Antrag: Gesamtkonzept für die LehrerInnenbildung in Niedersachsen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

Das schlechte Abschneiden bei nationalen und internationalen Schulleistungsstudien hat den großen Reformbedarf der Schulen sichtbar gemacht. Angesichts der Tatsache, dass Wissen und die Fähigkeit, das Wissen sinnvoll anzuwenden, zu den wichtigsten gesellschaftlichen Ressourcen und zu entscheidenden Voraussetzungen einer nachhaltigen Entwicklung moderner Gesellschaften geworden sind, ist es Aufgabe der Schule, die erforderliche Kompetenzentwicklung zu ermöglichen.  

Die Schulen müssen der großen Heterogenität ihrer Schülerschaft besser gerecht werden und jedes Kind individuell in seiner Entwicklung unterstützen. Dazu müssen Lehrkräfte über entsprechende Kompetenzen verfügen. Vor diesem Hintergrund kommt der Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern sowohl in der Erstausbildung als auch in der berufsbegleitenden Fort- und Weiterbildung eine besondere Bedeutung zu.

Derzeit fehlt in Niedersachsen ein schlüssiges Gesamtkonzept zur LehrerInnenbildung, das Aus-, Fort- und Weiterbildung umfasst. Statt vereinzelter Programme, wie dem Ende Juli 2012 vom Ministerium für Wissenschaft und Kultur aufgelegten Hochschulprojekt zur Stärkung der Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften, braucht die LehrerInnenbildung in Niedersachsen eine grundlegende Reform.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, folgende Punkte umzusetzen:

I.       Die LehrerInnenbildung soll so gestaltet werden, dass sie die zukünftigen Lehrkräfte in die Lage versetzt, gemeinsames Lernen von  heterogenen Gruppen zu ermöglichen, statt schon im Studium durch eine schulformbezogene Ausbildung ein professionelles LehrerInnenhandeln zu verfestigen, das Lernen in einem nach vermeintlicher Befähigung gegliederten Schulwesen denkt. Die Ausbildung der Lehrkräfte für allgemeinbildende Schulen soll zukünftig grundsätzlich schulstufenbezogen statt nach Schulformen differenziert gestaltet werden und in sechs Bereiche gegliedert werden:

1.       Elementarbereich: Elementarpädagogen und -pädagoginnen für vorschulische Angebote mit Bachelor-Abschluss.

2.       Primarbereich: Lehrkräfte für die Grundschule mit Masterabschluss.

3.       Die Ausbildung für den Elementarbereich und den Primarbereich beginnt mit einem gemeinsamen Bachelorstudiengang. Sie schließt für den Elementarbereich mit dem Bachelor ab, für den Primarbereich wird sie mit einem eigenen Masterstudiengang fortgeführt.

4.       Sekundarbereich I: Lehrkräfte für den Sekundarbereich I aller Schulformen mit Masterabschluss.

5.       Sekundarbereich II an allgemein bildenden Schulen: Lehrkräfte mit Schwerpunkten für den Sekundarbereich II der allgemeinbildenden Schulen mit Masterabschluss.

6.       Lehrkräfte für den Sekundarbereich II können auch im Sekundarbereich I und an Berufsbildenden Schulen eingesetzt werden.

7.       Sekundarbereich II an Berufsbildenden Schulen: Lehrkräfte mit Schwerpunkt für den Sekundarbereich II an Berufsbilden Schulen mit Masterabschluss.

8.       Sonderpädagogik/Inklusive Didaktik: Lehrkräfte für inklusiven Unterricht an allen Schulformen einschließlich der Förderschulen. In der Ausbildung für Sonderpädagogik/Inklusive Didaktik erfolgt im Masterstudiengang eine Spezialisierung für den Unterricht im Primarbereich bzw. im Sekundarbereich.

