen und Finanzmittel in eine falsche Richtung lenken.

Der niedersächsische Landtag fordert die Landesregierung auf:

  1. Eine Initiative in den Bundesrat einzubringen mit dem Ziel, kein Betreuungsgeld für unter-3-jährige Kinder einzuführen. Die Entscheidung im Bundestag darf nicht erst 2013 fallen.
  2. Die Mittel, die für ein Betreuungsgeld aufgebracht werden müssten, in den qualitativen Krippenausbau investieren.

Begründung:

Das Thema Chancen– und Bildungsgerechtigkeit beschäftigt eine große Anzahl von Wissenschaftler/innen und Fachleuten. Die Ergebnisse, von Sozialmedizin, Erziehungswissenschaft bis hin zur Volkswirtschaft kommen einhellig zu dem Ergebnis, dass Deutschland seine Bildungspolitik ändern muss. Deutschland ist das Land, das im EU-Vergleich die höchsten Transferleistungen direkt an Familien ausgibt. Diese Leistungen führen aber nicht zu mehr Bildungsgerechtigkeit. Die PISA-Studien, OECD-Studien, die Kinder- und Jugendberichte der Bundesregierung und andere zeigen deutlich, dass Investitionen in die Infrastruktur deutlich erfolgreicher sind. Deutschland hat eine enorm hohe Kinderarmut, viele Schulabbrecher und zementiert die soziale Segregation beim Übergang in die weiterführende Schule. Soziale Gerechtigkeit kann nur durch einen gerechten Zugang zu Bildungschancen erreicht werden. Krippen sind die frühsten Erziehungs- und Bildungseinrichtungen des Landes. Direkte Transfers, die wie das geplante Betreuungsgeld an alle Familien, unabhängig von ihrer Bedürftigkeit, gehen sollen, sind bildungspolitische Fehlinvestitionen.

Der Krippenausbau, mit dem Ziel bis zum Jahr 2013 für 35% aller Kinder unter 3 Jahren einen Betreuungsplatz zu schaffen, ist aufgrund der finanziellen Lage der Kommunen bereits jetzt gefährdet. Ob die 35% überhaupt ausreichen, um den ab 2013 geltenden Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz zu erfüllen, ist  anzuzweifeln. In den beim Ausbau engagierten Kommunen und in den östlichen Bundesländern werden schon zum Teil über 40% der Kinder unter 3 Jahren betreut. In einigen dieser Kommunen sind die Bundesmittel für den Krippenausbau bereits ausgegeben. Träger und Kommunen können die Finanzierung nicht allein tragen. Um den Rechtsanspruch gewähren zu können, bedarf es  weiterer Bundesmittel ab 2013. Davon würde Niedersachsen, das mit  12% erst ca. ein Drittel des Ausbauziels erreicht hat, besonders profitieren.

Eltern, die ihre Kinder bislang nicht in die Krippe geben, haben dafür sehr unterschiedliche Gründe. Vielerorts gibt es viel zu wenig Betreuungsplätzen für die Kleinstkinder. Häufig ist das Angebot nicht wirklich wohnortnah ("Kleine Kinder- kurze Wege" ist das Ziel) und es gibt für die Eltern keine Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Trägerschaft, des pädagogischen Konzeptes und des Standortes der Einrichtung. Für Kinder im Kindergartenalter haben Eltern diese Wahl.

Zu Recht kritisieren Eltern die mangelnde Qualität von Betreuungsangeboten für Kinder unter 3 Jahren. Experten weisen seit Jahren darauf hin, dass der Betreuungsschlüssel in Deutschland viel zu schlecht sei, um den Bedürfnissen von Kleinkindern zu entsprechen (in Niedersachsen liegt er bei einer Erzieherin für 7,5 Kinder; fachlich gefordert wird ein Schlüssel von mindestens 1:4). Eltern, die nicht auf einen Krippenplatz angewiesen sind, behalten ihre Kinder zu Hause, weil sie die Rahmenbedingungen als nicht ausreichend für die Förderung ihrer Kinder beurteilen. Die politische Antwort darf doch dann nicht heißen, den Eltern einen finanziellen Ausgleich anzubieten, sondern Krippen auf einen Stand zu bringen, der Bildung und Erziehung wirklich möglich macht.

