Antrag: Grundrechte und Selbstbestimmung bei der Reform des Betreuungsrechts stärken!

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Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Hannover, den 21.04.04

Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
I. Der Landtag begrüßt die mit dem Ländergesetzentwurf zur Reform des Betreuungsrechts verfolgten Leitgedanken, die Selbstbestimmung der Betroffenen zu stärken, Betreuungen nach dem Betreuungsrecht durch vermehrte Einrichtung von Vorsorgevollmachten zu vermeiden, den Vorrang der Rehabilitation heraus zustellen, höhere Bereitschaft zu ehrenamtlichen Betreuungen zu wecken, zu einer Reduzierung des Verwaltungsaufwands beizutragen und zu einer Vereinfachung des Verfahrensrechts zu kommen. Der Landtag unterstützt zugleich das Bemühen der Länder, durch die Reform zu einer Eindämmung der Kosten im Betreuungswesen zu gelangen.
II. Die Landesregierung wird aufgefordert, bei den anstehenden Beratungen des Bundesrates zur Reform des Betreuungsrechts nachzubessern und dafür einzutreten, dass
1.) die ambulante Zwangsbehandlung (neuer § 1906a BGB) abgelehnt wird und für eine Erhöhung der rechtlichen Voraussetzungen zur Einweisung von Betreuten in stationäre psychiatrische Einrichtungen Regelungen im Sinne der Bestimmungen des Niedersächsischen PsychischKrankengesetzes (NPsychKG) im Betreuungsrecht eingeführt werden,
2.) keine automatische gesetzliche Vertretungsvollmacht zwischen Ehepartner und zwischen Eltern und Kinder institutionalisiert wird,
3.) die vorgesehenen Pauschalen zur Vergütung der Berufsbetreuerinnen und Betreuer nach Schwierigkeitsgraden differenziert werden,
4.) für bestimmte schwerwiegende Maßnahmen des Betreuungsrechts der Richtervorbehalt beibehalten wird,
5.) der/die Betreute im Verfahren nicht zwingend von einem Rechtsanwalt vertreten wird, sondern vorrangig der Einsatz ehrenamtlicher Verfahrenspfleger geprüft wird,
6.)
7.) nicht auf die Durchführung eigener Sachverständigengutachten zur Anordnung der Betreuung und weiterer beschränkender Maßnahmen verzichtet werden darf,
8.) die Einführung eines einheitlichen Berufsbildes und eine ausreichende Qualitätssicherung bei den Betreuerinnen und Betreuern voran getrieben wird,
III. Die Landesregierung wird aufgefordert, die Querschnittsarbeit der Betreuungsvereine zur Anwerbung und Schulung von ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuern zu stärken, die Beratungsarbeit der Vereine z.B. zur Einrichtung von Vorsorgevollmachten zu intensivieren und für eine diesem Bedarf angemessene Finanzierung zu sorgen.

