Antrag: Haushalt 2012: Konsolidierung statt Wahlkampf – für ein zukunftsfähiges Niedersachsen statt für die Rettung schwarz-gelber Regierungen

 

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

  • Die Verabschiedung eines Doppelhaushaltes für die Jahre 2012/2013 ist sachlich nicht  begründet. Der damit verbundene Verzicht, die Politik der Landesregierung anhand konkreter Zahlen auch 2012 kurz vor der Landtagswahl zu beraten, missachtet demokratische und parlamentarische Rechte. Die Landesregierung ignoriert außerdem die wirtschafts- und finanzpolitisch bedingt unsichere Datenlage.
  • Mit dem gescheiterten Versuch die geltende Schuldenbremse der Niedersächsischen Verfassung (Art. 71 NV) zu missachten, offenbarte die Landesregierung ihren mangelnden Willen zur Haushaltskonsolidierung.  Nur massiver öffentlicher Druck  und die einhellige Ablehnung der Fachöffentlichkeit konnte die Landesregierung dazu bewegen, einen zumindest formal verfassungsgerechten Haushaltsentwurf vorzulegen.
  • Die immer bedrohlichere Ausmaße annehmende Finanzkrise in den südlichen Euroländern macht offenkundig, dass den Möglichkeiten, Aufgaben des Staates durch immer höhere Schulden zu finanzieren, deutliche Grenzen gesetzt sind. Deshalb ist das im Grundgesetz verankerte grundsätzliche Verbot, die Ausgaben des Landes ab dem Jahre 2020 durch Aufnahme zusätzlicher Kredite zu decken, richtig. Die Landesregierung ist aber bisher nicht annähernd in der Lage, eine unter den aktuellen Rahmenbedingungen realistische Perspektive zur Einhaltung des ab dem Jahre 2020 geltenden Neuverschuldungsverbots des Grundgesetzes vorzulegen.
    Selbst bei einem überdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum ist keine Reduzierung des strukturellen Defizits erkennbar. Für das Jahr 2012 fehlen dafür über 2 Mrd. €, die durch eine Nettokreditaufnahme von 1,225 Mrd. €, Entnahmen aus sogenannten Rücklagen nicht in Anspruch genommener Kreditermächtigungen vorheriger Jahre in Höhe von 638 Mio. €, Veräußerungserlöse und das Vorziehen der Steuerverbundabrechung mit den Kommunen auf das Jahr 2011 gedeckt werden.
  • Mit geplanten Ausgabensteigerungen von 5,1% gegenüber dem Jahr 2011 fällt der Anstieg mehr als doppelt so hoch aus, wie in den vergangenen Jahren.  Dies ist aufgrund der bereits vereinbarten Tariferhöhungen im Personalbereich und der zu erwartenden Sachkostensteigerungen von rund 2 % überzogen und dient offensichtlich dem Verteilen von Wahlgeschenken vor der kommenden Landtagswahl.
  • Das vom Landesrechnungshof im langjährigen Mittel auf 1,85 Mrd. € bezifferte strukturelle Defizit des Landeshaushaltes kann ohne eine Erhöhung der Einnahmen nicht ausgeglichen werden. Völlig abwegig ist in dieser Situation, wenn die Landesregierung einen weiteren Einnahmeausfall durch die auf Bundesebene vereinbarten Steuersenkungen akzeptiert, zumal die Maßnahmen den vorgeschobenen Zweck, die vorrangige Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen, nicht erfüllt. Das Problem der sich immer weiter öffnenden Schere bei der Entwicklung von Einkommen und Vermögen wird ignoriert. Eine weitere Schonung von großen Einkommen und Vermögen ist nicht mehr akzeptabel.
    Dies und die Bemühungen zur Bewältigung der Finanz- und Schuldenkrise, mit dem hohen Risiko, dass die SteuerzahlerInnen den größten Teil der Belastungen tragen müssen, stoßen bei einer wachsenden Zahl von Bürgerinnen und Bürgern auf Ablehnung. Diese Ablehnung kann sich zu einer ernsthaften Bedrohung unserer sozialen Marktwirtschaft auswachsen, wenn diese Tendenz neoliberaler Politik nicht umgekehrt wird.
  • Die für die Haushalte 2012 und 2013 vorgesehenen Entnahmen aus den sogenannten Rücklagen, durch die Umsetzung bisher nicht in Anspruch genommener Kreditermächtigungen verstoßen gegen das Jährlichkeitsprinzip der Haushaltsführung und das Budgetrecht des Parlaments. Sie verschleiern das tatsächliche Ausmaß der Unterfinanzierung der Haushalte.
  • Die im Frühsommer 2011 über die Umwandlung der stillen Einlagen hinaus vorgenommene Erhöhung des Stammkapitals der NordLB in Höhe von 500 Mio. € war laut Vorstand der  Bank materiell nicht erforderlich. Es war die einhellige Meinung aller am Beratungsprozess Beteiligten, dass die Eigenkapitalbasis und das Geschäftsmodell der NordLB eine stabile Situation sichert. Künftige Maßnahmen zur Stärkung des Kernkapitals der Bank sollen sicherstellen, dass das Engagement des Landes zurückgeführt werden kann.