II.      Eine grundlegende Reform der LehrerInnenbildung soll auf den Weg gebracht werden, um die unterschiedlichen Bildungsphasen der LehrerInnenbildung aus einem Guss anbieten zu können. Zukünftig soll die LehrerInnenbildung in drei Phasen gegliedert sein:

1. Phase: Universitäre Ausbildung

Bachelor – Neben fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Ausbildung, Erwerb von berufsfeldbezogenem und pädagogischem Wissen und eines konzeptionell-analytischen Selbstverständnisses als Lehrperson mit frühem systematischen Praxisbezug

Master –  Aufbau reflexiver, wissenschaftsbasierter Handlungskompetenzen und fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Qualifikation

2. Phase: Vorbereitungsdienst an einem Studienseminar

Vertiefung berufsfeldbezogener Handlungskompetenzen

3. Phase: Unterstützter Berufseinstieg und obligatorische berufsbegleitende Fort- und

Weiterbildung

III.     Um Forschung und Lehre an berufsfeldorientierte, fachliche, fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Anforderungen anpassen zu können, soll die bisher über unterschiedliche Fachbereiche und Fakultäten verstreute LehrerInnenbildung inneruniversitär besser gesteuert und koordiniert werden.

·          An den lehrerInnenbildenden Hochschulen sollen Zentren zur Professionalisierung der LehrerInnenbildung eingerichtet werden, in denen Schul- und Unterrichtsforschung und berufsfeldbezogene Ausbildung in den Bildungswissenschaften, Fachwissenschaften und –didaktiken miteinander verbunden werden. Die Einbindung der Fachwissenschaften in die Zentren soll dabei die gemeinsame Verantwortung aller an der LehrerInnenbildung beteiligten Bereiche und Personen verdeutlichen.

·          Den Zentren soll die Befugnis zur internen Mittelvergabe für die LehrerInnenbildung erteilt werden. Außerdem sollen sie zur Vorlage eines Entwicklungsplans für den Ausbau der Fachdidaktiken verpflichtet werden. Um die Steuerung der o.g. Kooperationen zwischen den Schulen, Studienseminaren und den Universitäten leisten zu können, sollen den Zentren darüber hinaus finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

IV.     Zukünftig sollen alle LehrerInnen dazu befähigt werden, inklusiv unterrichten zu können.

·          Inklusion soll als Querschnittsaufgabe in alle Bildungsgänge für LehrerInnen integriert werden. Um zukünftig die Einbindung des Themenbereichs Inklusion in die LehrerInnenbildung zu gewährleisten, sollen langfristig sonderpädagogische Institute mit einem Angebot der inklusiven Didaktik auch an den lehrerInnenbildenden Hochschulen eingerichtet werden, an denen bisher noch keine vorhanden sind.

V.      Die Praxisphasen im Studium sollen so ausgebaut und begleitet werden, dass sie die Studierenden in die Lage versetzen, ihre Eignung für den LehrerInnenberuf realistisch und rechtzeitig vor Eintritt ins Master-Studium abschätzen zu können. Der Bachelorabschluss soll polyvalent bleiben, also auch andere berufliche Wege ermöglichen, oder über den Master zum Lehramtsabschluss führen.

·          Im Bachelorstudium soll die fachwissenschaftliche und fachdidaktische Grundlegung der beiden Unterrichtsfächer und die Berufsorientierung und –erprobung im Rahmen der Praxisphasen im Mittelpunkt der Ausbildung stehen. Dafür sollen vor Studienbeginn alle Lehramtsstudierenden die Möglichkeit zur Selbstüberprüfung ihrer Studienwahl im Rahmen eines schulischen Eingangspraktikums in der Schulform ihrer Wahl erhalten. Dieses Praktikum und ein Praxissemester in der Bachelorphase für alle Studierenden mit dem Ziel des Masterabschlusses sollen die Selbstreflexion der Studierenden bezüglich ihrer individuellen Passung zum Lehrberuf ermöglichen und den entsprechenden Rollenwechsel vorbereiten.

