Antrag: Gentechnik: Landesregierung muss verbraucher- und bauernfeindliche Politik aufgeben

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Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Hannover, den 20.04.04

Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Am 2. April 2004 fand im Bundesrat die Beratung des von der Bundesregierung vorgelegten Gentechnik-Gesetzes und des sog. Durchführungsgesetzes zu den neuen Kennzeichnungsvorschriften statt. Unter Beteiligung Niedersachsens wurde die Anwendung des nicht zustimmungspflichtigen Durchführungsgesetzes durch Überweisung an den Vermittlungsausschuss blockiert und damit der Schutz der Verbraucher vor falscher oder nicht erfolgter Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmittel ausgesetzt. Das Gentechnik-Gesetz wurde mit über 100 Änderungsanträgen seiner sämtlichen Schutzfunktionen für die Verbraucher, die gentechnikfreie Landwirtschaft und für ökologisch sensible Gebiete beraubt.
Der Landtag missbilligt,
 dass durch die unnötige Verzögerung des Durchführungsgesetzes, die ab 18.4.2004 geltenden europäischen Kennzeichnungsbestimmungen bis zur nächsten Sitzung des Vermittlungsausschusses nicht durchgesetzt werden können und damit ein "rechtsfreier Raum" zum Schaden der Verbraucher entsteht;
 dass im Entwurf des Gentechnik-Gesetzes der Bundesregierung alle Regelungen die der Vorsorge zur Sicherung einer gentechnikfreien Land- und Lebensmittelwirtschaft und damit dem Schutz und der Wahlfreiheit der Verbraucher und der Mehrheit der Bauern dienen, gestrichen werden sollen;
 dass der ohnehin nur begrenzt vorgesehene Schutz ökologisch sensibler Gebiete ganz beseitigt werden soll und
 dass eine einseitige Bevorzugung der Gentechniknutzer, auch zu finanziellen Lasten der öffentlichen Hand, geplant ist.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
sich künftig dafür einzusetzen, dass im Gentechnik-Gesetz mindestens folgende Kernpunkte enthalten sind:
 Mit der Vorgabe einer "guten fachlichen Praxis" sollen Auskreuzungs-, Vermischungs- und Verunreinigungsrisiken von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) minimiert und verbindliche Sachkundeanforderungen für Gentechnikanwender verankert werden.
 Die persönliche Haftung der Gentechnikanwender für Schäden, die durch Verunreinigungen von gentechnikfreien konventionellen und Bioprodukten entstehen muss verursachergerecht geregelt werden. Diese Haftung ist, wie im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen, verschuldensunabhängig und gesamtschuldnerisch zu gestalten. Eine Fonds-Lösung zu Lasten der Steuerzahler wird abgelehnt.
 Die Anwendung von GVO auf dem Acker ist in einem öffentlich zugänglichen Anbaukataster zu dokumentieren.
 Der Schutz ökologisch sensibler Gebiete vor Veränderungen durch GVO ist durch wirksame Regelungen im Gesetz sicherzustellen. Dieser Schutz muss auch über die reinen NATURA-2000-Gebiete hinaus möglich sein.
Begründung
Der Entwurf des Gentechnik-Gesetzes der Bundesregierung ist Ergebnis eines umfangreichen inhaltlichen Abstimmungsprozesses zwischen verschiedenen Bundesministerien unter Einbeziehung vielfältiger gesellschaftlicher Positionen. Er stellt einen Kompromiss dar zwischen den weltwirtschaftlichen und europarechtlichen Vorgaben und der mehrheitlichen gesellschaftlichen Ablehnung der Agro-Gentechnik.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat in seinem im März 2004 vorgelegten Kommentar zur Umweltpolitik eine Bewertung dieses Entwurfs vorgenommen. Er kommt zusammenfassend zu der Auffassung, dass der Vorschlag der Bundesregierung geeignet ist, die allgemein anerkannten Ziele einer Koexistenz zwischen Gentechnik und gentechnikfreier Landwirtschaft und der Wahlfreiheit für Verbraucher und Bauern zu verfolgen. Er stellt aber auch klar, dass die Regelungen notwendig sind und die unterste Grenze dessen darstellen, was zur Sicherung dieser Ziele erforderlich ist. Er sieht weitergehenden Regelungsbedarf für eine sachgerechte Lösung insbesondere beim Schutz ökologisch sensibler Gebiete. Keinesfalls befürwortet der Rat eine Aushöhlung des Gesetzes zu einer inhaltslosen Hülle, wie es die niedersächsische Landesregierung im Bundesrat betrieben hat.
Eine dauerhaft gentechnikfreie Landwirtschaft ist Voraussetzung für Koexistenz und Wahlfreiheit. Agro-Gentechnik darf also nur dann eingesetzt werden, wenn der konventionelle und ökologische Landbau dadurch nicht in seiner Existenz gefährdet wird. Wer die gute fachliche Praxis und eine verursachergerechte Haftung aus dem Gesetz streichen will, wie die niedersächsische Landesregierung, macht den gentechnikfreien Landbau zum Freiwild der Gentechnikindustrie.
Bisher ist im Gentechnik-Gesetz zur Haftung vorgesehen, dass es eine wesentliche Beeinträchtigung ist, wenn Landwirte wegen einer Verunreinigung ihre Produkte mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO) nicht mehr mit dem Label "ohne Gentechnik" kennzeichnen können. Diese Regelung – und damit auch der Haftungsanspruch – soll nach dem Willen des Bundesrats entfallen. Dann soll die gesamtschuldnerische Haftung gestrichen werden – das bedeutet, wenn mehrere Verursacher für eine Verunreinigung in Frage kommen, dann muss der geschädigte Landwirt versuchen herauszufinden, wer für seinen Schaden verantwortlich ist. Und zu guter Letzt soll der Landwirt nicht mehr für Schäden verantwortlich sein, die er durch den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen verursacht hat, wenn er sich an die Regeln zur "Guten fachlichen Praxis" gehalten hat. In diesen Fällen soll es – da ja sein Nachbar trotzdem einen Schaden hat – zur Schadensregulierung einen Entschädigungsfonds geben, in den der Bund einzahlen soll. Letztlich sollen also die Verbraucher, die die Gentechnik nicht wollen, noch für den Schaden zahlen. Nicht schlüssig ist an diesem Vorschlag, dass es im Gesetz gar keine Verordnung zur "Guten fachlichen Praxis" mehr geben soll. Diese soll gestrichen werden. Stattdessen soll es lediglich ein "Standpunktepapier" geben. Das heißt, es soll keine verbindliche "Sachkundeanforderung" mehr geben für Landwirte, die gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen. Damit lehnen die meisten Bundesländer eine Vorsorgepflicht ab und konterkarieren jeden möglichen Haftungsanspruch von geschädigten Nachbarn. Landwirte, die GVOs anbauen, sollen also nicht mehr Sorge dafür tragen, dass sie anderen – zum Beispiel benachbarten Landwirten – keinen Schaden zufügen.
Die gegenwärtige Weichenstellung und Neuordnung des Rechtsrahmens für die Agro-Gentechnik entscheidet auch über die Umstände der Lebensmittelproduktion in den nächsten Jahrzehnten. Dabei geht es um die Vorsorge gegen gesundheitliche und ökologische Risiken dieser Technik, aber auch um die Wahrung ökonomischer Chancen, die sich aus der ungebrochenen Nachfrage nach gentechnikfreien Lebensmitteln ergeben. Eine in blinder Fortschrittsideologie einseitige Bevorzugung der Gentechnikanwender wird das auf Dauer unmöglich machen.
Fraktionsvorsitzender

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