Der Landtag fordert die Landesregierung daher auf:

  1. Keinen Doppelhaushalt zu verabschieden, sondern auch im Vorwahljahr 2012 einen Haushalt für 2013 zu beraten.
  2. Bis zur Verankerung einer neuen niedersächsischen Schuldenbremse den Art. 71 NV vorbehaltlos zu beachten.
  3. Statt einer unbrauchbaren Mipla ein belastbares Abbau-Konzept für das unverändert hohe strukturelle Defizit (lt. LRH 2,3 Mrd. € für 2012) des Landeshaushaltes zu erarbeiten und vorzulegen. Dabei sind auch die Haushaltsrisiken durch steigende Zinsausgaben, die Banken- und Staatsschuldenkrise und die Konjunkturabschwächung zu beachten.
  4. Bei unveränderten Aufgaben die Ansatzsteigerungen in den Personal- und Sachetats der Ressorts auf die bekannten Kostensteigerungen (rd. 2 %) zu begrenzen.
  5. Den von den Spitzen der schwarz-gelben Koalition im Bund ausgehandelten Steuersenkungen, die im Landeshaushalt mit dauerhaften Mindereinnahmen von rund 200 Mio. € zu Buche schlagen würden, im Bundesrat eine klare Absage zu erteilen.
  6. Im Bundesrat für eine angemessene Beteiligung großer Vermögen und hoher Einkommen an der Finanzierung unseres Gemeinwesens einzutreten, indem
    • der Spitzensteuersatz durch eine lineare Verlängerung des Steuertarifs auf 49% angehoben wird,
    • die Erbschaftssteuer unter Wahrung sachgerechter Freibeträge für Privatpersonen und Unternehmen deutlich angehoben und künftig ausschließlich an der Erbmasse statt am Verwandtschaftsverhältnis zum Erblasser bemessen wird,
    • Zinseinkünfte und Veräußerungsgewinne künftig nach dem individuellen Steuersatz statt durch eine pauschale Abgeltungssteuer von 25% besteuert werden,
    • die seit 1996 ausgesetzten Vermögenssteuer bei Erhöhung der Steuerfreibeträge für hohe Privat- und Betriebsvermögen in novellierter Form wieder eingeführt wird.
  7. Auf die Einlösung  von nicht in Anspruch genommenen Kreditermächtigungen der Vorjahre zu verzichten, soweit ihnen nicht Ausgabereste für Investitionen aus den entsprechenden Vorjahren gegenüberstehen.
  8. Die im Jahre 2011 aus Steuermehreinnahmen vorgenommene Erhöhung des Stammkapitals der NordLB in Höhe von 500 Mio. € schrittweise zurückzuführen.