Schätzungen gehen davon aus, dass die Einführung des Betreuungsgeldes von 1,3 Milliarden bis zu 2 Milliarden € jährlich kosten wird. Also möglicherweise bis zur Hälfte der Bundesmittel für den gesamten Krippenausbau (4 Milliarden). Mit dieser Summe könnte der weitere Ausbau bzw. die qualitative Verbesserung der Krippen enorm vorangebracht werden.

In Thüringen wurde 2007 ein Landeserziehungsgeld eingeführt für Eltern, die ihre 2- bis dreijährigen Kinder zu Hause betreuen wollen. Die Thüringer Landesregierung verfolgte hiermit das Ziel, Kosten für Kitas einzusparen. Diese Maßnahme hat zu einem eindeutigen Rückgang der in Krippen betreuten Kinder geführt. Ein Volksbegehren zur Verbesserung der Familienpolitik und u.a. zur Abschaffung des Landeserziehungsgeldes wurde gerade für zulässig erklärt.

Während bei Besserverdienenden durch das Betreuungsgeld unnötige Mitnahmeeffekte hervorgerufen werden, ist nicht klar, ob die 150,-€ bei Hartz IV-Empfängern nicht ebenso wie das Kindergeld angerechnet werden wird, die Familien also nicht einen Cent mehr Geld zur Verfügung hätten. 150,-€ können auch in einem Normalverdiener-Haushalt über den Krippenbesuch entscheiden, wenn man die eingesparten 200- 300,-€ Elterngebühr für die Kita hinzurechnet. In einem Geringverdiener-Haushalt zählt jeder Euro, der für Grundlebensmittel, Gas/Strom etc. ausgegeben werden kann. Die Familienhaushalte mit geringem Einkommen könnten sinnvoller durch indirekte Leistungen entlastet werden, z.B. durch kostenfreie Krippenplätze, kostenloses Mittagessen für Kinder, kostenloser Zugang zu Büchereien, Schwimmbädern und Vereinen. So könnte man dafür sorgen, dass das investierte Geld direkt bei den Kindern ankommt.

Um Kinderarmut zu verhindern, ist die bedarfsgerechte Anhebung der Kinderregelsätze bei Hartz IV der richtige Weg. Um die Erziehungsleistung von Familien anzuerkennen, könnte eine höhere Anrechnung auf die Rente eine geeignete Maßnahme sein. Kinderarmut entsteht in erster Linie durch Erwerbslosigkeit der Eltern und die Entscheidung für das Betreuungsgeld statt für einen Krippenplatz erschwert die Arbeitsplatzsuche.

Das Betreuungsgeld soll eingeführt werden, um die Erziehungsleistung von Eltern anzuerkennen und sie zu unterstützen. Eine Krippe mit guten pädagogischen Rahmenbedingungen kann diese Aufgabe viel nachhaltiger erfüllen.

Eine Kita kann für Eltern einen wichtigen Anker bieten. Eine gute Kita leistet Elternarbeit und Elternbildung, sie gibt Eltern Bestätigung und Anregung, ist Vorbild für den guten Umgang mit Kindern. Eine Kita bietet den Eltern Kontakte zu anderen Eltern und den Kindern Kontakte zu Erwachsenen und Kindern. Gleichzeitig bietet die Kita als  Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe nicht nur  Hilfe, sondern auch Kontrolle (das so genannte Doppelte Mandat). In Kitas findet aktiver Kinderschutz  statt.  Bei besonders gut ausgestatteten Kitas, die sich zu Familienzentren weiterentwickelt haben, werden darüber hinaus Angebote vor Ort z.B. von der Kinderärztin, der Erziehungsberatungsstelle, oder VHS-Kurse für Eltern stattfinden. Eltern, die mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind, hilft kein Geld; ihnen helfen Menschen, die sie unterstützen.

Bildung und Teilhabe an Gesellschaft sind Menschenrechte, die auch für Kinder unter 3 Jahren gelten.

Stellvertretende Fraktionsvorsitzende

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