·          Am Ende der Bachelorphase soll ein Assessment mit berufsrelevanten Aufgaben durchgeführt werden, in dem die Studierenden eine Empfehlung bezüglich ihres weiteren Weges zum Lehrberuf erhalten sollen.

·          Es soll sichergestellt werden, dass zur Erfüllung dieser Aufgaben folgende Bedingungen gegeben sind:

-   Die Praxisphasen müssen in ein curriculares Gesamtkonzept eingebettet sein und vorbereitet, begleitet und ausgewertet werden,

-   die personelle und organisatorische Infrastruktur zur Unterstützung der Selbstreflexion der Studierenden über ihre individuelle Eignung für den Lehrberuf muss geschaffen werden und

-   es ist ein MentorInnensystem von zertifizierten MentorInnen aus Hochschulen, Studienseminaren und Praktikumsschulen zu schaffen.

·          Grundsätzlich soll allen BachelorabsolventInnen der Übergang in das Masterstudium ermöglicht werden. Dafür sollen entsprechende Studienplatzkapazitäten vorgehalten werden.

·          Die Ausbildung im Masterstudium soll zukünftig so gestaltet werden, dass sie der fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Vertiefung, der Entwicklung unterrichtlicher Grundfertigkeiten in den beiden Unterrichtsfächern und der Erforschung des Fachunterrichts mit Hilfe fachbezogener Methoden der Unterrichtsforschung dient.

VI.     Die Ausbildung im Vorbereitungsdienst an den Studienseminaren soll weiterentwickelt werden.

·          Die Ausbildung im Vorbereitungsdienst soll ebenso wie in der ersten Phase der Ausbildung schulstufen- und nicht schulformbezogen erfolgen.

·          Die Ausbildung im Vorbereitungsdienst soll sich an einem „Kerncurriculum LehrerInnenbildung“ orientieren. Sie soll Kernkompetenzen in den Bereichen Unterrichtsentwicklung, Umgang mit heterogenen Leistungsprofilen sowie kultureller und sozialer Heterogenität, Elternarbeit und Schulentwicklung vermitteln und die Fähigkeit zur Reflexion des eigenen beruflichen Handelns stärken.

·          Im Vorbereitungsdienst sollen Beratung und Bewertung stärker getrennt werden.

·          Die Ausbildung in den verschiedenen Phasen der Lehrerinnenbildung soll durch die intensive Zusammenarbeit der beteiligten Einrichtungen verbessert werden. Hierfür sollen regionale Kooperationsverbünde zwischen Universitäten, Studienseminaren, bisherigen Fortbildungseinrichtungen und Schulen aufgebaut werden, die mit einer klaren Struktur und gemeinsamen Steuerungsebenen eine bessere Kooperation aller beschriebenen Phasen der LehrerInnenbildung mit der Fortbildung und eine Optimierung der jeweiligen institutionellen Stärken gewährleisten sollen.

VII.    Die Berufseinstiegsphase der Lehrkräfte für den Start in die ersten drei Berufsjahre des LehrerInnenberufs soll so weiterentwickelt werden, dass die Motivation der Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger genutzt und gestärkt wird, die Ausbildungseffekte der ersten Ausbildungsphasen gesichert werden und die Grundlage für die weitere berufsbegleitende LehrerInnenbildung gelegt wird.

·          Es soll ein Beratungs- und Unterstützungsangebot aufgebaut werden, das den BerufseinsteigerInnen für die Bewältigung der Anforderungen in der Startphase sowie den Schulen im Rahmen ihres Qualitätsmanagements bei der Entwicklung eines schulischen Berufseinstiegskonzepts zur Verfügung steht. Unterstützungsangebote wie Coaching, Supervision und Fortbildung sollen von den neu zu schaffenden Zentren für LehrerInnenbildung entwickelt und koordiniert werden und sind obligatorisch für alle Lehrkräfte in der Berufseinstiegsphase.

·          Es sollen Modelle geprüft werden, die eine Reduzierung der Belastungen der BerufseinsteigerInnen ermöglichen.