Begründung

Die Finanz- und Weltwirtschaftskrise, die mit dem Platzen der Immobilienblase in den USA im Jahr 2008 ihren Ausgang nahm, ist längst nicht überwunden, sondern hat mit der derzeitigen Schuldenkrise, die auch für die Konjunktur und die öffentlichen Haushalte in Deutschland zu einer erneuten erheblichen Belastung werden kann, lediglich ihren Charakter geändert. Entscheidend zur Vermeidung künftiger Finanzkrisen sind deshalb Schuldenbremsen – und zwar für Staat, Banken und private Verschuldung gleichermaßen

Die Niedersächsische Landesregierung ist jedoch damit gescheitert, die Neuverschuldung entscheidend zu senken. Trotz einer günstigen Einnahmesituation und sehr günstiger Kreditzinsen werden im kommenden Jahr voraussichtlich über 2,1  Milliarden € fehlen, um die geplanten Ausgaben aus den laufenden Einnahmen zu decken. Das Vorlegen eines Doppelhaushaltes 2012/2103 ist sachlich völlig unbegründet und dient einzig dem Zweck, das Scheitern der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen in ihrem zentralen politischen Vorhaben aus dem kommenden Landtagswahlkampf heraus zu halten. Nicht zuletzt aufgrund der nach wie vor fragilen konjunkturellen Situation sind Kalkulationen der Einnahmen und Ausgaben des Landes im Jahre 2013 mit so erheblichen Unsicherheiten behaftet, dass die Notwendigkeit eines Nachtragshaushalts 2013 auch unanhängig vom Ausgang der Landtagswahl schon heute als sicher gelten kann. Zudem wird das Recht des Parlaments, jährlich den aktuellen Erfordernissen entsprechend über den Haushalt zu entscheiden, mit Verabschiedung eines Doppelhaushalts erheblich beschnitten.

Besonders kommt das haushaltspolitische Scheitern der Landesregierung auch in ihrer zunächst verfolgten Absicht zum Ausdruck, ausgerechnet die seit 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse als Begründung zur Vorlagen eines gegen die Niedersächsische Verfassung verstoßenden Haushalts mit deutlich oberhalb der eigenfinanzierten Investitionen vorgesehener Neuverschuldung vorzulegen. Es ist ein einmaliger Vorgang, dass die bereits gedruckten Haushaltspläne noch vor ihrer Verteilung an die Mitglieder des Landtages zum Teil Makulatur waren. Die späte und erkennbar widerwillig vollzogene Rückkehr auf den Boden der Verfassung ist nicht später Einsicht, sondern ausschließlich einem massiven Druck der Öffentlichkeit geschuldet.

Die Begrenzung der Nettoneuverschuldung auf das Niveau der eigenfinanzierten Investitionen wird auch nicht über Einsparungen bei den gegenüber dem Vorjahr nominal (über den voraussichtlichen Tarif- und Kostensteigerungen von rund 2% hinausgehenden) um rund 3% ausgeweiteten Ausgabenansätzen, sondern über Buchungstricks zur formalen Ausweitung der Investitionen erreicht. Einen solchen Wahlgeschenke-Haushalt kann sich Niedersachsen nicht leisten.

Trotz der vollmundig in der offenkundigen Vermutung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Regierungsverantwortung zu sein vorgetragenen Zielstellung, die Schuldenbremse bereits ab dem Jahre 2017 einzuhalten, hat die Landesregierung bisher kein Konzept, wie dieses Ziel 2017 bzw. spätestens im Jahre 2020 tatsächlich erreicht werden soll. Die aktuell günstige konjunkturelle Situation, die dazu geführt hat, dass die letzten vier Steuerschätzungen jeweils nach oben korrigierte Einnahmeerwartungen gezeitigt haben, ein historisch günstiges Zinsniveau mit trotz deutlich höheren Schuldenstandes signifikant rückläufigen Zinsausgaben und nicht zuletzt, der möglicherweise nur noch bis zur Entscheidung des Staatsgerichtshofes über die anhängige Klage mögliche Buchungstrick, sogenannten Rücklagen aus nicht in Anspruch genommenen Kreditermächtigungen zum Haushaltsausgleich einzusetzen, verschleiern die tatsächliche Situation. Ohne höhere Einnahmen wird der Niedersächsische Landeshaushalt nicht auszugleichen sein, wenn bei wichtigen Zukunftsinvestitionen wie Bildung und Klimaschutz deutliche und in ihren Auswirkungen fatale Einschnitte vermieden werden sollen. Dem Ministerpräsidenten fehlen Kraft und Mut, sich im Bundesrat und gegenüber seiner Parteivorsitzenden und Bundeskanzlerin Angela Merkel für eine aufgabengerechte Finanzausstattung Niedersachsens und eine angemessenen Beteiligung hoher Einkommen und Vermögen an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben einzusetzen.