Begründung
Zu I:
Das Betreuungsrecht wurde 1992 vollkommen neu gefasst und löste das alte Vormundschaftsrecht ab, das als nicht mehr zeitgemäß empfunden wurde. Die Reform sollte die Rechte der Betroffenen stärken, ihre Würde schützen und ihnen helfen, eigene Kompetenzen zu erhalten und wieder zurück zu gewinnen.
In der Realität haben sich die Neuregelungen des Betreuungsrechts im Wesentlichen bewährt. Allerdings haben die demografische und gesellschaftliche Entwicklung dazu geführt, dass die Anzahl der Betreuungen in einem Maße gestiegen ist, wie sie mit den vorhandenen Ressourcen kaum noch zu bewältigen sind. Für die inzwischen fast 1 Million Betreuungsfälle entstehen den Ländern erhebliche Kosten. Für die nächsten 20 Jahre wird eine Verdoppelung der Fallzahlen prognostiziert. Es sind daher Lösungen gefragt, die zu einer verbesserten Ausnutzung vorhandener Ressourcen führen und unnötigen Arbeits- und Kostenaufwand vermeiden. Dabei müssen durch die Betreuungsrechtsreform 1992 geschaffene Standards und das Leitbild der ”šPersönlichen Betreuung’ unbedingt erhalten werden.
Eine Bund-Länder-Kommission hat sich seit dem Jahr 2001 im Auftrag der Landesjustizminister mit der Situation im Betreuungsrecht befasst. Sie hatte im Juni 2003 einen Endbericht vorgelegt, der einen Gesetzentwurf zu einer erneuten Reform betreuungsrechtlicher Vorschriften enthält. Der Entwurf wurde von der Herbstkonferenz der Justizminister am 6.11.2003 gebilligt und anschließend von den Ländern als eigener Gesetzentwurf in die Beratungen des Bundesrates eingebracht. Dort wurde er mit Änderungen beschlossen und der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag zugeleitet. Inzwischen wurde der Gesetzentwurf der Länder in erster Lesung im Deutschen Bundestag am 4. März 2004 debattiert.
Die von dem Gesetzentwurf intendierte Stärkung des freien Willens der Betroffenen, der vermehrten Einrichtung von Vorsorgevollmachten, die größere Betonung des Subsidiaritätsgedankens, die Konkretisierung des Rehabilitationsprinzips, die Vereinfachung des Verfahrensrechts, die Stärkung der ehrenamtlichen Betreuungen und die Reduzierung des erheblichen Verwaltungsaufwandes in der Rechtspflege bei der Verwaltung und Abrechnung von Betreuungskosten werden unterstützt.
Zu II:
Der Gesetzentwurf enthält allerdings auch einige juristisch hoch umstrittene Vorschläge, die weder praktikabel noch dazu geeignet sind, die Rechte der möglicherweise Betroffenen zu stärken und deren Selbstbestimmung zu fördern. Dazu gehört die Einführung der gesetzlichen Vertretungsmacht für Ehegatten und zwischen Eltern und Kindern. So ist es in der sozialen Wirklichkeit z.B. höchst problematisch, generell eine Vollmacht für Ehepartner einzuführen, wenn diese sich z.B. während ihrer Ehe noch nicht einmal eine gegenseitige Vollmacht über ihre Konten erteilt haben. Auch sind überhaupt nur ca. 13 % der Betreuten verheiratet. Eine gesetzliche Vertretungsbefugnis zwischen Eltern und Kindern wiederum ist dann problematisch, wenn psychische Erkrankungen im Familienverband ursächlich in den Beziehungen zwischen Eltern und ihren Kindern begründet sind.
Die von Bayern geforderte ambulante Zwangsbehandlung in einem neuen § 1906 a ist abzulehnen. Sie widerspricht dem grundsätzlich als vorrangig anzusehenden Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen und konterkariert den sozialpsychiatrischen Ansatz einer die Anwendung von Zwang mindernden Umgehensweise mit dem/der Erkrankten. Einer möglicherweise bestehenden Fremd- oder Eigengefährdung kann grundsätzlich mit den vorhandenen rechtlichen Regelungen zur Unterbringung begegnet werden. Untersuchungen der Universitätsklinik Göttingen belegen allerdings, dass Betreute durch Betreuerinnen und Betreuer öfter zur Behandlung in die stationäre Psychiatrie eingewiesen werden als es nach dem niedersächsischen PsychischKrankengesetz (NPsychKG) geschieht. Die Schwellen zur Einweisung sollten daher im Betreuungsrecht nach dem Vorbild des NPsychKG angehoben werden
Die Einführung der Pauschalierung bei der Vergütung der Berufsbetreuerinnen und Betreuern kann zu ungewollten Effekten führen, wenn sie aus Gründen der Arbeitserleichterung und der Einkommenskalkulation der Betreuerinnen und Betreuer zu vermehrten Einweisungen von Betreuten in Heime führt oder die Zuweisung einfacherer Betreuungsfälle an ehrenamtliche Betreuerinnen dadurch geschmälert wird. Die so genannten Fallpauschalen sollten daher generell nach dem Schwierigkeitsgrad der Betreuungsleistungen typisiert und damit differenziert werden. Angesichts vielfältig festgestellter Qualitätsmängel im Berufsbetreuungswesen ist u.a. durch Einführung eines einheitlichen Berufsbildes und andere geeignete Maßnahmen die Qualität der Betreuungen zu sichern und zu steigern.
Die Übertragung von Aufgaben im Betreuungsbereich auf die Rechtspflege begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Für bestimmte schwerwiegende Maßnahmen wie z.B. die Vorführung zur Anhörung und Untersuchung, die Unterbringung oder die Genehmigung von ärztlichen Behandlungen ist der Richtervorbehalt beizubehalten. Auf die Erstellung gesonderter zeitnaher Sachverständigengutachten darf nicht verzichtet werden, da für andere Zwecke angefertigte Gutachten nicht dafür geeignet sind, zu einer für die Situation des Betroffenen angemessenen und geeigneten Beurteilung seiner psychosozialen Lage zum Zwecke der Einrichtung einer Betreuung zu kommen.
Nicht für jedes Verfahren ist zwingend die Vertretung des/der Betreuten durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte notwendig. Hier sollte es alternativ zu einer Stärkung der ehrenamtlichen Verfahrenspflegschaft kommen.
Zu III:
Die Aufwendungen des Landes für die Arbeit der Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuer stehen nach wie vor in einem erheblichen Missverhältnis zu den Aufwendungen für die Querschnittsarbeit der Betreuungsvereine. Während für die Leistungen der Berufsbetreuerinnen und Betreuer im Justizhaushalt inzwischen ein Betrag von ca. 45 Mio. Euro (mit steigender Tendenz) aufgebracht werden muss, stehen für die Betreuungsvereine, die vor allem die ehrenamtlichen Betreuungen stärken und befördern sollen, nur 793.000 Euro im Haushalt des Sozialministeriums bereit. Dem Grundgedanken der Förderung des Subsidiaritätsprinzips wird das keinesfalls gerecht. Es wird auch nicht der Forderung des Gesetzentwurfes der Länder gerecht, die Beratungstätigkeit der Betreuungsstellen und Betreuungsvereine z.B. bei der Einrichtung von Vorsorgevollmachten zu intensivieren. Die Förderung der Vereine wurde zudem von der alten Landesregierung derart eingeschränkt, dass die Vereine Eigenmittel durch eigene Berufsbetreuungen einwerben müssen. Die Landesregierung ist daher dringend aufgefordert, Zeichen im Sinne der von den Ländern beschlossenen Gesetzesreform zur Stärkung des ehrenamtlichen Betreuungswesens zu setzen. Dabei sollen im Sinne von "best practice" auf die Erfahrungen der kommunalen Gebietskörperschaften mit höherer Quote an Ehrenamtlichkeit zurückgegriffen werden.
Stv. Fraktionsvorsitzende

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