VIII.   Die berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer soll so ausgebaut werden, dass die professionellen Kompetenzen der Lehrkräfte kontinuierlich aktualisiert und weiterentwickelt werden.

·          Die regionalen Kompetenzzentren für LehrerInnenfortbildung an den Universitäten sollen ein qualifiziertes Fort- und Weiterbildungsangebot für die Lehrkräfte bereitstellen.

·          Die Schulen sollen im Rahmen ihrer Schulprogrammentwicklung Konzepte zum Qualifizierungsbedarf ihres Personals formulieren. Das Land soll gemeinsame Fortbildungen des Personals einer Schule fördern, bei denen die Lehrkräftekooperation und die Teamentwicklung verbessert werden.

·          Die Beteiligung von Lehrerinnen und Lehrern an Fort- und Weiterbildungen soll verpflichtend sein. Die Fort- und Weiterbildungsangebote sollen in Teilen auch während der Unterrichtszeit stattfinden können. Den Schulen sollen die erforderlichen Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden.

IX.     Die Qualität der LehrerInnenbildung soll durch ein Qualifizierungskonzept für das ausbildende Personal und durch ein Qualitätsmanagement gesichert werden.

·          Das Land soll ein Rahmenkonzept für Standards und Kompetenzen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung entwickeln. Die Auswahl des betreffenden Personals soll auf der Grundlage definierter Kompetenzen und nach einheitlichen Kriterien vorgenommen werden.

·          Für den Aus-, Fort- und Weiterbildungsbereich soll eine grundlegende und begleitende Qualifizierung des Personals sichergestellt werden.

·          Für die gesamte LehrerInnenbildung soll ein Qualitätsmanagement eingeführt werden. Alle Bildungsphasen sollen evaluiert werden.

 

Begründung

Die Arbeitsanforderungen an Lehrerinnen und Lehrer haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Die Lehrkräfte von heute müssen individuell fördern, mit heterogenen Lerngruppen professionell umgehen, die Anforderungen des inklusiven Unterrichts umsetzen können; müssen über fachwissenschaftliche, fachdidaktische und -methodische, pädagogische und psychologische Kompetenzen verfügen. Das verfügbare Wissen ist gewachsen und erfordert eine stärkere Konzentration auf methoden- und kompetenzorientiertes Lernen. Daneben hat aber auch der Bereich der Erziehung und Vermittlung von Sozialkompetenzen an Bedeutung gewonnen.

Die niedersächsische LehrerInnenbildung muss diesen veränderten Bedingungen Rechnung tragen und bedarf einer grundlegenden Reform. Dafür ist eine stärkere Verzahnung zwischen Wissenschaft und schulischer Praxis notwendig, da angehende LehrerInnen derzeit in der universitären Ausbildung noch zu wenig auf die tatsächlichen Anforderungen des Unterrichtens und des Schulalltags vorbereitet werden. Um dies zu gewährleisten, soll das verpflichtende Praxissemester für alle Lehramtsstudiengänge bereits am Ende der Bachelorphase durchgeführt werden. Die überholte schulformbezogene Ausbildungsgliederung muss durch eine modernde, schulstufenbezogene Ausbildung abgelöst werden, die in die Bachelor- und Masterstruktur eingebettet ist.  Aus-, Fort- und Weiterbildung müssen stärker miteinander verzahnt werden und es müssen vor, während und bei Abschluss des Studiums Gelegenheiten zur Selbstreflexion und zur praktischen Erprobung geboten werden.

Die hohen Anforderungen an die Unterrichtsqualität in immer heterogener werdenden Lerngruppen erfordern eine Weiterentwicklung des Vorbereitungsdienstes und die kontinuierliche, verbindliche Fortbildung aller Lehrkräfte. Dabei sollen die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Methoden der Hochschulen durch starke Kooperationsverbünde genutzt werden. 

Gabriele Heinen-Kljajic

Parlamentarische Geschäftsführerin

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