Eine stärkere Beteiligung hoher Einkommen und Vermögen an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben ist nicht zuletzt auch aus grundsätzlichen wirtschafts- und sozialpolitischen Erfordernissen unverzichtbar. Da jeder Schuld eine Vermögensposition gegenüber steht, ist die aktuelle Krise der öffentlichen Haushalte zugleich eine Krise der Vermögensverteilung. Das private Vermögen konzentriert sich immer stärker auf einige wenige. Die auch in den kommenden Jahren sicherlich gegenüber den Einkommen aus Arbeit deutlich schneller steigenden Einkommen aus Vermögen und nicht zuletzt der demografische Wandel werden diese Vermögenskonzentration in den kommenden Jahren deutlich beschleunigen. Ohne die privaten Vermögen angemessen an der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben zu beteiligen, wird das derzeitige Missverhältnis zwischen Schulden und Vermögen auf der einen und realer Wirtschaftsleistung auf der anderen Seite nicht in Einklang zu bringen und damit die Krise nicht zu überwinden sein. Die Bürgerinnen und Bürger sind zudem nicht mehr bereit hinzunehmen, dass um den hohen Preis der rasanten Zunahme der Verschuldung öffentlicher Haushalte Banken und damit Vermögen aus öffentlichen Kassen gerettet werden, während die Beschäftigten auf reale Einkommenszuwächse verzichten und Transferempfänger sogar reale Einbußen hinnehmen müssen. Die Occupy-Bewegung und die ihr aus breiten Bevölkerungskreisen entgegen gebrachte Sympathie zeigen dieses sehr eindrücklich.

Statt jedoch dieser offenkundigen fiskal- und gesellschaftspolitischen Schieflage entgegen zu wirken, tut die Landesregierung das Gegenteil: Zu den von den Koalitionsspitzen in Berlin geplanten Steuersenkungen zur Rettung der siechen FDP, von der vor allem Besserverdienende profitieren und den niedersächsischen Landeshaushalt mit weiteren Einnahmeausfällen von 200 Mio. € belasten würden, ist vom niedersächsischen Ministerpräsidenten nur beredtes Schweigen vernehmbar.

Bis durch entsprechende steuerpolitische Beschlüsse des Bundes die Ausgaben des Landes bei sparsamer Haushaltsführung mit klarer Prioritätensetzung auf Bildung und Klimaschutz mit den Einnahmen in Einklang zu bringen sind, muss in gewissem Umfang Landesvermögen zur Finanzierung der erforderlichen Ausgaben eingesetzt werden. Die Kapitalerhöhung des Landes bei der NordLB über die Umwandlung der stillen Einlagen in Stammkapital hinaus, kann dafür zurück gefordert werden. Sie wurde nicht aus sachlicher Notwendigkeit, sondern ausschließlich vorgenommen, um die Landesbank über die Hürde eines für die konkrete Situation der NordLB hinsichtlich seiner Eigenkapitalbestimmungen unsinnigen Bankenstresstests der Europäischen Bankenaufsicht zu bringen. Für die Hessische Landesbank, die als eine der wirtschaftlich gesündesten Landesbanken Deutschlands gelten kann, hat diesen Stresstest nicht bestanden, ohne das dies erkennbar  schwerwiegende Folgen für die Bank gehabt hätte.

Stefan Wenzel
Fraktionsvorsitzender

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